1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Das fließende Licht der Gottheit provoziert bei seiner Empfängerin also mindestens ebenso sehr wie die Sprache das Schweigen. Ohne in stetem Fluss je ein Verstummen zu erlauben.
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Mechthild von Magdeburg: Das fließende Licht der Gottheit . Hg. Gisela Vollmann-Profe. Frankfurt a.M. 2003.
–: „Das fließende Licht der Gottheit“. Nach der Einsiedler Handschrift in kritischem Vergleich mit der gesamten Überlieferung . Hgg. Hans Neumann und Gisela Vollmann-Profe. 2 Bde. München/Zürich 1990 und 1993.
Flasch, Kurt: Meister Eckhart. Die Geburt der „Deutschen Mystik“ aus dem Geist der arabischen Philosophie . Beck 2006.
–: Meister Eckhart. Philosoph des Christentums . Beck 2010.
–: „Meister Eckhart. Versuch, ihn aus dem mystischen Strom zu retten“. Gnosis und Mystik in der Geschichte der Philosophie . Hg. Peter Koslowski. Zürich 1988. 94–110.
Haas, Alois Maria: „Mechthild von Magdeburg“. Sermo mysticus. Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik (Dokimion 4). Freiburg/Schweiz 1979. 67–135.
Hasebrink, Burkhard: „‚Das fließende Licht der Gottheit‘ Mechthilds von Magdeburg. Eine Skizze“. Bete und arbeite! Zisterzienser in der Grafschaft Mansfeld. Begleitband zur Ausstellung im Sterbehaus Martin Luthers in Eisleben, 24.10.1998–24.6.1999 . Hg. von Esther Pia Wipfler. Halle a.d. Saale 1998. 149–159.
Kasten, Ingrid: „Die doppelte Autorschaft. Zum Verhältnis Sprache des Menschen und Sprache Gottes in mystischen Texten des Mittelalters“. „… wortlos der Sprache mächtig.“ Schweigen und Sprechen in der Literatur und sprachlicher Kommunikation . Hgg. Hartmut Eggert und Janusz Golec. Stuttgart/Weimar 1999. 9–30.
Köbele, Susanne: Bilder der unbegriffenen Wahrheit. Zur Struktur mystischer Rede im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache . Tübingen 1993.
Löser, Freimut: „Meister Eckhart, die ‚Reden‘ und die Predigt in Erfurt. Neues zum sogenannten ‚Salzburger Armutstext‘“. Meister-Eckhart-Jahrbuch Bd. 6. Hgg. Dagmar Gottschall und Dietmar Mieth. Stuttgart 2013. 65–96.
–: „Mystik“. Literaturwissenschaftliches Lexikon . Hgg. Horst Brunner und Rainer Moritz. Berlin 2006. 284–287.
–: „‚Schriftmystik‘. Schreibprozesse in Texten der deutschen Mystik“. Wolfram-Studien 22 (2012): 155–204.
Mundhenk, Christine (Hg.): Der Occultus Erfordensis des Nicolaus von Bibra . Kritische Edition mit Einführung, Kommentar und deutscher Übersetzung. Weimar 1997.
Nemes, Balász J.: Von der Schrift zum Buch – vom Ich zum Autor. Zur Text- und Autorkonstruktion in Überlieferung und Rezeption des ‚Fließenden Lichts der Gottheit‘ Mechthilds von Magdeburg . Tübingen/Basel 2010.
Neumann, Hans: „Mechthild von Magdeburg“. Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters , Bd. 6. Hgg. Kurt Ruh et. al. Berlin 1987. Sp. 260–270.
Ruh, Kurt: Geschichte der abendländischen Mystik . Bd. 2: Frauenmystik und Franziskanische Mystik der Frühzeit . München 1993.
Squires, Catherine und N. Ganina: „Ein Neufund des ‘Fließenden Lichts der Gottheit’ aus der Universitätsbibliothek Moskau und Probleme der Mechthild-Überlieferung“. ИНДОЕВРОПЕЙСКОЕ ЯЗЫКОЗНАНИЕ И КЛАССИЧЕСКАЯ ФИЛОЛОГИЯ – XIII. Материалы чтений, посвященных памяти профессора Иосифа Μоисеевича Тронского. 22–24 июня 2009 г . Sankt Petersburg 2009. 643–654.
Strauch, Philipp, Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen: Ein Beitrag zu Geschichte der deutschen Mystik . Freiburg i. Br. 1882.
Friedrich Hölderlin
Andenken
Gerhard Kurz
Für Jean-Pierre Lefebvre
Andenken
Der Nordost wehet,
Der liebste unter den Winden
Mir, weil er feurigen Geist
Und gute Fahrt verheißet den Schiffern.
Geh aber nun und grüße
Die schöne Garonne,
Und die Gärten von Bourdeaux
Dort, wo am scharfen Ufer
Hingehet der Steg und in den Strom
Tief fällt der Bach, darüber aber
Hinschauet ein edel Paar
Von Eichen und Silberpappeln;
Noch denket das mir wohl und wie
Die breiten Gipfel neiget
Der Ulmwald, über die Mühl’,
Im Hofe aber wächset ein Feigenbaum.
An Feiertagen gehn
Die braunen Frauen daselbst
Auf seidnen Boden,
Zur Märzenzeit,
Wenn gleich ist Nacht und Tag,
Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer,
Einwiegende Lüfte ziehen.
Es reiche aber,
Des dunkeln Lichtes voll,
Mir einer den duftenden Becher,
Damit ich ruhen möge; denn süß
Wär unter Schatten der Schlummer.
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu sein. Doch gut
Ist ein Gespräch und zu sagen
Des Herzens Meinung, zu hören viel
Von Tagen der Lieb,
Und Taten, welche geschehen.
Wo aber sind die Freunde? Bellarmin
Mit dem Gefährten? Mancher
Trägt Scheue, an die Quelle zu gehn;
Es beginnet nämlich der Reichtum
Im Meere. Sie,
Wie Maler, bringen zusammen
Das Schöne der Erd und verschmähn
Den geflügelten Krieg nicht, und
Zu wohnen einsam, jahrlang, unter
Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen
Die Feiertage der Stadt,
Und Saitenspiel und eingeborener Tanz nicht.
Nun aber sind zu Indiern
Die Männer gegangen,
Dort an der luftigen Spitz
An Traubenbergen, wo herab
Die Dordogne kommt,
Und zusammen mit der prächt’gen
Garonne meerbreit
Ausgehet der Strom. Es nehmet aber
Und gibt Gedächtnis die See,
Und die Lieb auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter.1
In meinem Vortrag gehe ich von der elementaren hermeneutischen Maxime aus, dass ein Gedicht all das bedeutet, was es bedeuten kann. Sie wurde in Hölderlins Epoche entwickelt. Alles, was es bedeuten kann, heißt nicht alles Mögliche, sondern nur das in diesem Gedicht, bei diesem Autor und in seiner Zeit Mögliche.1
Erschienen ist Andenken zuerst in Leo von Seckendorfs Musenalmanach für das Jahr 1808 . Handschriftlich ist nur die Schlussstrophe überliefert. Entstanden ist das Gedicht wohl Ende 1802 oder im Frühjahr 1803. Hölderlin war psychisch krank. Aber wenigstens für den Herbst 1802 bezeugt sein Freund Isaak von Sinclair, er habe bei ihm „nie größere Geistes – u. Seelenkraft als damals“ gesehen.2
Im ersten Überblick werden wir schon gewahr, dass das Gedicht nicht gereimt ist und die Zeilenlängen unregelmäßig sind. Fünf Strophen à 12 Zeilen, die letzte Strophe hat 11 Zeilen. Ein Versehen, oder fand es Hölderlin damit gut? Den Eindruck eines Gedichts erzeugen zuerst die Druckanordnung und die strophische Gruppierung des Textes. Der Rhythmus ist unregelmäßig, es kommt aber immer wieder zu rhythmischen Wiederholungen wie „Hingehet der Steg […] / Tief fällt der Bach“ oder „“Auf seidnen Boden, / Zur Märzenzeit“. Das Gedicht wird rhythmisch beendet mit dem metrischen Muster des Adoneus: „stiften die Dichter“. Dieses rhythmische Muster findet sich auch sonst: „unter den Winden“ z.B., „Schatten der Schlummer“, „bringen zusammen“. Eine rhythmische Spannung wird auch hervorgebracht durch die vielen Enjambements, ein poetisches Mittel, das Zeilenende und Zeilenübergang verbindet. Der Rhythmus ist intensiv, aber bei aller Variabilität und Spannung doch auch verhalten, unangestrengt. Dies liegt auch an der Übersichtlichkeit der syntaktischen Strukturen. Wiederholungen auch in der lautlichen Struktur: Sie wird immer wieder verdichtet durch Assonanzen und Alliterationen, durch eine Art Binnenreime also: „Geh aber nun und grüße / Die schöne Garonne, / Und die Gärten von Bourdeaux“ oder „Hingehet der Steg“ oder „… wächset ein Feigenbaum. / An Feiertagen gehen / Die braunen Frauen daselbst“ oder „einsam, jahrlang“, „stiften die Dichter“. Wiederholung und Variation also, eine solche rhythmische und lautliche Struktur – ist sie von dynamischer Kraft – erfahren wir als ästhetisch gelungen.
Читать дальше