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Vor einer Freigabeentscheidung im Vor- oder Hauptverfahren darf ein anmeldepflichtiger Zusammenschluss nicht vollzogen werden (Art. 7 Abs. 1).
a) Inhalt des Vollzugsverbots
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Was genau unter dem Begriff des „Vollzugs“ zu verstehen ist, wird in der FKVO nicht definiert. Unstreitig ist zunächst, dass der Abschluss des dem Erwerbsvorgang zugrundeliegenden Kausalgeschäftes, etwa eines Kaufvertrags über Unternehmensanteile, keinen Vollzug darstellt, da der Erwerbsvorgang hierdurch noch nicht bewirkt wird. Vollzugshandlungen sind jedoch alle Rechtshandlungen, die die Vollendung des Zusammenschlusses herbeiführen, wie etwa die dingliche Übertragung von Gesellschaftsanteilen oder von Vermögenswerten. Aus diesem Grund sollte das dingliche Vollzugsgeschäft in einem Unternehmenskaufvertrag stets unter die aufschiebende Bedingungder Freigabe durch die Kommission gestellt werden. Darüber hinaus können auch rein tatsächliche Handlungen einen faktischen Vollzug eines Zusammenschlusses bewirken. Solche faktischen Vollzugsmaßnahmen sind tatsächliche Handlungen, welche die Wirkungen des Zusammenschlusses vorwegnehmen. Die Abgrenzung zu zulässigen Vorbereitungsmaßnahmen kann im Einzelfall schwierig sein. Nach der Rechtsprechung des EuGH werden vom Vollzugsverbot alle Vorgänge umfasst, die ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich zu einer Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen beitragen bzw. hierfür erforderlich sind.[76] Beispielsfälle für unzulässige faktische Vollzugshandlungen sind die Möglichkeit zur faktischen Einwirkung des Erwerbers auf die Unternehmensführung, auf die Ernennung oder Abberufung von Führungskräften der Zielgesellschaft oder der vorzeitige Transfer von Managementverantwortung auf den Erwerber, die organisatorische Zusammenführung und Integration der sich zusammenschließenden Unternehmen, das Aufsetzen eines gemeinsamen Reportings, die Integration von EDV-Systemen, die Abstimmung und Anpassung von Produkten, die Abstimmung der jeweiligen Marketing- und Absatztätigkeiten, ein gemeinsamer Marktauftritt (z.B. bei Messen) oder ein gemeinsamer Vertrieb. Grundsätzlich zulässig sind dagegen reine Vorbereitungshandlungen wie gemeinsame Personalplanungen und Benennung zukünftiger Teams und Führungspositionen (sofern die Posten erst nach Freigabe übernommen werden), die Erarbeitung der (gemeinsamen) Reporting- und Organisationsstrukturen, das Erarbeiten der zukünftigen Unternehmensstrategie, des gemeinsamen Marktauftritts oder des Geschäftsplans für die Zeit nach Wegfall des Vollzugsverbots und Informationsveranstaltungen mit den Mitarbeitern des Zielunternehmens. Nicht abschließend geklärt ist, ob bereits die einseitige Zahlung des Kaufpreises durch den Erwerber gegen das Vollzugsverbot verstößt. Zum Teil wird argumentiert, dass ein Veräußerer, der bereits den vollständigen Kaufpreis und nicht nur eine Anzahlung erhalten habe, das Geschäft automatisch im Interesses des Erwerbers weiter führen wird. Hiergegen spricht jedoch, dass eine solche Rücksichtnahme im Geschäftsleben keineswegs pauschal angenommen werden kann und überhaupt nur dann in Betracht kommt, wenn der Veräußerer bislang selbst unmittelbar in die Unternehmensführung eingebunden war (z.B. als geschäftsführender Gesellschafter).
b) Maßnahmen zwischen Signing und Closing (pre closing covenants)
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In vielen Unternehmenskaufverträgen wird geregelt, dass der Veräußerer während des Zeitraums zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages (Signing) und dessen dinglichem Vollzug (Closing) bestimmte, das Zielunternehmen betreffende Maßnahmen, nicht oder nur mit vorheriger Zustimmung des Erwerbers durchführen darf. Der Erwerber soll hierdurch davor geschützt werden, dass der wirtschaftliche Wert des Zielunternehmens, der Grundlage für die Berechnung des Kaufpreises war, nachträglich geschmälert wird, etwa indem Vermögensgegenstände veräußert oder Darlehen aufgenommen werden. Grundsätzlich sind solche ‚pre closing covenants‘ mit dem Vollzugsverbot vereinbar, wenn sie sich darauf beschränken, den Wert des Erwerbssubstrats zu erhalten und grundlegende Veränderungen zu verhindern.[77] Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich die ‚pre closing covenants‘ nicht hierauf beschränken, sondern eine Einflussnahme des Erwerbers auf das Alltagsgeschäft des Zielunternehmens ermöglichen. So hat die Kommission einen Katalog von zustimmungsbedürftigen Maßnahmen als Verstoß gegen das Vollzugsverbot beanstandet, der einen Zustimmungsvorbehalt bei der Bestellung und Abberufung des „Senior Managements“ vorsah, dem Erwerber Einfluss auf die Preispolitik, auf Kundenverträge und Werbekampagnen des Zielunternehmens gewährte und derart niedrige Wertschwellen vorsah, dass der Erwerber Einfluss auf das Tagesgeschäft des Zielunternehmens erhielt.[78] Für die Frage, wann eine Wertschwelle zu niedrig ist, stellte die Kommission vor allem auf einen Vergleich des Schwellenwertes mit dem Unternehmenswert/Kaufpreis und dem Jahresumsatz des Zielunternehmens ab sowie auf eine vergleichende Analyse, welche Verträge der Erwerber in der Due Dilligence als prüfenswert angesehen hatte.
c) Ausnahmen und Befreiung vom Vollzugsverbot
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Auf Antrag der Beteiligten kann die Kommission unter engen Voraussetzungen eine Befreiung vom Vollzugsverbot erteilen (§ 7 Abs. 3). Eine Ausnahme vom Vollzugsverbotgilt für öffentliche Kauf- oder Tauschangebote, die bei der Kommission angemeldet wurden (Art. 7 Abs. 2).
d) Rechtsfolgen eines Verstoßes
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Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot kann von der Kommission mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 10 % des von den beteiligten Unternehmen erzielten Gesamtumsatzes geahndet werden (Art. 14 Abs. 2 lit. b). Die Kommission geht seit einigen Jahren nachdrücklich gegen Verstöße vor und schreckt dabei auch nicht vor der Verhängung hoher Bußgelder zurück.[79] Darüber hinaus sind unter Missachtung des Vollzugsverbots geschlossene Rechtsgeschäfte schwebend unwirksam(Art. 7 Abs. 4). Davon betroffen sind die als Vollzug zu qualifizierenden Rechtshandlungen, d.h. nach deutschem Recht die dingliche Übertragung. Das zugrundeliegende schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft bleibt dagegen wirksam und zwar auch dann, wenn es keine aufschiebende Bedingung für den Vollzug enthält. Wird der Zusammenschluss später freigegeben, so wird das dingliche Vollzugsgeschäft rückwirkend wirksam; bei einer Untersagung ist es dagegen als von Anfang an unwirksam anzusehen.
5. Gerichtlicher Rechtsschutz
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Die FKVO selbst enthält keine ausdrückliche Regelung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Bezug auf Genehmigungs- oder Untersagungsentscheidungen, so dass insoweit die allgemeinen Vorschriften der Art. 263 ff. AEUV zur Anwendung kommen. Wichtigste Klageart ist insoweit die Nichtigkeitsklage(Art. 263 AEUV), die sich gegen alle anfechtbaren Handlungen der Kommission richten kann, sofern diese verbindliche Rechtswirkung erzeugen und die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen.[80] Danach können die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen sowohl Untersagungs- und Entflechtungsentscheidungen als auch die Nebenbestimmungen einer Freigabe unter Bedingungen oder Auflagen anfechten, da die Zusagen von den Unternehmen regelmäßig nur zur Abwendung einer Verbotsentscheidung abgegeben werden und ihr eigentliches Ziel eine bedingungslose Freigabe ist. Nicht angreifbar ist dagegen die Eröffnung des Hauptprüfungsverfahrens, da es sich hierbei lediglich um eine vorbereitende Maßnahme innerhalb eines mehrstufigen Verfahrens handelt.
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Dritte, die von einer Entscheidung der Kommission unmittelbar und individuell betroffen sind, können Freigabeentscheidungen mit einer Konkurrentenklageangreifen. Die erforderliche Betroffenheit ist dann gegeben, wenn der Dritte am Verwaltungsverfahren vor der Kommission beteiligt war und angehört wurde oder die Entscheidung seine Wettbewerbsposition spürbar beeinträchtigt.[81]
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