112. Indem der Kinderhirt Dieß sagte, nahm er die Decke weg und zeigte her. Als sie aber das Knäblein sah, wie es so groß und schön war, brach sie in Thränen aus, umfaßte die Kniee des Mannes, und bat, auf keine Weise es andzusetzen. Er aber sagte ihr, unmöglich könne er Das anders machen; denn es werden Kundschafter von Harpagus herauskommen, um darnach zu sehen; und er müsse des härtesten Todes sterben, wenn er es nicht so machen würde. Wie sie nun den Mann gar nicht bewegen konnte, sagte die Frau wiederum: "Da ich dich also nicht bewegen kann, es nicht auszusetzen, so mach' es doch so (wenn einmal die Nothwendigkeit unumgänglich ist, daß man's draußen liegen sehe): weil auch ich geboren, aber ein Todtes geboren habe, so nimm Dieses, und leg' es dafür hin; aber den Sohn der Tochter des Astyages laß uns aufziehen, als wär' er von uns; und so wirst du nicht über einer Verschuldung an den Gebietern ergriffen werden; noch werden wir Beide übel berathen seyn. Denn der Todte wird zu einer königlichen Bestattung kommen; und der Erhaltene wird nicht sein Leben verlieren.
113. Das schien dem Kinderhirten unter diesen Umständen gar wohl gesprochen von seinem Weibe, und er machte es auf der Stelle so. Den einen Knaben, den er zur Tödtung hergebracht, den übergab er seinem Weibe, den andern, eigenen, der eine Leiche war, legte er dafür in das Geräthe, worin er Jenen hergetragen hatte, schmückte ihn auch mit den ganzen Schmuck jenes Kindes und trug ihn in die ärgste Wüste der Berge hinaus. Und als es der dritte Tag war, daß das Kind draußen lag, ging der Kinderhirt in die Stadt, nachdem er zum Wächter desselben einen der Waidknechte zurückgelassen hatte. Er stellte sich bei Harpagus und erklärte sich bereit, den Leichnam des Knäbleins zu zeigen. Da sandte Harpagus die vertrautesten seiner Lanzenträger, ließ sie statt seiner nachsehen, und das Kind des Kinderhirten begraben. So wurde Dieses begraben, während den Cyrus, wie er nachmals genannt ward, das Weib des Kinderhirten zur Erziehung übernahm, die ihm jedoch nicht den Namen Cyrus, sondern irgend einen andern gab.
114. Als nun dieser Knabe bereits zehnjährig war, brachte ihn folgender Handel, in den er gerieth, an's Licht. Er spielte in eben dem Flecken, wo jene Kinderheerden waren, und zwar spielte er mit andern Kameraden auf der Straße, und in ihrem Spiele wählten sich die Knaben zu ihrem König gerade diesen vom Kinderhirten so benannten Knaben. Und Dieser stellte Aue an, die einen zum Häuserbau, die Andern als seine Lanzenträger; Einen auch als Auge des Königs; 42und wieder einem Andern gab er das Amt, die Botschaften hereinzubringen; kurz Jedem trug er eine Verrichtung auf. Nun war da Einer, der das Knabenspiel mitmachte, ein Sohn des Artembares, eines ehrenhaften Mannes unter den Mediern; weil nun der nicht that, was ihm von Cyrus aufgetragen war, befahl Dieser den andern Knaben, ihn zu ergreifen. Die Knaben gehorchten, und Cyrus spielte ihm mit Peitschenhieben übel mit. Gleich darauf, wie Derselbe losgelassen ward, nahm er's, als eine seiner unwürdige Behandlung, doppelt übel auf, ging zurück in die Stadt, und jammerte seinem Vater vor, auf welche Art Cyrus ihm begegnet war; nur sagte er nicht "Cyrus" (denn diesen Namen hatte er noch nicht), sondern der Knabe vom Kinderhirten des Astyages." Artembares aber ging in seinem Zorn vor Astyages, nahm auch gleich den Knaben mit und erklärte, daß ihm Schimpf angethan worden sey, indem er sagte: Mein König, von deines Knechtes, des Kinderhirten Sohn, werden wir so gemißhandelt." Und dabei zeigte er den Rüden des Knaben.
115. Als Astyages Das gehört und gesehen hatte, wollte er, um der Ehre des Artembares willen, seinem Sohne Genugthuung verschaffen, und schickte nach dem Kinderhirten sammt dessen Sohn. Sobald nun Beide da waren, blickte Artyages auf Cyrus hin und redete ihn an: "Du also, der Sohn eines solchen Mannes, hast dich unterstanden, dem Sohne dieses Mannes, der bei mir als der Erste gilt, so schmählich mitzuspielen?" Darauf antwortete Derselbe: "Herr, ich habe es Diesem mit Recht so gemacht. Mich haben nämlich die Knaben aus dem Flecken, unter denen auch Der da war, zu ihrem König aufgestellt. Denn ich schien ihnen dazu der Beste zu seyn. Nun haben die andern Knaben ihre Aufträge vollzogen; Der aber war ungehorsam und gab nichts drauf, bis er seine Strafe bekam. Und wenn ich also damit etwas Schlimmes verdient habe, hier hast du mich!"
116. Während der Knabe so sprach, stieg in Astyages ein Erkeunen desselben auf; denn nicht nur schienen ihm die Züge des Gesichtes beinahe, wie sein eigenes, und sein Benehmen mehr nach Art eines Freien zu seyn; auch die Zeit der Aussetzung schien ihm mit dem Alter des Knaben zusammenzutreffen. Hievon betroffen, blieb er eine Zeitlang stumm. Doch als er mit Mühe sich wieder gesammelt hatte, sprach er zu Artembares, in der Absicht, ihn zu entlassen, damit er den Kinderhirten allein in's Verhör bekäme: "Artembares, ich will es so machen, daß du und dein Sohn sich über Nichts zu beschweren haben." So entfernte er den Artembares; den Cyrus aber führten die Diener hinein, auf den Befehl des Astyages. Da nun der Kinderhirt allein zurückblieb, fragte ihn Astyages so allein, woher er den Knaben bekommen, und Wer ihm denselben übergeben habe. Der gab an, er komme von ihm selbst, und auch Die, welche ihn geboren, sey noch bei ihm. Astyages aber bedeutete ihn, er berathe sich übel, indem er Lust habe, auf die härteste Folter zu kommen; und bei diesen Borten gab er zugleich den Lanzenträgern ein Zeichen, ihn zu greifen. Wie nun Jener auf die Folter geführt werden sollte, bekannte er denn die Geschichte, wie sie war. Und er fing vom Anfang zu erzählen an, Alles nach der Wahrheit, und kam endlich auf's Bitten, und daß er ihm doch Vergebung schenken möchte.
117. Nach dem Kinderhirten nun, wie er die Wahrheit bekannt hatte, fragte Astyages schon nicht mehr viel; aber über Harpagus hoch aufgebracht, befahl er den Lanzenträgern, ihn zu rufen. Als Harpagus da war, fragte ihn Astyages: "Sprich, Harpagus, welchen Tod hast du dem Kinde angethan, das ich dir übergab, da es meine Tochter geboren hatte?" Harpagus aber, wie er den Kinderhirten drinnen sah, schlug nicht den Weg der Lügen ein, damit er nicht überwiesen und ergriffen würde, sondern sagte Dieß: "Mein König, sobald ich das Knäblein empfangen hatte, sah ich und einem Rath mich um, wie ich es nach deinem Sinn machen könnte, und dabei, ohne mich gegen dich zu verfehlen, weder vor deiner Tochter, noch vor dir selbst zum Henker wurde. Da machte ich es also. Ich lasse diesen Kinderhirten rufen, und übergebe ihm das Kind mit dem Bedeuten, daß du es seyst, der es umzubringen befehle. Auch habe ich damit nicht gelogen; denn du gabst hiezu den Auftrag. Indessen übergab ich's Demselben auf die Art, daß ich ihm auftrug, es auszusetzen auf ein wüstes Gebirg, und dabei Wache zu stehen, bis es mit ihm zu Ende gebe; unter allerlei Drohung an diesen Mann, wenn er Das nicht so zur Ausführung brächte. Sobald nun Dieser den Befehl vollzogen und das Knäblein sein Ende gefunden hatte, schickte ich meine vertrautesten Verschnittene, ließ sie statt meiner nachsehen und dasselbe begraben. So verhielt es sich, o König, mit dieser Sache; und solchen Tod hat das Kind gefunden."
118. Harpagus also bekannte die Geschichte geradezu. Artyages aber verbarg den Groll, den er auf ihn wegen des Geschehenen hegte; und zuerst erzählte er die Sache, so wie er sie selbst vom Kinderhirten gehört hatte, den Harpagus wieder; hernach, wie er's ihm wieder sagte, kam er auch darauf zu sprechen, daß der Knabe erhalten und das Geschehene nun gut sey. "Denn," sagte er zu ihm, "meine That an diesem Kinde machte mir gar viel zu schaffen, und daß ich's mit meiner Tochter verdorben hatte, schlug ich nicht leicht an. Da also das Geschick sich so gut gewendet hat, so schicke du fürs erste deinen Sohn heraus zu dem neuangekommenen Sohne, und dann (weil ich Rettungsopfer für den Knaben den Göttern darbringen will, welchen diese Ehre zusteht) finde dich bei meinem Mahle ein."
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