Die empirisch basierte Hinwendung zum Sprecher mündet schließlich in die sogenannten usage-based models(vgl. Barlow/Kemmer 2000, Bybee/Hopper 2001), die auf der Basis einer sprachgebrauchsbasierten Analyse Aussagen zu unterschiedlichen Untersuchungsfeldern der Linguistik (zum Beispiel Spracherwerb oder Sprachwandel) machen wollen. Die gebrauchsbasierte Komponente ist im Kontext der funktionalen Linguistik essentiell, wobei die zum Einsatz kommende Methode zur Identifikation gebrauchsspezifischer Effekte auf das sprachliche System und auf sprachliches Wissen vom konkreten funktionalistischen Ansatz abhängig sein kann. So liegt es zum Beispiel nahe, Registervarianz und im Register verwendete sprachliche Mittel auf der Basis natürlicher Interaktion zu analysieren. Geht es hingegen um die Frage, wie spezifische grammatische Muster kognitiv repräsentiert sind, eignen sich Elizitationsverfahren oder experimentelle Methoden, die zum Beispiel Aufschluss darüber geben, mit welchen Inhalten einzelne grammatische Formen verknüpft werden. Funktionalistische Ansätze bringen folglich drei primäre Komponenten mit sich. Sie verbinden formalsprachliche Charakteristika mit kommunikativen und kognitiven Funktionen, sie sind sprecher- und damit gebrauchsorientiert und sie haben den Anspruch, ihre Erkenntnisse empirisch zu fundieren. Der Begriff Funktionist insgesamt relativ ambig und nicht klar definiert. Daneš (1987: 4) führt diesen Umstand auf das Versäumnis zurück, im Laufe der Begründung des funktionalistischen Prinzips Funktionals Terminus klar abzugrenzen. Dies führte schließlich dazu, dass unterschiedliche sprachliche Ebenen funktional motiviert sein können. So kann der Gebrauch bestimmter Lexeme oder syntaktischer Muster funktional in einer spezifischen Interaktionssituation sein. Ein Sprecher würde zum Beispiel in einer informellen Interaktionssituation mit Freunden andere sprachliche Mittel gebrauchen als in einem öffentlich-formellen oder institutionellen Gespräch (zum Beispiel bei einem Vortrag vor einem Fachpublikum). Gleichzeitig haben die Hinweise zu konstruktionsgrammatischen Ansätzen gezeigt, dass sprachliche Einheiten für sich, das heißt losgelöst von jeglicher situations- und interaktionsbedingter Kontextgebundenheit, funktional sein können. Hierbei ist also nicht eine vermeintliche kommunikative Absicht, sondern die Funktion der grammatischen Struktur als Indikator für einen spezifischen Inhalt ausschlaggebend. Mehrgan (2012: 39) differenziert deshalb zwischen einer strukturellen und einer pragmatischen Funktion. Nichols (1984: 98) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass allen funktionalistischen Ansätzen die Prämisse zugrunde liegt, eine Brücke zwischen formalen Beschreibungsebenen und der Kommunikation zu schlagen: „It aims at closing the gap between the study of language and the study of communication, […]. It tries to give grammar a direct material grounding in the communicative situation.“ Da diese Verknüpfung wiederum unterschiedlichen Zugängen unterliegt, findet man divergierende Auffassungen zum Funktionsbegriff. Generell wird angenommen, dass kommunikative Funktionen und Absichten universal sein können, die konkrete formale Realisierung sich jedoch von Sprache zu Sprache unterscheidet. In Bezug auf die Gegenstände dieser Arbeit bedeutet das, dass semantische Relationen für jede Sprache relevant sind. Wenn Handlungen verbalisiert werden, enthalten sie unabhängig von der Einzelsprache Rollen wie Agens, Patiens, Thema, Rezipiens oder Instrument. Die einzelsprachliche Kodierung der Funktion kann jedoch divergieren. Die formalen Realisierungsoptionen schöpfen dabei aus dem der Einzelsprache zugrunde liegenden Formeninventar, wodurch einzelsprachlich konventionalisierte Form-Funktions-Paare entstehen. Charakteristisch ist dabei in den meisten Fällen das mapping problem. Nur in wenigen Sprachen kann einer Form genau eine Funktion zugeordnet werden. So ist zum Beispiel die Verfügbarkeit von genau einer Kasusform zur Markierung von exakt einer semantischen Rolle in agglutinierenden Sprachen wie dem Türkischen zu finden (zum Beispiel -a/ -eim Dativ, - da/- deim Lokativ).1 Ein ähnlich striktes Muster findet sich in flexionsfreien und damit isolierenden Sprachen, die semantische Relationen im Satz ausschließlich durch die Abfolge der Konstituenten kennzeichnen. Liegt solch eine Eins-zu-Eins-Relation vor, spricht man vom one-to-one mapping. In den meisten flektierenden Sprachen wird hingegen eine Form zur Markierung mehrerer Funktionen gebraucht. So ist im Deutschen der Artikel dienicht nur Genus- und Kasusmarker im Femininum, sondern wird sowohl im Nominativ als auch im Akkusativ gebraucht ( Dienom Frau sieht den Mannvs. Den Mann sieht dieakk Frau). Hinzu kommt, dass diein allen Genera im Nominativ und Akkusativ Plural verwendet wird ( Dienom Männer/ Kinder/ Frauen sehen den Mannvs. Der Mann sieht dieakk Männer/ Frauen/ Kinder). Aus funktionaler Perspektive heißt das, dass die Artikelform diemultifunktional ist, da sie sowohl Singularität als auch Pluralität anzeigt und darüber hinaus verschiedene Kasus und damit semantische Rollen kennzeichnen kann. Da der Idealfall des one-to-one mappingssehr selten oder sprachenspezifisch auftritt, sind one-to-many mappings(das heißt eine Form erfüllt mehrere Funktionen) oder many-to-one mappings(unterschiedliche nebeneinander stehende Formen können jeweils dieselbe Funktion erfüllen) in vielen Sprachen gängig.2 Bates/MacWhinney erklären dieses mapping problemmit der Tatsache, dass es eine Vielzahl außersprachlicher pragmatischer und semantischer Funktionen gibt, diesen aber nur ein begrenzter Pool sprachlicher Formen gegenübersteht. Sie folgern deshalb: „[W]e can view the mapping problem as a competition for channel access among these diverse pragmatic and semantic functions” (1987a: 215). Der Terminus channel accessentspricht in diesem Zusammenhang der Annahme, dass Sprecher komplexe und multidimensionale Inhalte in ein relativ striktes lineares sprachliches System bringen müssen. Der Sprecher hat somit die Aufgabe, die Funktionsvarianz zu erkennen und zu entscheiden, welche Funktion die Form im spezifischen Gebrauchsmoment erfüllt. Kommunikationsprozesse zwingen den Sprecher dabei stets dazu, Funktionen in ‚geeignete‘ Formen zu verpacken („mapping of function onto form“), während Hörer diese Formen wiederum dekodieren müssen, um den Inhalt herauszufiltern („mapping of form onto function“; Bates/MacWhinney 1989: 51). Sprachliche Entwicklung (insbesondere die kindliche) wird im Sinne eines funktionalistischen Ansatzes als Erwerb von form-function mappingsbetrachtet. Funktionalistische Ansätze nehmen an – basierend auf einer gebrauchsorientierten Grundhypothese –, dass die von Sprechern (oder allgemeiner: von Interaktionspartnern) verwendeten Kodierungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle im kindlichen Erwerbsprozess spielen (vgl. Tomlin 1990: 160f.). Spracherwerb ist in diesem Sinne dann erfolgreich, wenn Lerner die einzelsprachlichen Form-Funktions-Paare mühelos en- und dekodieren können. Lerner stehen vor der Aufgabe, passende Formen zum Ausdruck konkreter Inhalte und Konzepte aus dem Input zu filtern und sie in angemessener Weise, das heißt für den Kommunikationspartner verständlich zu gebrauchen. Kommunikative Funktionen und semantische Konzepte bestimmen dabei in Abhängigkeit von der kognitiven Entwicklung des Lerners den Erwerbsprozess und die Erwerbsverläufe, sodass Erwerbsprozesse zunächst „meaning-driven“ sind: [C]ommunicative functions can drive the learner in a rather special way, by directing attention to regularities in the linguistic environment. The child is scanning the input for ways to convey interests and needs, trying to extract information that will help in predicting the behavior and attitudes of other people. (Bates/MacWhinney 1989: 31) Kindliche Lerner mit einer uneingeschränkten physiologischen Entwicklung sind nicht nur in der Lage, sprachliche Laute als Möglichkeit der Kommunikation zu erkennen.
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