«Und warum habt Ihr Jills Wagen aufgebrochen? Die Spuren zerstört. Warum wartet Ihr nicht, bis die Polizei hier ist?»
unterbricht Tetu den Manager.
«Wir, gar nichts haben wir zerstört. Die Polizei könnte es nicht besser.»
«Das entscheiden doch nicht Sie, mein Herr.»
Die Spuren von Jills Fahrzeug sind auf dem sandigen Boden nicht mehr zu erkennen, die Sträucher um den Wagen zertrampelt, obwohl sich die selbsternannten Hobbydetektive um eine Art Spurensicherung bemühten. Zum einen markierten sie mit frisch geschnittenen Zweigen mehrere Stellen im kurzen Gras der Steppe, zum anderen breiteten sie, weiß der Teufel welcher Strategie folgend, alle Fundsachen aus dem Wagen auf einer Plastikplane aus.
Tetu vermutet: Eine Idee des Surflehrers aus Mombasa. Er kennt diese Art Wasungus, die glauben, Kenia gehöre ihnen, Globetrotter, Hasardeure, Camel-Filter rauchende Helden, die der Meinung sind, sie könnten und dürften Alles. Einheimische sind nichts weiter als Farbtupfer in ihren Abenteuern, mit denen sie sich vor ihren Landsleuten brüsten. Daß so jemand glaubt, er sei dazu berufen, die polizeilichen Ermittlungen zu führen, zumal er mit Sicherheit von der kenianischen Polizei nichts hält, versteht sich von selbst. Und voller Erbitterung sagt er: «Derjenige, der die großartige Idee hatte, Jills Wagen aufzubrechen, möge uns doch bitte erklären, was er sich dabei gedacht hat?»
«Bitte sehr», meldet sich, beleidigt und mit hoher Stimme, der Vogelkundler Hunt: «Wenn die Herren denn so freundlich sind.»
Mettler grinst. Peter Hunt, den er von seinen Besuchen in der Lodge kennt. Ein passionierter Jäger, der die Flinte mit der Kamera vertauschte, Eulen nachsteigt und den Gästen der Kiriyaga Lodge jeden Abend einen faden Lichtbildervortrag hält. Ein dünner Professor auf dürren Stelzen.
Der Mietwagen Jills steckt mit allen vier Rädern unmittelbar hinter der Uferböschung im Sand. Hunt erklärt, daß Jills Wagen, wie er die Sache sehe, über die Böschung geschossen sei wie über eine Schanze.
«Die Räder wühlten sich in den Sand, die Achsen schlugen auf und der Wagen saß fest. Das Auto selbst blieb unbeschädigt, abgesehen von ein paar Kratzspuren auf dem Wagendach, die sich bei genauerem Hinschauen als SOS entziffern lassen, wenn ich auch zu behaupten wage, daß sie nicht von Jill Parker stammen, sondern zu einem früheren Zeitpunkt von irgendwelchen anderen Leuten, die in eine ähnliche Lage gerieten, herrühren, denn, meiner Meinung nach, deutet alles daraufhin, daß Jill Parker sich hier weder auf eine längere Wartezeit einrichtete noch in Gefahr befand. Eine These, die zu belegen ich gerne bereit bin. -- Der Wagen war ordnungsgemäß verschlossen, auch ließen sich in der näheren Umgebung keinerlei Hinweise auf Jill entdecken, zum Beispiel eine Feuerstelle. Interessant dürfte das Folgende sein. -- Wenn ich Sie denn bitten darf, mir ein paar Schritte in den Busch zu folgen.»
Hunt stelzt durch das kurze und spröde Ufergras zu einer der mit Zweigen markierten Stellen. Mit einem schlanken Grasrohr, das er aus dem Gebüsch knickt, deutet er wortlos auf einen kreisrunden Abdruck im Sand, einen gewaltigen Teller mit einem leicht welligen, runden Rand.
«Die Spur eines Elefanten, eines riesigen, schweren Tieres. Eine Fährte, wie ich sie noch nie gesehen habe. In diesem Zusammenhang darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das Wachstum eines Elefanten während seines ganzen Lebens nicht aufhört. Ein großer Elefant ist immer auch ein alter Elefant.»
Hunt zeigt mit seinem Grashalm auf einen weiteren Punkt, der vielleicht etwa fünfzig Meter entfernt liegt, und, die kleine Schar seiner Zuhörer erneut um Aufmerksamkeit bittend, stolziert er zum nächsten Ort seiner Indizienkette, die Mettler und Tetu längst begriffen haben. ‹Hannibal was here.›
Mettler benutzt die kurze Unterbrechung, um den Surflehrer aus Mombasa zu begrüßen, Teddy Huber, der trotz seines Erfolges als Entdecker von Jills Wagen einen bekümmerten Eindruck macht. Er gibt ihm die Hand.
«Ich glaube, wir kennen uns.»
Die Anrede in seiner Muttersprache überrascht Huber, er reagiert verunsichert. Seine taubengrauen Augen flackern unwillig, der muskulöse, schöne Körper verspannt sich. Einen kurzen Atemzug lang. Dann lacht er, strahlt, jaha, er kennt so viele Leute. Mettler ist froh, daß Huber ihn nicht einordnen kann, ein Umstand, der ihm nur willkommen ist. Und schmunzelnd stellt er fest: Teddy Huber, blondgelockt und braungebrannt. Ein selten schöner Schweizer.
Der Ornithologe versammelt sein Auditorium mittlerweile vor der zweiten seiner Markierungen, einem fast fußballgroßen Elefantenködel.
«Die Losung eines Elefanten, eines sehr alten Tieres, was nach einer genaueren Analyse der Fäzes zu beweisen wäre. -- Der Speisezettel eines Elefanten beschränkt sich, wenn sich die letzte Generation seiner Mahlzähne aufbraucht, auf immer weniger Arten von Gras und Kräutern. Ein alter Elefant stirbt, weil er verhungert. -- Ich vermute nun, daß Jill Parker, dank einer glücklichen Fügung, wenn ich einmal das Steckenbleiben des Wagens so bezeichnen darf, hier dem alten Bullen Hannibal begegnete und seine Fährte aufnahm.»
Hunt räuspert sich und fährt fort: «Weil ich annahm, daß Jill eine Nachricht im Wagen hinterließ, habe ich angeordnet, den Wagen aufzubrechen. Doch leider scheint Jill Parker die Verfolgung des Elefanten aufgenommen zu haben, ohne einen Hinweis auf ihre Entdeckung zu hinterlassen. -- Wenn ich Ihnen denn nun zeigen darf, was wir im Wagen fanden, und nach welchen Gesichtspunkten wir die Gegenstände auf der ausgebreiteten Plastikbahn aufreihten.»
Tetu gähnt. Er bereut, daß er mit seiner Frage einen derartigen Sermon ausgelöst hat, dem er nun, so scheint es, ohne nicht erneut für unanständig gehalten zu werden, nicht mehr entrinnen kann.
Teddy Huber spielt gelangweilt mit einem Ring an seinem Finger, einem elfenbeinernen Skarabäus, einer Imitation eines altägyptischen Siegelrings. Die Erklärungen Hunts interessieren ihn nicht. Gewäsch eines Tierliebhabers.
«Wir bekommen Besuch», unterbricht er unfreundlich die Ausführungen Hunts und zeigt auf ein panzerartiges Fahrzeug, das den Ura Sand River entlang hoppelt. Der häßliche Safarilaster des Reiseunternehmers Fredi Wipf auf seiner Morgenpirsch. Auf der Ladebrücke hocken, quer zur Fahrtrichtung und nach hinten gestaffelt, Wipfs Abenteurer. Seit Tagen eingestaubt und verschwitzt, auf ihren Sitzen durchgeschüttelt, einzelne mit knallrot verbrannten Gesichtern und Armen. Eine stinkende Schar übermüdeter Leute. Sandbleche, Benzinkanister und Werkzeuge panzern die Seiten des alten Bedfords, während die Schnauze durch einen wuchtigen Rammbock mit Seilwinde verstärkt wurde, der dem Wagen ein insektenähnliches Aussehen gibt.
Wipf stoppt den Laster kurz vor dem Ura Sand River, klettert von seinem Fahrersitz und marschiert durchs Gras auf die Männer am Ufer zu. Ein stattlicher Mann in kurzen Hosen. Mitte fünfzig. Eine von Wind und Sonne gegerbte Haut, ein Fuchsgesicht mit einer langen, geraden Nase und eng beieinanderstehenden Augen.
Wipf begrüßt die Männer, die er alle beim Namen nennt, selbst Mettler schüttelt er die Hand, geradezu kameradschaftlich, wozu es eigentlich keinen Anlaß gibt. Einzig Tetu übersieht er, was bei dem großen, grauhaarigen Mann gar nicht so einfach ist. Mettler macht ihn auf sein Versäumnis aufmerksam: «Bevor du glaubst, du müßtest hier das Kommando übernehmen, begrüßt du vielleicht auch unseren Bekannten, den Chef der Kriminalpolizei von Lamu.»
«Oh, Entschuldigung, das war nicht meine Absicht. Robinson Njoroge, alles okay? -- Nun, was ist los, meine Herren, womit kann ich dienen?»
«Wir haben Jills Wagen gefunden.»
Die Nachricht, daß Jill Parker vermißt wird, scheint Fredi Wipf, der von einem zehntägigen Trip an den Turkanasee zurückkehrt, zu überraschen. Er kann seine Verwirrung kaum verbergen, seine Augen irren hilflos von einem zum anderen, dann fragt er tonlos: «Jills Wagen?»
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