III. Wettbewerbliche Beurteilung von Zusammenschlüssen
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Liegt ein Zusammenschluss vor und hat dieser gemeinschaftsweite Bedeutung, so muss die Kommission diesen auf seine Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt hin überprüfen. Das entscheidende Beurteilungskriterium in Art. 2 Abs. 3 (und spiegelbildlich Abs. 2) wurde mit der Novellierung der FKVO zum 1.5.2004 neu gefasst. Alleiniges Untersagungskriterium ist danach die erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs im Gemeinsamen Marktoder einem wesentlichen Teil desselben.[47] Die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung wird nur noch als Regelbeispiel für eine solche Wettbewerbsbehinderung genannt.
Mit der Neufassung des Untersagungskriteriums sollte eine (vermeintliche) Lücke des Marktbeherrschungstestsbei bestimmten Zusammenschlüssen in oligopolistisch strukturierten Märkten geschlossen werden. Wie im Erwägungsgrund 25 klargestellt wird, sollen mit der FKVO auch solche wettbewerbsschädigenden Auswirkungen eines Zusammenschlusses erfasst werden, die sich aus nicht koordiniertem Verhalten von Unternehmen ergeben, die auf dem jeweiligen Markt keine beherrschende Stellung haben. Angesprochen sind damit Zusammenschlusssituationen, in denen die neue Einheit zwar nicht den höchsten Marktanteil im Markt erreicht, aber durch den Wegfall des zwischen den Beteiligten herrschenden Binnenwettbewerbs durch sog. „unilaterale Effekte“( unilateral effects ) in die Lage versetzt werden könnte, über dem Wettbewerbsniveau liegende Preise durchzusetzen. Dessen ungeachtet ist das Marktbeherrschungskriterium nach Auffassung der Kommission weiterhin von tragender Bedeutung für die Europäische Fusionskontrolle.[48]
Die materielle Beurteilung von Zusammenschlüssen nach Art. 2 erfolgt in einer zweistufigen Prüfung.[49] Zunächst wird der relevante Markt in sachlicher und räumlicher Hinsicht abgegrenzt, um die Wettbewerbskräfte zu identifizieren, die auf die beteiligten Unternehmen einwirken sowie deren tatsächliche Wettbewerber. In einem zweiten Schritt wird dann geprüft, ob der Zusammenschluss auf den zuvor definierten relevanten Märkten wirksamen Wettbewerb erheblich behindern würde. Bei kooperativen Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen sind zudem etwaige Koordinierungseffekte nach Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV zu prüfen.
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Die FKVO enthält keine ausdrückliche Definition des relevanten Marktes, so dass die Kommission auf bewährte Kriterien der Kartellrechtspraxis, insbesondere auf den Marktbegriff der Art. 101 und 102 AEUV zurückgreift. Zudem hat die Kommission ein eigene allgemeine Mitteilung zur Definition des relevanten Marktes erlassen.[50] Die Marktabgrenzung im Rahmen der Fusionskontrolle verlangt allerdings stets eine Prognose der zukünftigen Marktverhältnissenach dem Zusammenschluss. Entscheidend ist, wie sich der Markt nach dem Zusammenschluss in einem überschaubaren Zeitraum darstellen wird, so dass es einer Berücksichtigung der Dynamik des Marktgeschehens, der zu erwartenden technischen Entwicklungen und der zukünftigen rechtlichen Rahmenbedingungen bedarf. In problematischen Fällen „steht und fällt“ die Freigabefähigkeit eines Vorhabens häufig mit der Marktabgrenzung. Je enger der Markt abgegrenzt wird, desto geringer wird das Marktvolumen wodurch die Marktanteile der beteiligten Unternehmen auf diesem Markt steigen. Die Kommission lässt die genaue Marktabgrenzung in der Praxis allerdings dann offen, wenn ein Zusammenschluss auch bei der engst möglichen Marktabgrenzung nicht zu wettbewerblichen Problemen führt.
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Der sachlich relevante Markt umfasst grundsätzlich sämtliche Erzeugnisse bzw. Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden.[51] Zentrales Kriterium, dem sowohl die Europäischen Gerichte als auch die Kommission folgen, ist demnach die Austauschbarkeit der Produkteaus Sicht des Verbrauchers. Für die Feststellung der konkreten Austauschbarkeit kommt es vor allem auf die Produktmerkmale und den Verwendungszweck der betroffenen Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen an.[52] Als Produktmerkmalekommen dabei insbesondere technische, physikalische oder chemische Eigenschaften in Betracht. Die objektiven Produkteigenschaften sind aber nicht allein ausschlaggebend, da selbst gleichartige Produkte nicht als substituierbar angesehen werden können, wenn sie aus Sicht der Verbraucher unterschiedliche Verwendung finden. Produkte sind nur dann austauschbar, wenn sie von den Verbrauchern in gleicher Weise verwendet werden können. Häufig untersucht die Kommission im Zusammenhang mit der Nachfragesubstituierbarkeit, ob die Abnehmer der Produkte als Reaktion auf eine angenommene kleine dauerhafte Erhöhung der relativen Preise um etwa 5-10 % auf andere Produkte ausweichen würden.[53] Ergänzend berücksichtigt die Kommission zudem die angebotsseitige Austauschbarkeit. Nach dem Konzept der Angebotsumstellungsflexibilitätkönnen auch solche Produkte zu einem Markt gehören, die zwar aus Sicht der Nachfrager nicht austauschbar sind, auf die die Anbieter ihre Produktion aber ohne größere technische oder wirtschaftliche Schwierigkeiten zeitnah umstellen können.[54]
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Die räumliche Marktabgrenzung dient dem Zweck, das geographische Territorium zu fixieren, auf dem die Auswirkungen des Zusammenschlusses, insbesondere die Marktmacht der beteiligten Unternehmen und ihrer Wettbewerber untersucht werden sollen. Die Bestimmung des räumlich relevanten Marktes ist gerade in dem sich dynamisch entwickelnden europäischen Binnenmarkt einerseits außerordentlich schwierig, andererseits aber von herausragender Bedeutung. Der räumlich relevante Markt wird allgemein definiert als „Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen die relevanten Produkte oder Dienstleistungen anbieten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet“.[55] Es kommt mithin auf das Gebiet an, in dem die Marktteilnehmer ihre Produkte und Dienstleistungen zu vergleichbaren Bedingungen ohne wirtschaftlich erhebliche Marktschranken vertreiben können. Die hierfür erforderliche Homogenität der Wettbewerbsbedingungenwird mittels eines zweistufigen Tests geprüft. Zunächst wird untersucht, ob die Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Hauptvertriebsgebietes der betreffenden Produkte hinreichend gleichförmig sind. Ist dies der Fall, so ist zu prüfen, ob sich die Wettbewerbsbedingungen hinreichend von denen in angrenzenden Gebieten unterscheiden. Insoweit kommt es vor allem auf das Bestehen von Marktzutrittsschrankenan. Weitere Kriterien, die von der Kommission zur Überprüfung der Homogenität eines Marktes herangezogen werden, sind die Zugangsbedingungen zu den Vertriebswegen, der Sitz des Unternehmens, Verbrauchergewohnheiten, das Bestehen erheblicher Unterschiede bei den Marktanteilen der Unternehmen oder nennenswerter Preisunterschiede zwischen dem Gebiet und den benachbarten Gebieten, die Erforderlichkeit einer Gebietspräsenz, um in einem bestimmten Gebiet verkaufen zu können, die Kosten der Errichtung eines Vertriebsnetzes sowie insbesondere die Transportkosten.
Im Einzelnen hat die Kommission bislang unterschieden zwischen lokalen, regionalen, nationalen, mehrere Mitgliedstaaten umfassenden und gemeinschaftsweiten Märktensowie schließlich Weltmärkten.
2. Erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs
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