172. Die Kaunier aber sind, meines Dafürhaltens, Ureinwohner; sie selbst indessen behaupten, aus Kreta zu seyn. In der Sprache haben sie dem Karischen Stamme sich angeschlossen, oder die Karier dem Kaunischen; denn Das kann ich nicht mit Bestimmtheit entscheiden. Nach den Bräuchen aber sind sie viel verschieden von den übrigen Menschen sowohl, als von den Kariern. So ist es ihnen vornämlich anständig, nach Alter und Freundschaft schaarenweise, Männer, Weiber und Kinder, zum Trinkgelag zusammen zu kommen. Da ferner bei ihnen ausländische Heiligthümer bestanden, entschloßen sie sich hernachmals anders (sie beschloßen nämlich, blos die heimischen Götter sollten gelten); da legten alle erwachsenen Kaunier ihre Waffen an, fochten mit den Lanzen gegen die Luft, trieben Das bis zu den Kalyndischen Grenzen und behaupteten nun, sie verjagen die ausländischen Götter. Diese also haben solche Sitten.
173. Die Lycier aber sind ursprünglich aus Kreta gekommen. Ganz Kereta hatten nämlich in alter Zeit Barbaren inne. Da nun in Kreta Zwiespalt über das Königthum war zwischen den Kindern der Europa, Sarpedon und Minos, und in diesem Aufruhr Minos die Oberhand gewann, vertrieb er den Sarpedon sammt seinen Mitaufrührern; und diese Verstoßenen kamen nach Asien in das Land Milyas; denn eben Das, welches die Lycier im Besitz haben, war in alter Zeit Milyas. Diese Milyer aber wurden damals Solymer genannt.
Während nun über Jene Sarpedon herrschte, wurden Dieselben (wie sie den Namen schon mitgebracht hatten, und wie auch die Lycier jetzt noch von ihren Nachbarn genannt werden) Termilen genannt. Als aber aus Athen Lykus, Pandion's Sohn, auch er vertrieben durch seinen Bruder Aegeus, unter die Termilen zu Sarpedon kam, da geschah es, daß sie nach dem Namen des Lykus mit der Zeit Lycier genannt wurden. Ihre Bräuche sind theils Kretische, theils Karische. Aber das Eine haben sie ganz eigenthümlich im Brauch, und treffen darin mit gar keinen andern Menschen zusammen, daß sie nämlich nach den Müttern sich benennen, und nicht nach den Vätern. Fragt nun Jemand den Andern, Wer er sey, so wird er immer von der Mutter her über sich Auskunft geben, und weiter von seiner Mutter die Mütter herzählen. Und wenn einmal eine bürgerliche Frau mit einem Knechte haust, so gelten die Kinder für ebenbürtig; wenn aber ein bürgerlicher Mann, und wäre es der Vornehmste, eine Fremde oder ein Kebsweib hat, so sind seine Kinder unehrlich.
174. Nun wurden denn die Karier, ohne daß sie durch irgend eine That sich auszeichneten, von Harpagus zu Knechten gemacht; aber eben so wenig, als die Karier selbst, zeichneten al die Hellenen sich aus, welche jenes Land bewohner. Und das bewohnen unter andern auch Auswanderer der Lacedämonier, die Knidier, deren Land sich an's Meer zieht, woselbst es Triopion genannt wird. Da nun Knidien, welches von der Bubassischen Landzunge anfängt, bis auf ein Weniges ganz um flossen ist (gegen den Nord nämlich begrenzt es der Ceramikus-Busen, gegen Süd das Meer von Syme und Rhodus), so wollten eben dieses Wenige, beiläufig fünf Stadien, die Knidier in der Zeit durchgruben, da Harpagus Ionien unterwarf, um ihr Land zur Insel zu machen. Nämlich das ganze Knidische Land fiel diesseits der Landenge, die sie durchgruben; denn diese ist eben da, wo jenes in's Festland ausgeht. Und während wirklich die Knidier alle Hände in Bewegung hatten, da wurden die Arbeiter am ganzen Leibe, besonders aber an den Augen, beim Sprengen des Gesteins, so ungewöhnlich viel und sichtbar nach göttlichem Willen verwundet, daß man nach Delphi Gesandte schickte, um Das zu erfragen, was ihnen entgegen sey. Die Pythia aber gab ihnen, wie die Knitier selbst sagen, im dreigliedrigen Versmaße diesen Spruch:
Umthürmet nicht den Isthmos, noch durchgrabet ihn.
Zeus schuf die Insel selber, hätt' es ihm beliebt.
Da stellten die Knidier auf diesen Spruch der Pythia ihr Graben ein und ergaben sich dem Harpagus, der mit seinem Heere herankam, ohne Widerstand.
175. Weiter wohnten oberhalb Halikarnaß im Binnenlande die Pedasier. So oft Diesen etwas Mißliches bevorsteht, oder auch ihren Nachbarn, bekommt die Priesterin der Athene einen großen Bart. Dreimal schon ist ihnen Dieß vorgekommen. Diese allein unter den Bewohnern Kariens haben sich einige Zeit dem Harpagus widersetzt und ihm gar Viel zu schaffen gemacht, indem sie einen Berg verschanzt hatten, der Lida heißt. Indessen wurden die Pedasier doch nach einiger Zeit überwunden.
176. Die Lycier aber kamen gegen Harpagus, wie er sein Heer auf die Ebene des Xanthus führte, herausgezogen, und indem sie ihrer Wenige gegen Viele fochten, zeichneten sie durch tapfere Thaten sich aus; übermannt jedoch und in die Stadt zurückgedrängt, brachten sie ihre Weiber und Kinder, ihre Habe und ihr Hausgesinde zusammen in ihre Burg, und alsdann steckten sie die ganze Burg in Brand. Nachdem sie Dieß gethan und mit argen Eidschwüren sich verschworen hatten, zogen sie hinaus, und alle Xanthier starben fechtend. Die jetzigen Lycier aber, die sich für Xanthier geben, sind größtentheils, bis auf achtzig Häuser, Ankömmlinge. Diese achtzig Häuser nämlich waren gerade dazumal im Ausland und blieben so übrig. Die Stadt Xanthus also nahm Harpagus so in Besitz. Beinahe auf gleiche Art nahm er auch die Stadt Kaunus. Denn die Kaunier machten das Meiste wieder so, wie die Lycier.
177. Das vordere Asien nun überwältigte Harpagus, das hintere dagegen Cyrus selbst, der jegliches Volk sich unterwarf, ohne eines zu übergehen. Indessen wollen wir davon das Meiste übergehen; aber was ihm die größte Mühe gemacht hat und am erzählenswürdigsten ist, Dessen will ich gedenken.
178. Cyrus, wie er einmal Alles auf dem Festland unter seine Hand gebracht hatte, machte sich an die Assyrier. Assyrien hat viele große Städte; darunter war jedoch die berühmteste und stärkste, und, seit der Eroberung der Kinusstadt, auch der Sitz des Königthums, Babylon, welches also beschaffen war. Die Stadt liegt in einer großen Ebene, in der Größe von hundert und zwanzig Stadien an jeder Seite, und ist ein Viereck, so daß sich der Stadien ihres Umfanges zusammen vierhundert und achtzig ergeben. Das ist die Größe der Babylonischen Stadt. Dazu ward sie eingerichtet, wie keine andere Stadt, vor der wir wissen. Für's erste läuft um dieselbe ein tiefer, breiter und wasserreicher Graben, sodann eine Mauer, fünfzig königliche Ellen 50in der Breite und in der Höhe zweihundert Ellen. Die königliche Elle aber ist größer als die mittlere, um drei Finger.
179. Nun muß ich hier auch noch angeben, wozu die Erde aus dem Graben verwendet, und auf welche Art die Mauer aufgeführt wurde. Indem sie den Graben ausstachen, machten sie zugleich Ziegel aus der Erde, die durch das Graben gewonnen ward, und nachdem sie die erforderlichen Ziegel geformt hatten, brannten sie dieselben in Oefen. Hernach bedienten sie sich eines Mörtels von heißem Erdpech, stopften immer zwischen dreißig lagen von Ziegeln Rohrflechten hinein, und bauten so zuerst den Rand des Grabens, und zweitens die Mauer selbst auf gleiche Art; aber oben an den beiden äußersten Seiten der Mauer bauten sie Thürme, die nur eine Wand hatten, 51und einander gegenüber standen; und ließen zwischen diesen Thürmen einen Raum, daß ein Viergespann herumfahren kann. Auch brachten sie in der ganzen Ringmauer hundert Thore an, durchaus von Erz, und die Pfosten und Oberschwellen deßgleichen. Von Babylon liegt eine andere Stadt einen Weg von acht Tagen entfernt: Is ist ihr Name. Dort ist ein Fluß, nicht eben groß: Is ist auch der Name desselben; und diesen führt sein Lauf in den Euphratfluß. Dieser Isfluß nun treibt mit seinem Wasser viele Krumen Erdpech herauf, und daher wurde das Erdpech zur Babylonischen Mauer geholt.
180. Auf diese Art wurde Babylon ummauert. Dies selbe Stadt hat zwei Abtheilungen; denn in der Mitte scheidet sie ein Fluß, dessen Name Euphrat ist. Der strömt von den Armeniern her, groß, tief und reißend, und ergießt sich in's Erythräische (Persisch-indische) Meer. Nun läuft die Mauer mit ihren beiderseitigen Armen bis zum Fluß herum; von da an aber beugt sie sich auf jeder Seite zurück, und zieht sich als ein Wall von Backsteinen an beiden Ufern des Flusses hin. Die innere Stadt ferner, die voll von dreistöckigen und vierstöckigen Gebäuden ist, wird von lauter geraden Straßen durchschnitten, in der andern Richtung sowohl, als in der Quere, wo sie an den Fluß herüberreichen. Nun waren an jeder Straße, in dem Wal längs dem Flusse, Thüren angebracht; deren gab es also eben so viel, als Gassen. Auch diese waren von Erz und führten alle in eben diesen Fluß.
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