268
Beim Abschluss der TV darf kein Druck auf den Steuerpflichtigenin Bezug auf das Zustandekommen der TV ausgeübt werden, der über die normale mit dem Strafverfahren einhergehende Belastungssituation hinausgeht. Eine Verbindung der TV mit sachfremden Erwägungen (z.B. höhere Strafandrohung, wenn keine TV abgeschlossen wird) ist unzulässig. Es ist jedoch zulässig einen gemeinsamen Abschluss von Besteuerungsverfahren und Strafverfahren anzustreben, selbst wenn steuerlich dabei eine TV abgeschlossen wird.
269
Wahrheitswidrige Angabendes Steuerpflichtigen oder Täuschungen durch ihn oder seinen Vertreter sind schädlich für den mit der TV angestrebten Zweck und können zum nachträglichem Wegfall der Bindungswirkung der TV führen, wenn das Finanzamt Vorsatz nachweisen kann.
270
Ein Hauptfehler bei Abschluss der TVwäre jedoch eine Unzuständigkeit der handelnden Personen (z.B. Steufa-SGL schließt TV für das Finanzamt ab). Aus Seiten der Finanzverwaltung muss der für die Steuerfestsetzung zuständige Beamte die TV unterschreiben. Dazu muss er – wenn auch rudimentär – selbst in die Verhandlungen eingebunden sein. Das BMF-Schreiben vom 30.7.2008 geht fehl mit der Aussage, dass der zuständige Amtsträger beim Abschluss der TV nicht beteiligt sein muss, weil dieser Mangel durch ausdrückliche nachträgliche Zustimmung gegenüber allen Beteiligten geheilt werden könne.[106] Diese Auffassung ist von der Rechtsprechung zur TV nicht gedeckt, weil begrifflich eine Verständigung eine Absprache unter Anwesenden voraussetzt.
c) Strafrechtlicher Abschlussbericht
271
Aus Sicht der Steuerfahndung findet das Strafverfahren seinen (vorläufigen) Abschluss mit dem strafrechtlichen Bericht, in dem die strafrechtlichen Ermittlungsergebnisse unter Verweis auf die diese tragenden Beweismittel zusammengefasst werden. Adressat des strafrechtlichen Berichts ist die Bußgeld- und Strafsachenstelle oder die Staatsanwaltschaft, für die idealerweise der strafrechtliche Bericht Vorlage für die Erstellung der Anklageschrift ist.
Regelmäßig lassen sich aus dem strafrechtlichen Abschlussbericht die Zusammenhänge des Falles besser erschließen als aus dem steuerlichen Bericht, weil hier alle für den objektiven und subjektiven Tatbestand bedeutsamen Ermittlungsergebnisse aufgeführt sein müssen[107]. Dazu gehören auch alle für die Berechnung der strafrechtlichen Verjährung erforderlichen Angaben (Datum der Erklärungsabgabe, Datum des Steuerbescheids). Der Ermittlungsanlass ist ebenso aufzuführen wie die Umstände, die für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes sprechen.
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Auf bestimmte Bereiche des strafrechtlichen Berichts sollte ein besonderes Augenmerk gerichtet werden.
aa) Der subjektive Tatbestand (Vorsatz)
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Besonders der Vorsatzbereichkommt in vielen strafrechtlichen Abschlussberichten häufig zu kurz, was sich im Regelfall aus der besonderen Struktur des Delikts der Steuerhinterziehung erklärt. Provozierend formuliert „indiziert der objektive Tatbestand die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes!“. Bei den üblichen Begehungsformen trifft dieser Satz auf die Mehrzahl der Steuerhinterziehungen zu,[108] aber eben nicht immer. Es besteht die Gefahr, dass die zweifellos vorhandenen Problemfälle im Vorsatzbereich in den strafrechtlichen Abschlussberichten zu kurz abgehandelt sind bzw. nicht gesehen werden. Die Ermittlungsbehörde muss jedoch den subjektiven Tatbestand genauso ermitteln und nachweisen wie den objektiven Tatbestand, wenn das Delikt einer Steuerhinterziehung bestraft werden soll.
bb) Die strafbefangenen Mehrsteuern
274
Die strafbefangenen Mehrsteuern sind regelmäßig Maßstab für die Schwere der Tat sowie für das sich dadurch verwirklichende kriminelle Unrecht und damit ein wichtiger Anhaltspunkt für Schuld und Strafmaß. Die steuerlichen Mehrergebnisse können regelmäßig dem steuerlichen Prüfungsbericht entnommen werden. Es wäre aber verfehlt, dieses ohne weitere Überlegungen unmittelbar auf das Strafrecht übertragen zu wollen, weil das steuerliche Mehrergebnisse regelmäßig nicht mit dem strafrechtlichen Mehrergebnis identischist. Das rührt daher, dass das Steuerrecht als Verwaltungsverfahren anderen Verfahrensgrundsätzen unterliegt als das Strafverfahren. Die Anpassung des steuerlichen Mehrergebnisses für Zwecke des Strafverfahrens muss verschiedene Unterschiede berücksichtigen:
275
a) |
Schätzungenmüssen in vielen Fällen zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durchgeführt werden. Das gilt sowohl für das Besteuerungsverfahren wie für das Strafverfahren. Beide Verfahren wenden auch grundsätzlich dieselben Schätzungsmethoden an. Kann im Strafverfahren nicht anhand der vorgefundenen Indizien und Beweismittel geschätzt werden, kommt eine generalisierende Schätzung in Betracht. Dazu können insbesondere die Richtsatzwerte der Finanzverwaltung herangezogen werden.[109] Bei der Übernahme des steuerlichen Schätzungsergebnisses ins Strafverfahren sind aber die Ergebnisse daraufhin zu überprüfen, ob sie den strafrechtlichen Grundsätzen genügen, insbesondere dem Grundsatz „in dubio pro reo “(s.u. Rn. 279f.). |
276
|
Während für steuerliche Zwecke bei Verletzung von Mitwirkungspflichten Beweismaßerleichterungen greifen,[110] wodurch sich die erforderliche Wahrscheinlichkeit der Schätzung verringert, dürfen strafrechtlich aus Mitwirkungsverweigerungen keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Die steuerliche Schätzung darf daher an den oberen Rand des gerade noch möglichen Schätzungsergebnisses gehen, während für die strafrechtliche Schätzung grundsätzlich der untere Schätzungsrahmenmaßgeblich ist.[111] |
277
|
Das gilt jedoch nur soweit als nicht Erkenntnisse über eine besonders gute Ertragslage vorliegen, weil dann nach der BGH-Rechtsprechung[112] trotz des Zweifelssatzes auch ein höherer Richtsatzwert angesetzt werden darf. Dies bedarf jedoch einer ausdrücklichen Begründung, sowohl im Steuerfahndungsbericht wie auch insbesondere im Strafurteil. |
278
b) |
Wahl der GewinnermittlungsmethodeSchätzungen folgen grundsätzlich den Regeln der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG über den sog. Bestandsvergleich (Bilanzierung). Hatte jedoch der Beschuldigte bisher sein Wahlrecht für eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ausgeübt, so ist das auch bei der (strafrechtlichen) Schätzung zu berücksichtigen und sein Gewinn nach den Grundsätzen einer Einnahmen – Überschuss – Rechnung (EÜR) zu ermitteln.[113] Der Steuerfahnder bzw. nachfolgend das Gericht im Urteil müssen dazu entsprechende Feststellungen treffen. |
279
c) |
Sicherheitszuschläge,die steuerlich gemacht werden dürfen, müssen strafrechtlich wegfallen, weil sie gegen den „in dubio“ – Grundsatz verstoßen würden. |
280
d) |
Sicherheitsabschlägesind stattdessen vorzunehmen, wenn nach dem Zweifelssatz der von der Steuerfahndung ermittelte steuerliche Gewinn nach richterlicher Überzeugungsbildung zu hoch sein kann. |
281
e) |
Rückstellungenin der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG müssen steuerlich und strafrechtlich unterschiedlich gebildet werden. Im Steuerrechtsind nach der BFH-Rechtsprechung Rückstellungen für betriebliche Mehrsteuern (z.B. Lohnsteuer, Umsatzsteuer) nach einer Steuerfahndungsprüfungaufdeckungsorientiert zurückzustellen, also erstmals im Jahr der Aufdeckung der Steuerhinterziehung für alle noch nicht festsetzungsverjährten Hinterziehungsjahre.[114] Dagegen sind betriebliche Mehrsteuern nach ihrer Aufdeckung durch eine Betriebsprüfungjeweils für das Jahr ihrer Entstehung (entstehungsorientiert) zurückzustellen. Die Verpflichtung zur Entrichtung von bisher nicht abgeführten Sozialabgabenist nach der BFH-Rechtsprechjung aber immer entstehungsorientiert zu berücksichtigen, also jeweils für die Lohnzahlungszeiträume bzw. das Jahr, in dem die jeweiligen Zeiträume endeten.[115] |
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