Ein Kontrollerwerb liegt dann nicht vor, wenn eine bereits bestehende Kontrolle lediglich verstärkt oder inhaltlich modifiziert wird, z.B. wenn eine einfache Mehrheit von über 50 % auf eine qualifizierte Mehrheit von 75 % oder auf 100 % des stimmberechtigten Kapitals aufgestockt wird.[88] Ändert sich jedoch die Qualität der Kontrolle, d.h. kommt es zu einer Umwandlung von alleiniger zu gemeinsamer oder umgekehrt von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle, so wird hierdurch ein neuer Zusammenschluss bewirkt.
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Gem. § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB stellt auch der Erwerb von Anteilen an einem anderen Unternehmen einen Zusammenschluss dar, wenn die Anteile allein oder zusammen mit sonstigen dem Unternehmen bereits gehörenden Anteilen 25 % oder 50 % des Kapitals oder der Stimmrechte des anderen Unternehmens erreichen. Das Erreichen jeder Anteilsschwelle verwirklicht einen eigenen Zusammenschluss, so dass durch eine Kapitalaufstockung an ein und demselben Unternehmen der Zusammenschlusstatbestand mehrfacht erfüllt werden kann.[89] Nach Erreichen einer Schwelle fällt die weitere (sukzessive) Aufstockung bis zur nächsten Schwelle dagegen nicht unter § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB, z.B. von 25 % oder mehr auf 49 % oder von 50 % oder mehr auf 100 %.
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Ist das erwerbende Unternehmen ein verbundenes Unternehmen i.S.d. § 36 Abs. 2 GWB, so sind alle Konzernunternehmen bei der Berechnung der Beteiligungsquoten als einheitliches Unternehmen anzusehen.[90] Anteile, die Dritten für Rechnung des erwerbenden Unternehmens gehören, sind den Anteilen dieses Unternehmens zuzurechnen (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 GWB). Auch der Erwerb von Anteilen im Rahmen der Gründung einer neuen Gesellschaft durch mehrere Gesellschafter stellt grundsätzlich einen Zusammenschluss im o.g. Sinne dar, soweit die jeweiligen Beteiligungsschwellen erreicht werden.[91] Dagegen reicht es nicht aus, wenn nur eine Option auf einen (späteren) Anteilserwerb erworben wird.[92] Darüber hinaus richtet sich die Frage nach dem Vorliegen eines Zusammenschlusstatbestandes nicht nach der Rechtsform des Zielunternehmens. Selbst wenn Anteile an einem Unternehmen erworben werden, das kein Gesellschaftskapital hat, kann die Aufnahme in die Gesellschaft einen Zusammenschlusstatbestand darstellen. Kapital- und Stimmrechtsbeteiligungen stehen gleichberechtigt nebeneinander, so dass auch der Erwerb einer Kapitalbeteiligung ohne jegliche Stimmrechte oder der Erwerb von Stimmrechten ohne die entsprechende Beteiligungsquote anmeldepflichtig sein kann.
Erwerben der Käufer und ein anderes Unternehmen gleichzeitig oder nacheinander Anteile in dem vorbezeichneten Umfang an einem anderen Unternehmen, gilt dies auch als Zusammenschluss der sich beteiligenden Unternehmen untereinander im Hinblick auf die Märkte, auf denen das Zielunternehmen tätig ist (Gemeinschaftsunternehmen, § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 GWB). Diese Fiktion eines Teilzusammenschlusses zwischen den Muttergesellschaftern kann insbesondere die Einbeziehung eines „Altgesellschafters“ in den Kreis der an der Transaktion „beteiligten Unternehmen“ (und die Berücksichtigung dessen Umsatzerlöse bei der Ermittlung der Umsatzschwellen) erforderlich machen.
4. Wettbewerblich erheblicher Einfluss
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Nach § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB liegt ein Zusammenschluss auch bei jeder sonstigen Verbindung von Unternehmen vor, aufgrund deren ein oder mehrere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen wettbewerblich erheblichen Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben können. Die Regelung hat die Funktion eines Auffangtatbestandes, mit dem wettbewerblich problematische Unternehmensverbindungen erfasst werden sollen, bei denen die Beteiligungsschwellen von 25 bzw. 50 % nicht erreicht werden und auch keine alleinige oder gemeinsame Kontrolle begründet wird. Der Gesetzgeber wollte damit insbesondere Minderheitsbeteiligungen zwischen Wettbewerbern (sog. „24,99 %-Fälle“) der Fusionskontrolle unterwerfen.
Der wettbewerblich erhebliche Einfluss muss in jedem Fall gesellschaftsrechtlich vermitteltsein, d.h. auf einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung beruhen,[93] so dass rein faktische Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit eines anderen Unternehmens, z.B. aufgrund externer Austauschbeziehungen wie etwa durch Liefer-, Lizenz- oder Darlehensverträgen, für sich nicht ausreichend sind. Erforderlich ist, dass aufgrund des zwischen den Unternehmen bestehenden Beziehungsgeflechts zu erwarten ist, dass der Wettbewerb zwischen ihnen so wesentlich beschränkt wird, dass sie nicht mehr unabhängig am Markt auftreten können. Die Einflussmöglichkeiten können sich dabei insbesondere aus Informations-, Mitsprache- und Kontrollmöglichkeiten sowie aus Vorkaufsrechten ergeben (sog. „Plusfaktoren“), wenn diese die Unternehmensverbindung trotz der geringen Anteilshöhe als eine Beteiligung erscheinen lassen, die mit einem Anteilserwerb von 25 % und mehr als gleichwertig anzusehen ist.[94] Im Einzelfall können daher auch Beteiligungen von unter 10 % einen „wettbewerblich erheblichen Einfluss“ vermitteln.[95] Auch das Vorhandensein eines Mehrheitsgesellschafters schließt einen solchen Einfluss nicht aus, wenn aufgrund der Art der Vertragsgestaltung und der wirtschaftlichen Verhältnisse davon auszugehen, dass dieser auf die Vorstellungen des Minderheitsgesellschafters Rücksicht nimmt oder diesem freien Raum lässt.[96]
5. Einschränkungen des Zusammenschlussbegriffs
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In § 37 Abs. 2 GWB wird klargestellt, dass auch bereits zusammengeschlossene Unternehmen erneut einen anmeldepflichtigen Zusammenschlusstatbestand verwirklichen können, es sei denn, der Zusammenschluss führt nicht zu einer wesentlichen Verstärkung der bestehenden Unternehmensverbindung. Ein praktisch bedeutsamer Anwendungsfall hierfür sind konzerninterne Umstrukturierungen. So erfüllen konzerninterne Neugründungen (z.B. einer 100 %igen Vertriebstochter) oder konzerninterne Restrukturierungen (z.B. Fusion zweier 100 %iger Tochtergesellschaften) grundsätzlich keinen Zusammenschlusstatbestand, da es hierbei i.d.R. nicht zu einer wesentlichen Verstärkung der Unternehmensverbindungkommt. Das gleiche Ergebnis lässt sich auch aus der Vorschrift des § 36 Abs. 2 S. 1 GWB ableiten, die konzernmäßig verbundene Unternehmen grundsätzlich als einheitliches Unternehmen betrachtet. Das darin zum Ausdruck kommende „Konzernprivileg“ basiert auf der Überlegung, dass eine – jedenfalls potenziell vorhandene – einheitliche Leitungsmacht die Zusammenfassung verschiedener juristischer Personen zu „einem“ Unternehmen i.S.d. Fusionskontrollregeln rechtfertigt. Eine wesentliche Verstärkung und damit ein neuer Zusammenschluss ist grundsätzlich aber dann anzunehmen, wenn zunächst eine Beteiligung von 25 % erworben wird, die dann später auf 50 % aufgestockt wird oder ein Anteilserwerb durch den Abschluss zusätzlicher Unternehmensverträge ergänzt und abgesichert wird.[97] Die Beweislast für die fehlende Verstärkung liegt bei den Unternehmen.
Für den Anteilserwerb durch Kreditinstitute, Finanzinstitute und Versicherungen sieht das Gesetz eine Ausnahme vor (sog. Bankenklausel), um das Emissions- und Wertpapierhandelsgeschäft zu erleichtern. Nach § 37 Abs. 3 GWB liegt kein anmeldepflichtiger Zusammenschluss vor, wenn diese Unternehmen Anteile an einem Unternehmen erwerben, um diese später wieder auf dem Markt zu verkaufen. Allerdings dürfen die Institute die Stimmrechte aus diesen Anteilen nicht ausüben und müssen die Anteile innerhalb eines Jahres wider veräußern, wobei das Bundeskartellamt diese Frist verlängern kann.
II. Umsatzschwellen
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Verwirklicht eine M&A-Transaktion einen Zusammenschlusstatbestand, so fällt sie nur dann in den Geltungsbereich der deutschen Fusionskontrolle, wenn die beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen erreichen oder überschreiten. § 35 Abs. 1 GWB bestimmt insoweit drei kumulative Umsatzschwellen bestimmt. Die Fusionskontrollvorschriften sind danach anwendbar, wenn im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss
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