IV. Das Fusionskontrollverfahren
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Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung sind nach Art. 4 Abs. 1 FKVO vor ihrem Vollzug bei der Kommission anzumelden. Innerhalb der Kommission ist die Generaldirektion Wettbewerb für die Prüfung zuständig. Die Generaldirektion Wettbewerb empfiehlt den beteiligten Unternehmen eine frühzeitige Kontaktaufnahme und die Einreichung eines Anmeldeentwurfs vor der förmlichen Anmeldung.[73] Im Rahmen von Vorgesprächen können die Parteien vor allem Zuständigkeits- und Rechtsfragen sowie den inhaltliche Umfang der Anmeldung mit der Kommission abstimmen.
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Für die Anmeldung des Zusammenschlusses bei der Kommission gibt es keine Anmeldefrist. Die Anmeldung muss jedoch vor dem Vollzug des Zusammenschlusses erfolgen. Eine Anmeldung ist nicht erst nach Vertragsschluss (signing) zulässig, sondern kann bereits dann erfolgen, wenn die Unternehmen der Kommission gegenüber glaubhaft machen, dass sie gewillt sind, einen Vertrag abzuschließen oder im Falle eines Übernahmeangebots öffentlich ihre Absicht zur Abgabe eines solchen Angebots bekundet haben (Art. 4 Abs. 1 FKVO). Dieser Wille zum Vertragsschluss kann etwa anhand von unterzeichneten Grundsatzvereinbarungen oder Absichtserklärungen (letter of intent) dargetan werden.
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Zur Anmeldung verpflichtet sind die an einer Fusion oder der Begründung einer gemeinsamen Kontrolle beteiligten Unternehmen gemeinsam, in allen anderen Fällen der Erwerber der Kontrolle(Art. 4 Abs. 2). Die formellen Anforderungen an die Anmeldung sind in einer Durchführungsverordnung (DVO) geregelt.[74] Diese bestimmt u.a., dass die Anmeldung auf Grundlage eines Formblattes ( Form CO) zu erfolgen hat, in dem sehr detaillierte Informationen zu den beteiligten Unternehmen, zum Zusammenschlussvorhaben, den betroffenen Märkten, den Abnehmern und den Wettbewerbern abgefragt werden. Besonders umfangreich sind die Angaben, wenn sogenannte betroffene Märkte vorliegen. Ein solcher liegt dann vor, wenn die Beteiligten in demselben Produktmarkt tätig sind und dort einen gemeinsamen Marktanteil von 15 % oder mehr haben oder auf einem Produktmarkt tätig sind, der einem anderen Produktmarkt vor- oder nachgelagert ist, auf dem sich ein anderes beteiligtes Unternehmen betätigt und ihr Marktanteil auf dem einen oder anderen Markt einzeln oder gemeinsam 25 % oder mehr beträgt. Für bestimmte, genau definierte, im Allgemeinen von vornherein unproblematische Fälle ist eine Anmeldung in Kurzform möglich. Um vollständig zu sein, muss die Anmeldung alle Angaben enthalten, die im maßgebenden Formblatt CO aufgeführt sind. Die Vollständigkeit der Anmeldung ist Voraussetzung für den Beginn des Fristenlaufs im Vorverfahren (Art. 4 Abs. 2 DVO). Die Kommission veröffentlicht die Tatsache der Anmeldung im Amtsblatt der Europäischen Union, damit interessierte Dritte Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
2. Das Vorprüfungsverfahren (Phase I)
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Das sich an den Eingang der vollständigen Anmeldung anschließende Fusionskontrollverfahren gliedert sich in zwei Abschnitte, das Vorprüfungsverfahren (Phase I) und das Hauptprüfungsverfahren (Phase II). Innerhalb des Vorprüfungsverfahrens untersucht die Kommission zum einen, ob der Anwendungsbereich der FKVO eröffnet ist und zum anderen, ob der Zusammenschluss Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt. Gelangt die Kommission zu dem Ergebnis, dass die FKVO nicht anwendbar ist, weil entweder kein Zusammenschlusstatbestand erfüllt ist oder die Umsatzschwellen der FKVO nicht erreicht sind, so stellt sie dies durch Entscheidung fest (Art. 6 Abs. 1 lit. a). Fällt der Zusammenschluss zwar unter die FKVO, sieht die Kommission jedoch keine ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt, so gibt sie ihn durch eine Unbedenklichkeitsentscheidung frei (Art. 6 Abs. 1 lit. b). Bereits in der Ersten Phase können die Unternehmen gegenüber der Kommission Zusagenabgeben, mit denen sie sich verpflichten, den Zusammenschluss so zu gestalten, dass er mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. Entsprechende Angebote müssen die Unternehmen spätestens 20 Arbeitstage ab dem Datum des Eingang der Anmeldung vorlegen (Art. 19 Abs. 1 DVO). Die Kommission kann die Unbedenklichkeitsentscheidung in diesem Fall zur Absicherung der Einhaltung der Zusagen mit Bedingungen und Auflagenverbinden (Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2). Liegen dagegen klare und erhebliche Anhaltspunkte vor, die für eine Behinderung wirksamen Wettbewerbs infolge des Zusammenschlusses sprechen, so leitet die Kommission aufgrund ernsthafter Bedenken das Hauptprüfungsverfahren durch Erlass einer Entscheidung nach Art. 6 Abs. 1 lit. c) ein.
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Grundsätzlich muss die Kommission die Entscheidungen Im Vorprüfungsverfahren innerhalb einer Frist von 25 Arbeitstagentreffen (Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1). Die Frist beginnt mit dem Arbeitstag, der auf den Tag des Eingangs der vollständigen Anmeldung folgt, und verlängert sich auf 35 Arbeitstage, wenn ein Mitgliedstaat einen Verweisungsantrag nach Art. 9 Abs. 2 stellt oder die beteiligten Unternehmen nach der Anmeldung Zusagen anbieten (Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2). Trifft die Kommission innerhalb der vorgenannten Fristen keine Entscheidung, so gilt der Zusammenschluss als freigegeben (Art. 10 Abs. 6).
3. Das Hauptprüfungsverfahren (Phase II)
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Mit der Einleitung des Hauptprüfungsverfahrens beginnt ein neuer Verfahrensabschnitt mit neuer Fristenrechnung. Innerhalb von 90 Arbeitstagenmuss die Kommission nun endgültig über die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt entscheiden (Art. 10 Abs. 2). Diese Frist verlängert sich auf 105 Arbeitstage, wenn die beteiligten Unternehmen Zusagen anbieten, es sei denn, das Zusagenangebot wurde weniger als 55 Arbeitstage nach Einleitung des Verfahrens unterbreitet (Art. 10 Abs. 3). Darüber hinaus wird die Frist gem. Art. 10 Abs. 3 auf Antrag der beteiligten Unternehmen, der spätestens 15 Arbeitstage nach Einleitung des Verfahrens gestellt werden muss, um bis zu 20 Tage verlängert. Erhärten sich die Bedenken der Kommission aufgrund ihrer Ermittlungen, insbesondere in Form von schriftlichen Auskunftsverlangen an die beteiligten Unternehmen bzw. an deren Wettbewerber und Abnehmer, so übermittelt sie den Beteiligten ihre Beschwerdepunkte(statement of objections). Die Beschwerdepunkte – wie auch die anschließende mündliche Anhörung – dienen der Gewährung rechtlichen Gehörs.
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Die Kommission kann das Hauptprüfungsverfahren durch drei mögliche Entscheidungen abschließen: Freigabe des Zusammenschlusses (Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 1), Freigabe unter Bedingungen und Auflagen (Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2) oder Untersagung (Art. 8 Abs. 3). Soweit die beteiligten Unternehmen im Wege von Zusageneine Änderung des ursprünglichen Zusammenschlussvorhabens vorschlagen, um eine Freigabeentscheidung zu erreichen, sind diese der Kommission nicht später als 65 Arbeitstagenach dem Zeitpunkt der Einleitung des Hauptprüfungsverfahrens vorzulegen (Art. 19 Abs. 2 VerfO FKVO). Genauso wie im Vorverfahren kann die Kommission in diesem Fall ihre Entscheidung mit Bedingungen und Auflagen verbinden, um sicherzustellen, dass die Zusagen auch eingehalten werden.
Haben die Unternehmen den Zusammenschluss bereits vor einer Untersagungsentscheidung oder unter Verstoß gegen eine Bedingung vollzogen, kann die Kommission dessen Entflechtunganordnen (Art. 8 Abs. 4).[75]
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