Lösung:Problematisch ist in diesem Beispiel das Mordmerkmal der Heimtücke, da fraglich ist, ob A bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs des K mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnete. Zu beachten ist dabei, dass eine auf früheren Aggressionen beruhende latente Angst des Opfers seine Arglosigkeit erst dann aufhebt, wenn es deshalb im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet. Die Rspr. hat daher auch bei Opfern, die aufgrund von bestehenden Konfliktsituationen oder früheren Bedrohungen dauerhaft Angst um ihr Leben haben, einen Wegfall der Arglosigkeit erst dann in Betracht gezogen, wenn ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der ständig befürchtete schwerwiegende Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit nun unmittelbar bevorsteht. A hatte den in seinem Pkw wartenden K bis wenige Sekunden vor der Tat nicht bemerkt. Ihre Befürchtung, er werde sie „irgendwann einmal erwischen“, beruhte auf vorangegangenen, zum Teil mehrere Monate zurückliegenden Todesdrohungen und dem Wissen um Nachstellungen des K. Umstände, die zu einer auf die Tatsituation bezogenen Aktualisierung und Konkretisierung dieser Befürchtung geführt haben, sind nicht erkennbar. Die Tatsache, dass A von dem auf ihr Leben gerichteten Angriff getroffen wurde, als sie mit ihrem gefüllten Einkaufswagen das belebte Gelände eines Supermarktes verließ, legt die Annahme nahe, dass sie sich jedenfalls in diesem Moment keines konkreten Angriffs von Seiten des K versah und in einer hilflosen Situation überrascht wurde. Nach dem mit Verletzungsvorsatz geführten überraschenden Angriff mit dem Pkw war A zwar noch eine kurze Flucht möglich, doch vermochte sie sich aufgrund der Kürze der ihr verbleibenden Reaktionszeit dem mit Tötungsvorsatz nachsetzenden K nicht mehr zu entziehen oder wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Demgemäß ist das Mordmerkmal der Heimtücke zu bejahen.
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Heimtücke soll andererseits jedenfalls dann ausscheiden, wenn das Opfer überhaupt nicht in der Lage ist, Argwohn zu entwickeln. Dies soll nach zweifelhafter Rspr. etwa bei Kleinkindern gelten, sodass Heimtücke im Falle der Tötung von Kleinkindern nur dann denkbar ist, wenn die Arglosigkeit einer Aufsichtsperson ausgenutzt[127] oder wenn instinktive Abwehrmechanismen beim Kleinkind umgangen werden, was etwa dann der Fall ist, wenn ein giftiges Mittel der Nahrung beigemischt wird, damit das Kind die Einnahme nicht wegen des schlechten Geschmacks verweigert.[128] Zwar ist im Rahmen der Ausnutzung der Arglosigkeit einer Aufsichtsperson nicht erforderlich, dass der potenziell schutzbereite Dritte ‚zugegen‘ ist. Der schutzbereite Dritte muss aufgrund der Umstände des Einzelfalls allerdings wirksam Schutz erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe erforderlich ist.[129] Im Übrigen nimmt der BGH Heimtücke grundsätzlich auch bei der Tötung Schlafender an, da die Arglosigkeit „mit in den Schlaf genommen werde“, sofern man nicht nur trotz Argwohns vom Schlaf übermannt werde.[130] Dies gilt auch für schutzbereite Aufsichtspersonen, die sich in dem Vertrauen schlafen legen, dass sich kein Angriff auf die Schutzperson ereignen werde (BGH NStZ 2013, 158 f.). Dagegen gilt die Annahme von Arglosigkeit nach st. Rspr. nicht für Bewusstlose und damit auch nicht für im Krankenhaus befindliche Komapatienten.[131] Bei ihnen kommt allerdings wiederum die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit schutzbereiter Pflegekräfte in Betracht und zwar entweder, weil die Pflegekraft tatsächlich Dienst tut oder weil diese im Vertrauen auf den Täter keinen Dienst tut.[132]
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Darüber hinaus ist notwendig, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung handelt,[133] was nach bisheriger Rechtsprechung nicht der Fall war, wenn der Täter „zum Besten“ des Opfers tätig wurde.[134] Dies kam z. B. dann in Frage, wenn ein Ehemann Frau und Kinder tötet, um ihnen die Schmach eines bekannt werdenden Bankrotts zu ersparen oder wenn ein Ehemann seine schwerkranke, schlafende Ehefrau aus Mitleid tötet, um ihre Qualen zu beenden (der Fall war freilich nur dann von Bedeutung, wenn kein Verlangen der Tötung von Seiten der Frau vorliegt, da anderenfalls bereits § 216 StGB eingreifen würde, der § 211 StGB sperrt).
Nach einer neuen Entscheidung des 5. Senats soll feindselige Willensrichtung grundsätzlich nur dann fehlen, wenn die Tötung dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht. Ansonsten hat ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen. Dazu folgendes, der Entscheidung nachgebildetes
Beispiel:A hatte große Schulden angehäuft. Er glaubte seine Ehefrau E von allen diesen existenzbedrohenden Tatsachen verschonen zu müssen. Er nahm an, sie würde es nicht verkraften, insoweit mit der „harten Realität“ konfrontiert zu werden. Mit maßgeblich hierfür war, dass seine über 16 Jahre ältere und nun schon fast 78 Jahre alte Ehefrau unter erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen litt. Im Schlaf versetzte er ihr mit einem schweren Hammer neun Schläge auf den Kopf. Bei seiner Tat nutzte er bewusst den Umstand aus, dass sich E weder eines Angriffs versah noch aufgrund des Schlafes zu irgendeiner Gegenwehr fähig gewesen wäre. Einziges Tatmotiv des A war, der E durch die Tötung ein Leben im finanziellen Ruin zu ersparen, insbesondere die für wahrscheinlich gehaltene Wohnungskündigung und die Sperrung des Stromanschlusses bei Wegfall seiner Einkünfte ohne Aussicht, eine neue Stellung zu erhalten. Zu alledem war für A auch bestimmend, dass seine fast 78-jährige Ehefrau nach einer Hirnblutung an nicht unerheblichen physischen Einschränkungen, insbesondere einer deutlich verminderten Beweglichkeit litt, sie zudem erkennbar an Lebenslust verloren hatte und oftmals deprimiert und niedergeschlagen war. Er wollte ihr einen von ihm befürchteten völligen psychischen Zusammenbruch durch die Offenbarung der Wahrheit ersparen, indem er sie tötete. Er wollte sich danach selbst töten, was er aber nich fertigbrachte ( Hammer-Fallnach BGH NStZ 2019, 719[135]).
Lösung:Der 5. Senat hat angsichts dieses Falles nunmehr die Möglichkeiten einer restriktiven Anwendung des Heimtückemerkmals über das Kriterium der feindlichen Willensrichtung in Fällen des (versuchten) Mitnahmesuizids weitgehend ausgeschlossen. Denn der BGH hat bislang für das Fehlen einer feindlichen Willensrichtung grundsätzlich auf das Vorstellungsbild des Täters abgestellt und lediglich für notwendig erklärt, dass das Opfer nicht zuvor von sich aus geäußert hat, nicht aus dem Leben scheiden zu wollen. Im konkreten Fall hat der 5. Senat nunmehr jedoch gefordert, dass der Täter jedenfalls das bei Bewusstsein befindliche Opfer zuvor gefragt haben muss, ob es aus dem Leben scheiden wolle (lediglich bei einem zu autonomen Entscheidungen nicht mehr fähigen Opfer sollen Gründe genügen, die einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung und damit dem mutmaßlichen Opferwillen entsprechen). Die Entscheidung ist fraglich. Erstens kann es schon seinem Wortsinn nach („Willensrichtung“) für dieses Einschränkungskriterium nur auf die subjektive Gesinnung des Täters ankommen. Zweitens begründet die fehlende Information/Befragung des Opfers grundsätzlich bereits dessen Arglosigkeit, sodass dieser Gesichtspunkt nicht zusätzlich zur Bewertung der Frage der feindlichen Willensrichtung herangezogen werden kann. Denn durch das Erfordernis einer vorausgehenden Befragung bzw. Informierung fordert der 5. Senat nunmehr letztlich einen Umstand, der bereits die Arglosigkeit des Opfers ausschließen würde. Drittens wirkt sich die Entscheidung auf das Verhältnis von § 211 StGB (Mord) zu § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) in seltsamer Weise aus. Holt der Täter nämlich vorab die Zustimmung des Opfers ein, wie der 5. Senat dies nunmehr fordert, so lässt sich ein Ausschluss einer Heimtücketötung bei einem intendierten Mitnahmesuizid nur in der Weise denken, dass das Opfer die Frage, ob es zur Vermeidung von Schimpf und Schande getötet werden wolle, gegenüber dem Täter tatsächlich bejaht. Dann aber wird meist bereits eine Tötung auf Verlangen vorliegen. Denn für den privilegierenden Tatbestand der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB ist anerkannt, dass der Vorschlag oder die Initiative zur Tötung nicht notwendig vom Getöteten ausgegangen sein muss.[136] Vielmehr ist zur Privilegierung der Tötung nach § 216 StGB nur erforderlich, dass eine bestimmende Einflussnahme des Opfers auf den Entschluss des Täters stattgefunden[137] und der Täter bei der Tötung keine Eigeninteressen verfolgt hat.[138] Damit wird das, was soeben durch Befragung und anschließend geäußerten ernsthaften Tötungswunsch des Opfers noch eine privilegierte Tötung war, bei gleicher Motivationslage ohne Befragung zu einem Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe. Auch wenn die Entscheidung fragwürdig ist, sollte man sich aber für die Klasur merken, dass der BGH für ein Fehlen der feindlichen Willensrichtung verlangt, dass der Täter das Opfer fragt, ob es getötet werden will. Wenn das Opfer nicht mehr zu autonomen Äußerungen in der Lage ist, hält der BGH einen Ausschluss der feindlichen Willensrichtung nur für möglich, wenn nachvollziehbare Gründe für die Tat erkennbar seien (zu denken ist hier an die Tötung schwerst leidender Personen, die sich nicht mehr autonom äußern können; sind diese Personen bewusstlos und nicht nur schlafend, dann fehlt es ohnehin an einer Heimtücke).
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