Ihre Traurigkeit lockte am späten Abend Luna an. Sofort war sie bei ihr. Sie setzte sich auf den Stein und hörte zu. Der Schmetterling erklärte ihr, weshalb sie wieder eine Meerjungfrau sein wollte.
„Auch wenn die Farben eines Schmetterlings bunt sind“, sagte sie.
Luna verstand sie sofort. Sie machte den Zauber rückgängig.
Es ist jetzt Nacht
Die Sterne funkeln
Der Mond erwacht
In stiller Nacht.
Es leuchten hundert Sterne
Die sieht man schon aus der Ferne
Du fliegst noch kurz und gleich danach
Sitzt du auf Stein im Schatten der Nacht!
Sie war wieder eine Meerjungfrau! Ach, wie schön! Amelia wusste jetzt, dass das Leben unter der Oberfläche des Wassers und oben hoch im Himmel schön sein konnte. Man konnte beides genießen. Wichtig waren nur Freunde, die das Leben wertvoll und lustig machten. Sie seufzte glücklich: „Es ist so schön, eine Meerjungfrau zu sein!“
Julia Buczkowska, 10 Jahre.
*
Es war einmal eine kleine Meerjungfrau mit Namen Aquaria. Sie war grün wie eine gewöhnliche Alge und nur ein winziger Teil ihrer Flosse glänzte silberfarben. Die anderen hatten wunderschöne Flossen, die in allen Farben schillerten und schimmerten. Besonders bunt glitzerten die beiden Freundinnen Merle und Mena.
Auf dem Weg zur Schule begegnete Aquaria ihnen. Die eingebildeten Meerjungfrauen riefen ihr gehässig zu: „Da kommt ja die langweilige Silberflosse!“
Aber Aquaria achtete gar nicht auf sie und schwamm schnell weiter in das Klassenzimmer. Die Lehrerin Frau Fanta, ein oranger Fisch, sagte: „Na, dann fangen wir an mit Kunst! Heute sollt ihr ein buntes Korallenriff malen.“ Als die Lehrerin nicht hinschaute, gab Merle Aquaria einen Schubs und ihre Farben fielen mit einem lauten Knall zu Boden. Die Lehrerin rief: „Aquaria, pass doch besser auf!“
In der Pause riefen ihr Merle und Mena zu: „Silberflosse, Silberflosse!“ Als die Schule aus war, ging Aquaria traurig heim.
Am nächsten Tag hatte sie Geburtstag. Sie durfte ihn mit ihrer Freundin Lilli, einer kleinen Meerjungfrau, und ihrem besten Freund Toho, dem Delfin, feiern. Zusammen aßen sie im Restaurant. Es gab leckeren Algensalat und frische Meerlimo.
Toho schenkte ihr eine silberne Muschel, die er selbst vom Korallenriff geholt hatte, und Lilli überreichte ihr ein Delfin-Geschichtenbuch. Zum Nachtisch gab es Kuchen, der mit Algen und Perlen verziert war. Sie spielten noch Fangen und Verstecken, dann war der Geburtstag leider schon zu Ende und Lilli musste nach Hause. Auch Aquaria und Toho machten sich auf den Heimweg.
Merle und Mena wollten ihnen auflauern. Da fuhr plötzlich ein Motorboot über ihnen und hielt an. Ein großes Netz fiel über die beiden Meerjungfrauen und zog sie ans Boot. Dort wurde es befestigt. So sehr die beiden auch strampelten, sie konnten sich nicht allein befreien. Aquaria und Toho, die das Boot kommen gehört hatten, konnten sich gerade noch rechtzeitig hinter den Algen verstecken. Von dort beobachteten sie, wie die Freundinnen gefangen wurden.
Schnell schmiedeten sie einen Plan. Toho sollte die Menschen ablenken, während Aquaria mit ihrer neuen Muschel das Netz aufschneiden würde.
Toho stürzte an die Wasseroberfläche und vollführte einen Delfintanz, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu lenken. In der Zwischenzeit schwamm Aquaria so schnell sie konnte zum Boot. Mit der Muschel, deren Kanten sehr scharf waren, schnitt sie das Netz so weit auf, dass Merle und Mena herausschlüpfen konnten.
Gemeinsam mit Toho schwammen sie nach Hause.
Am nächsten Tag erlebte Aquaria eine Überraschung. Früh am Morgen warteten Merle und Mena schon auf sie. Sie entschuldigten sich für ihr gemeines Verhalten, bedankten sich für die Rettung und schenkten Aquaria eine wunderschöne Kette, die sie nun immer trug.
Paula Gänzler, 7 Jahre, Deutschland, Gestratz/Brugg.
*
„Ich möchte nicht, dass du dasselbe Schicksal erleidest wie deine Stiefschwester“, klagte die Großmutter, deren kahler Kopf nur noch die silberne Krone, aber nicht mehr ihr schneeweißes Haar zierte.
„Keine Sorge! Ich habe nicht das Verlangen, meine zierliche Schwanzflosse gegen Quadratlatschen in einer Laufmaschine einzutauschen“, lächelte Ayana. „Ich möchte aus unserem Versteck emportauchen, um Prinz Jeldrik zu sprechen, der Sooyoung ins Unglück stürzte.“
„Was willst du tun, wenn du ihn triffst? Rache nehmen?“, fragte die Königinmutter.
„Keine Ahnung!“, zuckte Ayana mit den Schultern. „Ich folge meinen Gefühlen.“
„Bleibe!“, bat die Greisin. „Ich habe meinen Sohn noch nie so glücklich gesehen wie in den letzten 18 Jahren, als er deine Mutter traf, sich verliebte, sie heiratete und du aus dem Schaum zu uns kamst.“
„Oma, nach unseren Gesetzen hätte ich schon vor drei Jahren zu der Welt der Menschen emportauchen dürfen! Länger kann und will ich nicht warten! Bitte gib mir deinen Segen!“, flehte Ayana.
„Du machst ja doch, was du willst! Ich nähe dir meine zwölf Austern auf deinen Schwanz. Sie zeigen deine adelige Abstammung. Setze deine goldene Krone auf! Wenn du nicht mehr weiterweißt, drehe sie nach links, dann nach rechts.“
„Danke!“, flüstere Ayana und küsste ihre faltige Wange.
Eilig schwebte sie vom königlichen Garten, der des Nachts im Dunkeln lag und nur durch den rosa Mond am Himmelszelt erhellt wurde, leicht wie eine Feder empor. Sie huschte an den Wächtern des Königreiches, den glubschäugigen Koloss-Kalmaren, deren Augen größer als Fußbälle waren, unbemerkt vorbei und schwirrte durch das dunkelblaue Wasser des Weltmeeres. Anglerfische beschützten die kleine Nixe, indem sie mit ihren blitzenden Taschenlampen den Weg durch die Peitschen der neunschwänzigen Katze, das Palmtang, beleuchteten. Durch das türkisfarben werdende Nass, in dem sich noch Ruderfußkrebse tummelten, die Ayana mit bläulich leuchtenden Sprechblasen begrüßten, glitt sie bis zu den hellblau schimmernden Wellen empor, in denen Clown-, Doktor- und Mandarinfische sowie Königsfeenbarsche ihren Hofstaat bildeten.
Kurz vor der Marmortreppe des Wasserschlosses, in dem Sooyoung mit Jeldrik kurze Zeit glücklich gewesen war, tauchte sie auf.
Auf der untersten Stufe saß ein junger Mann und starrte trübselig auf die Gischt. „Könnte ich doch die Unterwasserwelt erkunden!“, seufzte er.
„Komme mit mir!“, säuselte Ayana und umschlang seinen Leib. Ihre langen roten Haare, die ein Seestern schmückte, und der türkis schimmernde Schwanz gaben ihr das Aussehen einer Königslilie.
„Potzblitz!“, rief der Bursche erstaunt. „Eine rothaarige grünäugige Meereshexe!“
„Ich bin Prinzessin Ayana, jüngste Tochter des mächtigen Meereskönigs“, erwiderte Ayana beleidigt und wedelte mit ihrem Schwanz. „Bist du Prinz Jeldrik?“
„Prinz Jeldrik ist mein Vater. Ich heiße Alvar. Warum fragst du?“
„Dein Vater hat meine Schwester Sooyoung auf dem Gewissen! Statt sie, seine Lebensretterin, zu heiraten, wählte er eine andere Braut. Sooyoung wollte lieber zu Meeresschaum werden, statt ihn zu töten, um ihr Leben als Meerjungfrau wieder aufzunehmen. Die Töchter der Luft haben ihr Zuflucht gegeben“, klagte Ayana den Jüngling bitterböse an.
„Sie war eine Meerjungfrau? Mein Vater segelt schon jahrelang über die Weltmeere, um sie zu finden. Er glaubt, dass sie noch lebt. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben.“
„Ich bedauere dich.“
„Ich bin viel allein und mir ist langweilig.“
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