(c) Die Phase der Datenerhebung und Auswertung und zum „ Corpus de diálogo etiquetado de Português Europeu “ ( Coral ), die von Isabel Trancoso et al. geplant und durchgeführt wurde7, fällt in die Jahre von 1997 bis 1999. Es wurden 32 Dialoge unter Beteiligung von 16 Gesprächspersonen aufgenommen. Das entsprechende Korpus kann in Form von fünf ‚CD-ROM‘ erworben werden. Das vorrangige Ziel bestand wie so oft bei portugiesischen Forschungsprojekten zur gesprochenen Sprache in einer Untersuchung ihrer phonetischen und phonologischen Besonderheiten: „ A tarefa de especificação dos elementos do mapa teve em conta, fundamentalmente, aspectos da fonética e fonologia cujo estudo é prioritário no contexto da fala espontânea em Português Europeu “ (cf. Seite 1 der in der ‚Fußnote 31‘ angegebenen Quelle). Worauf diese Priorität beruht, wird allerdings weder näher begründet noch vorab in einer Phase epistemologischer Reflexion diskutiert. Erwähnenswert ist die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen bei diesem Projekt, zu denen das CLUL ( Centro de Linguística da Universidade de Lisboa ), die FLUL ( Faculdade de Letras de Lisboa ), die FCSH – UNL ( Faculdade de Ciências Sociais e Humanas da Universidade Nova de Lisboa ) sowie das INESC ( Instituto de Engenharia de Sistemas e Computadores ) gehörten. Angesichts der in dieser Studie vorgegebenen Untersuchungsziele scheint es im Kontext der vorliegenden Arbeit allerdings nicht erforderlich, dieses Projekt eingehender zu beschreiben.
(d) Das nächste Projekt und das auf seiner Grundlage zusammengestellte Korpus ist das ‚C-ORAL-ROM-Korpus‘, mit der ausführlichen Bezeichnung „Integrated Reference Corpora for Spoken Romance Languages“8. Das Material zu diesem Projekt, das Aufnahmen und Transkriptionen des Portugiesischen, Französischen, Spanischen und Italienischen enthält und sich zum Ziel die Untersuchung der gesprochenen Alltagssprache romanischer Sprachen gesetzt hat, ist mitsamt der erzielten Ergebnisse über den Handel als Buch und in Form von acht DVD (‚DVD 5 und 6‘ zum Portugiesischen) zu beziehen. Weil eine detailliertere Beschreibung dieses Korpus, dem ich die in diesem Buch benutzten Beispielsäußerungen entnommen habe, im folgenden ‚Kapitel 3‘ folgt, verzichte ich an dieser Stelle auf die Angabe weiterer Einzelheiten.
(e) Beim Korpus ‚REDIP‘ ( Rede de Difusão Internacional do Português: rádio, televisão e imprensa ) handelt es sich um eine dem Sprachgebrauch in portugiesischen Medien gewidmete Sammlung von Transkriptionen sowohl des mündlichen als auch schriftlichen Portugiesisch. Das zugrunde liegende Projekt geht auf eine Initiative des „ Instituto de Linguística Teórica e Computacional (ILTEC)“ in Zusammenarbeit mit der “ Universidade Aberta “ zurück, und das resultierende Korpus umfasst 330000 Wörter aus sechs Themenbereichen: Aktuelle Nachrichten, Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und spontane Meinungskundgebung9.
(f) Das Korpus mit den der weitaus größten Zahl von Einträgen ist das sogenannte ‚Mike-Davies-Korpus‘10 mit der genauen Bezeichnung O corpus do Português , das über die vergleichsweise gigantische Zahl von 450 Millionen Wörtern aus verschiedenen Textsorten und historischen Epochen verfügt. Hinzu kommt rund eine Billionen Belege (!) aus dem Bereich der ‚Neuen Medien‘ mit Varianten des gesprochenen kontinentalen und brasilianischen Portugiesisch. Dieses ‚Online-Korpus‘ erlaubt es, im Zusammenhang mit den erfragten Begriffen auch die zugehörigen Kontexte einzusehen.
Was die Projekte anbelangt, die auf der Grundlage der oben genannten Korpora durchgeführt wurden, noch laufen bzw. sich zurzeit in ihren Anfangsphasen befinden, scheint mir das Zitat oben unter Gliederungspunkt (c) sehr aufschlussreich zu sein. Es macht deutlich, was portugiesische Sprachwissenschaftler fast wie selbstverständlich als Ziel einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihrer gesprochenen Sprache verstehen. Nach einer Recherche zu abgeschlossenen bzw. noch aktuellen Forschungsprojekten in Zusammenhang mit dem gesprochenen Portugiesischen verdichtet sich zwar der Eindruck, dass Studien zur Phonetik, Phonologie, Prosodie und Lexikographie immer noch vorherrschen, doch wäre es ungerecht und ergäbe ein ‚verzerrtes Bild‘, nicht auch auf andere Studien mit unterschiedlichen Untersuchungszielen aufmerksam zu machen. Ohne an dieser Stelle einen kompletten Überblick geben zu können, folgt die Darstellung einer kleinen Auswahl solcher Projekte und Ziele11. Die Projekte sind dabei thematisch in folgende Sektoren unterteilt, bzw. unterschiedlichen Forschungszentren zugeordnet: (I) ANAGRAMA – Análise Gramatical e Corpora , (II) CLG – Grupo de Computação do Conhecimento Léxico-Gramatical , (III) Dialectologia e Diacronia , (IV) LabFon – Laboratório de Fonética , (V) Laboratório de Psicolinguística und (VI) Filologia .
Was momentan laufendende und noch nicht abgeschlossene Projekte im Themenbereich des gesprochenen Portugiesisch betrifft, möchte ich als Beispiele das Projekt ‚COPAS‘ hervorheben, das darauf abzielt zu erforschen, wie Intonation und syntaktische Mittel beim Sprechen zur Hervorhebung des ‚Topiks‘ einer Äußerung beitragen; ‚LeCIEPLE‘ aus dem Bereich des ‚Portugiesisch als Fremd- und Zweitsprachenerwerbs‘ mit der Erstellung eines eigenen Lernkorpus; das Projekt ‚VAPOR‘, das sich um die Zusammenstellung von Korpora mit in Afrika gesprochenen Varianten des Portugiesisch bemüht; das Projekt ‚LETRADU‘, das sich der Entwicklung Computer gestützter Übersetzungsprogramme sowie der Erstellung verschiedener Wortatlasse widmet, die auch das gesprochene Portugiesisch in Afrika, Brasilien, Europa, Galizien und auf den Azoren mit einschließen.
(g) Eine weitere mir bekannte und bereits abgeschlossene Arbeit, deren Planung und Realisierung aber außerhalb Portugals erfolgte, ist die auf Deutsch verfasste Arbeit von Viegas Brauer-Figueiredo (1999), die m.E. in Portugal bis jetzt nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden hat. Wie die Autorin selber ausführt, wurde sie zu ihrer Arbeit durch Koch / Oesterreicher (1999, 9) angeregt, was als Folge hatte, dass sie sich bei ihrer Arbeit um eine Orientierung an dem Modell dieser Autoren12 bemühte, allerdings ohne dieses Konzept konsequent einzuhalten. Jedenfalls folgt die Arbeit dem für ihre Zeit neuartigen Konzept, morphologisch-syntaktische Erscheinungen der GS – u.a. Kontaktsignale, Überbrückungsphänomene, sprachliche Mittel zur Engführung 13 , polyfunktionales que, frases clivadas, passe-partout Konstruktionen (Viegas Brauer-Figueiredo 1999, 5sqq.) – auf der Basis eines entsprechenden Korpus14 und teilweise auch unter pragmatisch-funktionaler Perspektive15 zu beschreiben. Das bedeutet, der Gebrauch sprechsprachlicher Erscheinungen wird auch als Konsequenz ihrer Einbindung in Situationen und in Abhängigkeit von anderen Faktoren der pragmatischen Sprachdimension interpretiert. Das Korpus des Buches, das zwischen 1984 und 1994 zusammengestellt wurde und insgesamt 154584 Wörter erfasst, besteht aus (a) Interviews mit portugiesischen Immigranten, (b) Gesprächen und Interviews mit Studenten, (c) weiteren Interviews, die auf dem portugiesischen Festland, auf den Azoren und den Kapverden durchgeführten wurden, (d) Auszügen aus Diskussionen und Gesprächen mit portugiesischen Schriftstellern, die Vorträge an der Universität in Hamburg hielten, (e) Auszügen aus Vorlesungen, Seminaren und Kolloquien sowie (f) Mitschnitten aus portugiesischen Fernsehsendungen.
Positiv bleibt festzuhalten, dass es der Untersuchung gelingt, die Funktionen von Ausdrücken und Strukturen, die aus einer formal-strukturalistischen Perspektive aus gesehen irrelevant sind, für das Gelingen mündlicher Kommunikation herauszustellen und zu begründen. Für die Bestimmung von Erscheinungen des gesprochenen Portugiesisch, die sich aus der dialogischen Struktur gesprochener Sprache ergeben, ist das (ansonsten sehr umfangreiche) Korpus allerdings nicht geeignet, weil die Transkriptionen keine Visualisierung dieser Strukturen und der entsprechenden Sprecherwechsel ermöglichen.
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