164. Auf diese Art wurde die Mauer der Phocäer aufgeführt. Harpagus aber zog mit seiner Heeresmacht heran und belagerte sie; doch sprach er dabei den Antrag aus, es genüge ihm, wenn die Phocäer nur eine einzige Schutzwehr von der Mauer einreißen wollten und ein einziges Haus angeloben. 47Und die Phocäer, voll Erbitterung über die Knechtschaft, antworteten, sie wollten einen Tag sich berathen und sodann Bescheid geben; indessen sie aber sich berathen würden, hießen sie ihn sein Heer von der Mauer zurückführen. "Darauf antwortete Harpagus, er wisse wohl, was sie im Sinne hätten zu thun; gleichwohl lasse er ihnen zu, sich zu berathen. Während nun Harpagus sein Heer von der Mauer zurückführte, zogen derweil die Phocäer ihre Fünfzigruder heraus, setzten Weiber und Kinder und alle fahrende Habe hinein; dazu auch die Götterbilder aus den Heiligthümern und die sonstigen Weihgeschenke, außer was Erz, oder Stein oder Gemälde war; sonst Alles setzten sie hinein, und sie selber stiegen ein, und steuerten nach Chios. Phocäa aber, wie es jetzt verödet von Menschen war, nahmen die Perser in Besitz.
165. Die Phocäer, aber hätten gerne die Inseln gekauft, welche Oenussen genannt sind; da ihnen jedoch die Chier dieselben nicht verkaufen wollten, aus Furcht, sie möchten zu einem Handelsplatz werden und darüber ihre Insel den Handel verlieren, schickten sich die Phocäer zur Fahrt nach Cyrnus 48an. Denn auf Cyrnus hatten sie zwanzig Jahre vor diesem, nach einem Götterausspruch, eine Stadt erbaut, mit Namen Alalia. Arganthonius aber war dazumal schon gestorben. Während sie nun sich zur Fahrt nach Cyrnus anschickten, schifften sie vorerst zurück nach Phocäa, und tödteten die Wache der Perser, die Harpagus, als Besatzung, in die Stadt gelegt hatte. Darauf, als sie Dieses vollbracht, sprachen sie eine schwere Verfluchung gegen Jeden aus, der sich ihrer Fahrt entzöge. Ueberdieß versenkten sie einen eisernen Klumpen in's Meer und schwuren, nicht eher nach Phocäa heimzukehren, bevor dieser Klumpen zum Vorschein käme. Aber als sie die Fahrt nach Cyrnus antraten, ergriff über die Hälfte der Bürger Sehnsucht und Jammer nach der Stadt und nach dem Heimathlande, daß sie meiniedig wurden; und schifften wieder heim nach Phocäa. Aber Diejenigen von ihnen, welche den Schwur hielten, liefen aus von den Oenussen in die See.
166. Nachdem sie nun auf Cyrnus angekommen waren, wohnten sie gemeinschaftlich mit den früher Hingekommenen fünf Jahre und richteten daselbst Tempel auf. Da sie aber auch auf Beute ausfuhren rings bei allen Nachbarn, zogen wider sie nach getroffener Uebereinkunft die Tyrrhener (Etrusker) und Karchedonier (Karthager), Beide mit sechzig Schiffen. Die Phocäer selbst bemannten nun auch ihre Fahrzeuge, sechzig an der Zahl, und fuhren ihnen entgegen in das sogenannte Sardonische (Sardinische) Meer. Aber in dem Sees treffen, das sie einander lieferten, erhielten die Phocäer einen Kadmeischen (theuer erkauften) Sieg. Denn ihrer vierzig Schiffe waren ihnen zu Grund gegangen und die übrigen zwanzig unbrauchbar, weil die Schnäbel abgestoßen waren. Jetzt schifften sie zurück nach Alalia, nahmen Weiber und Kinder auf, und sonst von ihrer Habe, so viel die Schiffe im Stand waren zu tragen, verließen Cyrnus, und steuerten nach Rhegium.
167. Aber von den Leuten der untergegangenen Schiffe fiel der größte Theil in die Hände der Karchedonier und Tyrrhener, welche Dieselben hinausführten 49und steinigten. Darauf wurde den Agylläern Alles, was an der Stätte vorbeiging, wo die gesteinigten Phocäer lagen, verrenkt, verkrüppelt, vom Schlag gerührt, und zwar ohne Unterschied klein Vieh, Zugthiere und Menschen. Nun sandten die Agylläer nach Delphi und wollten ihre Sünde wieder gut machen. Und die Pothia hieß sie thun, was wirklich die Agylläer auch jetzt noch vollziehen, nämlich daß sie Jenen große Todtenopfer darbringen sollten, und Spiele anstellen mit Wettkämpfen und Wettrennen. Dieser Theil der Phocäer erlitt also einen solchen Tod. Die Andern aber, die nach Rhegium entflohen, zogen von da aus, und erwarben die Stadt im Lande Oenotria, die jetzt Hyela (Velia) genannt wird. Diese gründeten sie auf die Belehrung eines Mannes von Posidonia, daß nämlich Pythia in jenem Spruch von einer Gründung Cyrnus, den Heros, und nicht die Insel gemeint habe.
168. Beinahe ebenso, wie Diese, machten es auch die Tejer. So wie nämlich Harpagus von seinen Schuttwällen ihre Mauer einnahm, stiegen sie Allesammt in die Fahrzeuge und steuerten schleunig auf Thracien los, woselbst sie die Stadt Abdera gründeten; zu welcher schon früher Timasius von Klazomenä den Grund gelegt hatte, ohne jedoch Gewinn davon zu haben; weil ihn die Thracier vertrieben. Jetzt aber genießt er, unter den Tejern zu Abdera, die Verehrung eines Heros.
169. Das sind die einzigen Ionier, welchen die Knechtschaft so unerträglich war, daß sie ihre Heimathstädte verließen. Die andern Ionier, außer den Milesiern, ließen sich zwar mit Harpagus in Kampf ein, so gut, wie die Ausgewanderten, und zeigten sich als wackere Männer, Feder im Kampf für das Seine; aber geschlagen und in Feindes Gewalt, blieben sie in ihrem Lande und leisteten, Was ihnen auferlegt ward. Nur die Milester, welche, wie zuvor schon von mir bemerkt ist, mit Cyrus selbst ein Bündniß gemacht hatten, blieben ruhig. So kam also Ionien zum zweitenmal in Knechtschaft. Wie aber Harpagus die Ionier auf dem Festlande in seiner Hand hatte, da machte Dieß den Ioniern auf den Inseln so bange, daß sie selber dem Cyrus sich ergaben.
170. Als die Ionier in ihrem Unglück nichts desto weniger in Panionium sich versammelten, ertheilte, wie ich höre, Bias von Priene einen sehr guten Rath, welcher den Ioniern, hätten sie ihn befolgt, zur größten Blüthe unter den Hellenen würde verholfen haben; nämlich den Rath: sämmtliche Ionier sollten miteinander auslaufen nach Sardo (Sardinien), und dort eine Stadt für alle Ionier anlegen. So würden sie loskommen von der Knechtschaft und reich und blühend werden, im Besitz der größten aller Inseln und in Beherrschung Anderer. Blieben sie aber in Ionien: dann, versicherte er, sehe er ein, daß es mit der Freiheit aus sey. Das war der Rath des Bias von Priene an die Ionier, da sie schon verloren waren. Und einen andern guten Vorschlag ertheilte, ehe noch Ionien verloren ging, Thales von Milet (nach seiner weitern Abstammung ein Phönicier), den Vorschlag nämlich, die Ionier sollten einen eigenen Volksrath errichten, und zwar in Teos; denn Teos sey die Mitte Ioniens. Nichts desto weniger sollten die andern Städte, so gut, als wären sie Gemeinden, ihre gesetzliche Einrichtung beibehalten. Solche Vorschläge ertheilten diese beiden Männer.
171. Harpagus aber machte nach der Unterwerfung Ioniens einen Feldzug gegen die Karier, die Kaunier und die Lycier; wozu er auch die Ionier und Aeolier mitnahm. Unter ihnen sind die Karier von den Inseln auf das Festland gekommen. Denn vor Alters hatten sie die Inseln inne, unter dem Namen Leleger, als Unterthanen des Minos; ohne jedoch eine Abgabe zu leisten, wenigstens so weit mir immer noch möglich war mit der Sage zurückzugehen; nur daß sie, so oft es Minos begehrte, ihm die Schiffe bemannten. Und da Minos sich viele Lande unterwarf, und mit Glück Krieg führte, war das Karische Volk unter allen Völkern zu dieser seiner Zeit bei weitem das namhafteste. Die Karier haben auch dreierlei Erfindungen gemacht, die bei den Hellenen in Brauch kamen. Nämlich Büsche auf die Helme zu heften, davon sind sie die Erfinder; wie auch Abzeichen auf die Schilde zu machen. Auch Handhaben an den Schilden haben Dieselben zuerst gemacht, während bisher Schilde ohne Handhaben von Allen getragen wurden, die überhaupt der Schilde zu gebrauchen pflegten, indem sie ihnen die Richtung durch lederne Riemen gaben, die sie um den Hals und die linke Schuster hängen hatten. Hernach wurden die Karier in viel späterer Zeit von den Doriern und Ioniern aus den Inseln aufgejagt, und kamen so auf das Festland. Mit den Kariern nun, sagen die Kreter, sey es so ergangen. Indessen stimmen hiemit die Karier selbst nicht überein; sondern halten von sich, daß sie Ureinwohner des Festlandes seyen und denselben Namen immerdar geführt haben, so wie jetzt. Dazu weisen sie in Mylasa vom Zeus Karius ein altes Heiligthum auf, woran die Mysier und Lydier Theil haben, als Stammesbrüder der Karier. Denn Lydus und Mysus, sagen sie, seyen Brüder von Kar, Diese haben also Theil daran; Alle aber, welche, von anderem Stamm, mit den Kariern in der Sprache übereinstimmen, haben nicht Theil daran.
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