Ausgehend von einer grundlegenden funktionalen Perspektive auf Sprachgebrauch können unterschiedliche theoretische Positionen ausgemacht werden, die den Funktionsbegriff auf unterschiedliche sprachliche Ebenen anwenden. Eine dieser Positionen ist die Funktionale Grammatikvon Dik (Dik 21997). Das primäre Ziel Diks ist es, grammatische Regularitäten auf semantischer, phonologischer, morphologischer und syntaktischer Ebene mit pragmatischen Regularitäten im Sprachgebrauch zu verknüpfen. Diks Grundannahme ist dabei, dass die Pragmatik die hierarchiehöchste Ebene sei: „the basic requirement of the functional paradigm is that linguistic expressions should be described and explained in terms of the general framework provided by the pragmatic system of verbal interaction“ (Dik 21997: 4). Das grammatische Regelsystem ist vor dem Hintergrund dieser Prämisse deshalb auch ein Resultat beziehungsweise eine Abbildung pragmatischer Faktoren. Bezogen auf die Struktur von Sätzen folgert Dik unter anderem, dass Konstituentenabfolgen ein Mittel für den Ausdruck spezifischer Relationen seien (vgl. ebd.: 392f.). Eine Veränderung der Konstituentenfolge ist deshalb auch Resultat eines kontextuell und pragmatisch gebundenen Relationsausdrucks. Wenn es also darum gehen soll, den Sprecher und sein Sprachverhalten zu untersuchen, müsse das primäre Ziel zunächst die Analyse pragmatischer Faktoren und erst danach die systematische Betrachtung der sprachlichen Oberfläche sein (vgl. auch Smirnova/Mortelmans 2010: 18). Während Diks Ansatz als umfassender Versuch betrachtet werden kann, alle sprachlichen Ebenen zu integrieren, beziehen sich andere Ansätze auf spezifische Sprachbereiche. Tyler (2010) differenziert dazu zwischen systemisch-funktionalen Ansätzen, zu denen vor allem Halliday/Matthiesen ( 32004) zu zählen sind, dem Diskursfunktionalismus (vor allem Givón 1995) und kognitiven Ansätzen, zu denen neben der Kognitiven Grammatik (Langacker 1987, 1991, 2008) vor allem die Konstruktionsgrammatik (Croft 2001, Fillmore/Kay/O’Connor 1988, Goldberg 1995) gehört. Trotz ihres gemeinsamen funktionalen Blicks auf Sprache, wenden die jeweiligen theoretischen Ansätze den Terminus der Funktionauf unterschiedliche Aspekte von Sprache an. So steht im von Halliday geprägten systemisch-funktionalen Ansatz die situationsbedingte Kommunikationsabsicht und auf analytischer Ebene die Systematisierung kontextspezifischer sprachlicher Mittel im Fokus. Bekannt geworden ist dieser Zugang durch die Register- und Stilforschung. Betrachtet werden dabei zum Beispiel situationsbedingte soziale Relationen zwischen Gesprächspartnern, deren Strukturen sich jeweils auch an der sprachlichen Oberfläche abbilden. Tyler (2010) zufolge ist auch der von Givón geprägte diskursanalytische Funktionalismus eng an das Ziel angelehnt, Sprachgebrauch aus einer situationsspezifischen Perspektive auszuleuchten. Givóns Erweiterung im Vergleich zu Halliday bestehe jedoch darin, kognitive Prozesse und mental repräsentierte Konzepte in die Analyse sprachlicher Strukturen einzubeziehen (ebd.). Während beispielsweise der Halliday’sche Ansatz untersucht, an welchen Stellen im Diskurs welche syntaktischen Thema-Rhema-Strukturen vorkommen, versucht der Givón’sche Ansatz zu beantworten, wie spezifische syntaktische Strukturen anhand kognitiver Prinzipien erklärt werden können. Zentral ist in diesem Zusammenhang der von Givón gebrauchte Begriff der Ikonizitätbeziehungsweise Meta-Ikonizität(Givón 1995: 58f.). Gemeint ist damit, dass sich zum Beispiel spezifische Handlungsabläufe in einer entsprechenden syntaktischen Struktur abbilden. Givón nimmt eine natürliche, jedoch nicht zwingende Korrelation zwischen Inhalt und Ausdruck an und geht dabei von einer Isomorphie zwischen Form und Inhalt aus. Im Zentrum seiner Untersuchungen stehen transitive syntaktische Strukturen, die er als Abbildung eines kausal-linearen Handlungsverlaufs betrachtet (s. auch Kapitel 2.3). Im Blick steht ein kanonisches Handlungsmuster, in dem ein belebtes Individuum auf ein Gegenüber oder ein Objekt einwirkt. Die kausale Relation, die so entsteht, bildet sich schließlich syntaktisch so ab, dass der Handlungsträger in der linearen Satzstruktur zuerst und der von der Handlung Betroffene darauffolgend genannt wird. Eine kausale Handlungskette des Typs ‚Handlungsträger → von der Handlung Betroffener‘ mündet schließlich in einem Satz des Typs Nomen – Verb – Nomen (NVN) oder Nomen – Nomen – Verb (NNV). Die syntaktische Struktur ist somit die ikonische Abbildung abstrahierter Handlungsmuster, die wiederum kognitiv abstrakt repräsentiert sind. Givóns Analysen zu syntaktischen Mustern sowie zu Thema-Rhema-Strukturen bilden unter anderem die Grundlage für kognitiv basierte funktionale Ansätze. Eine der zentralen Grammatiktheorien, die die Givón’schen Überlegungen systematisch weiterentwickelt, ist die Konstruktionsgrammatik (Fillmore 1988, Fillmore/Kay/O’Connor 1988, Goldberg 1995). Konstruktionen sind dabei Form-Inhalts-Paare, deren Gesamtdeutung nicht auf der Basis einzelner Komponenten abgeleitet werden kann (vgl. Goldberg 1995: 4). Die syntaktischen Muster, auf die sich die Analysen von Fillmore sowie Goldberg beziehen, zeichnen sich durch einzelsprachlich konventionalisierte interne und externe Eigenschaften (vgl. Fillmore 1988: 36) aus. Das erwähnte syntaktische Muster (NVN) wäre solch ein Form-Inhalts-Paar mit spezifischen externen und internen Merkmalen, das als transitive Konstruktion eingestuft wird. Diese transitive Konstruktion zeichnet sich im Deutschen durch eine kontextuell bedingte Konstituentenabfolge aus und kann dabei zwischen NVN, NNV oder VNN variieren. In kanonischen Bedingungen verweist die erste NP (N1) auf den Handlungsträger und die zweite (N2) auf einen von der Handlung betroffenen Aktanten. Die syntaktische Struktur kodiert damit unabhängig vom ‚Füllmaterial‘, das heißt von spezifischen Lexemen, einen spezifischen Handlungsrahmen. Die Konstruktionsgrammtik legt damit wie auch andere Ansätze den Fokus auf den Zusammenhang spezifischer semantischer Relationen und ihrer ‚Sichtbarkeit‘ in syntaktischen sowie morphologischen und phonologischen Mustern und betrachtet diese Muster als Kernbestandteil einzelsprachlicher Grammatiken. Die Konstruktionsgrammatik orientiert sich insofern an Prinzipien der Kognitiven Grammatik, als sie annimmt, dass Sprecher über spezifische kognitive Fähigkeiten verfügen, die es ihnen ermöglichen, Sprache als System zu erlernen, zu gebrauchen und zu verändern. Insbesondere für den Spracherwerb gilt dabei, dass mithilfe dieser Fähigkeiten der sprachliche Input gewissermaßen nach wiederkehrenden bedeutungstragenden Mustern analysiert wird. Das Finden und Verwenden dieser Muster bildet dann auch die Basis für die sprachliche Entwicklung. Zu diesen Fähigkeiten gehören vor allem die Kategorienbildung, Klassifikation, Analogiebildung und Abstraktion (vgl. Langacker 2000a), die domänenübergreifend arbeiten und in jedem Bereich des Wissenserwerbs und damit auch – jedoch nicht nur – beim Sprachlernen und Sprachverwenden zum Einsatz kommen. Regularitäten (und damit auch Konstruktionen) im grammatischen System wären im Sinne der Kognitiven Grammatik das Resultat von Kategorisierungs- und Analogisierungsverfahren. Die kognitive Kategorienbildung bildet sich entsprechend an der sprachlichen Oberfläche und damit im Sprachgebrauch ab. Das Vorhandensein abstrakter Einheiten wie der oben beschriebenen Konstruktionen ist Resultat dieser Kategorien- und Analogiebildung und mündet in abstrakte Muster, die nicht nur Sprachverarbeitung und -produktion, sondern sprachliche Entwicklungsprozesse steuern. Linguistische Analysen verfolgen im Kontext der Kognitiven Grammatik damit das Ziel, Muster aufzufinden und davon ausgehend Rückschlüsse auf kognitive Strukturen und Mechanismen zu ziehen. Funktionalistische Ansätze teilen weiterhin die Annahme, dass grammatische Charakteristika von Sprache auf Interaktion, also dem Sprachgebrauch, fußen und rücken somit den Sprecher und seinen Umgang mit sprachlichen Strukturen ins Zentrum ihrer Analyse.
Читать дальше