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Ein Fundstellenverzeichnisder in deutschsprachigen Rechtszeitschriften veröffentlichten Urteile ist unter www.egmr.org (keine offizielle Seite des Gerichtshofs) eingestellt.
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte› A. Einführung› VI. Arbeitsbelastung des Gerichtshofs
VI. Arbeitsbelastung des Gerichtshofs
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Vor allem auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts hat der EGMR dank der zahlreichen, aus unterschiedlichen nationalen Strafverfahrensordnungen stammenden Individual-Beschwerden im Laufe der Jahre europäische Mindeststandards herausbilden können.[42] Diese positive Entwicklung ist auf das Verfahren der Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) zurückzuführen, dem inzwischen – über die primäre Gewährleistung eines individuellen Menschenrechtsschutzes hinaus – mittelbar auch eine objektive Rechtsschutzfunktion zukommt.
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Statistiken und Tätigkeitsberichte des EGMR aus den letzten Jahren sind ebenso beeindruckend wie besorgniserregend.[43]Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Zahl der verkündetenUrteile (993)[44] im Jahr 2016erstmals wieder gestiegen ( 2015: 823; 2014: 891; 2013: 916; 2012: 1.093; 2011: 1.157; 2010: 1.499; 2009: 1.625; 2008: 1.543; 2007: 1.503; 2006: 1.560; 2005: 1.105; 2004: 718; 2003: 703; 2002: 844; 2001: 888; 2000: 695; 1999: 177).
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36.579Beschwerden wurden 2016als unzulässig verworfen oder aus dem Register gestrichen ( 2015: 43.133; 2014: 83.675; 2013: 89.737; 2012: 86.201; 2011: 50.677; 2010: 38.576; 2009: 33.065; 2008: 30.163; 2007: 27.033; 2006: 28.159; 2005: 27.613; 2004: 20.350; 2003: 17.272; 2002: 17.868; 2001: 8989; 2000: 6776; 1999: 3520).
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Durch die hohe Rate an Unzulässigkeitserklärungen gelang es dem EGMR im Jahr 2012 erstmals, die Zahl der anhängigen Beschwerden abzubauen, um insgesamt 16 %. Die Zahl der anhängigen Individualbeschwerdenlag am 31.12.2011 bei 151.600 Beschwerden,am 31.12.20012 nur noch bei 128.100 (gezählt werden nur diejenigen Beschwerden, die bereits einem Spruchkörper zugewiesen sind: vgl. auch: 2010: 139.650; 2009: 119.300; 2008: 97.330; 2007: 79.400; 2006: 66.500; 2005: 56.800).
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Nachdem die Zahl der anhängigen Beschwerdenin den vergangenen Jahren weiter verringert werden konnte, stieg diese im Jahr 2016 wieder um fast 25 % im Vergleich zum Vorjahr: Am 31.12.2016 lagen rund 79.750 (31.12.2013: 99.900; 31.12.2014: 69.900; 31.12.2015: 64.850) Beschwerden an.[45] Konkret für Deutschland waren Ende 2016 insgesamt 213 Beschwerden anhängig (2015: 212).[46] Die Verringerung führte der EGMR -Präsident Dean Spielmann 2014 auf zusätzliche Finanzmittel sowie auf die Einrichtung einer speziellen Sektion aus Einzelrichtern zurück, die offensichtlich unzulässige Beschwerden herausfiltern.[47] Diese Methoden sollen nun auch auf sich wiederholende Fälle angewandt werden, die immerhin knapp die Hälfte der derzeitig anhängigen Beschwerden darstellen (geschätzt 30.500 der insgesamt 64.850).[48]
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Im Jahr 2016[49] haben den Gerichtshof 53.500 Individualbeschwerden erreicht, was ein Plus von 32 % gegenüber dem Vorjahr (2015: 40.550; 2014: 56.200) darstellt.[50] Insgesamt konnten 38.505 (2015: 45.574; 2014: 86.068) Beschwerden erledigtwerden.[51] Damit konnten weniger Fälle erledigt werden, als neue hinzukamen, so dass die Zahl der anhängigen Beschwerden erstmalig wieder anstieg. Dies erklärt sich jedoch damit, dass in den vergangenen Jahren vor allem eine große Anzahl an Unzulässigkeitsentscheidungen ergangen ist. Nachdem dieser Rückstand weitgehend abgebaut ist, liegt der Fokus nunmehr verstärkt auf komplexeren und demnach zeitaufwändigeren Verfahren.[52] Allerdings fasst der Gerichtshof in den letzten Jahren auch verstärkt Verfahren, die ähnliche rechtliche Probleme betreffen, zur Entscheidung zusammen. Somit können, auch wenn die Zahl der Entscheidungen nicht weiter ansteigt wie bisher, mehr Beschwerden erledigt werden.[53]
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Speziell für Deutschlandergeben sich für das Jahr 2016 folgende Verfahrenszahlen: Insgesamt wurden 677 Beschwerdendurch den EGMR erledigt (2015: 913). Davon wurden 658 (2015: 901) Beschwerden bereits im Vorfeld als unzulässig erklärt oder aus der Liste der anhängigen Verfahren gestrichen, nur in 19 Fällen(2015: 12) entschied der EGMR durch Urteil, wobei er nur in vier Fällen tatsächlich eine Verletzung der EMRK feststellte (Art. 3, 6 und 8 EMRK). 676 (2015: 789) Verfahren wurden darüber hinaus an Spruchkörper zur weiteren Überprüfung weitergeleitet.
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Insgesamt ergingen gegen die Bundesrepublik seit 1959305 Urteile, wobei in 186 Fällen eine Gesetzesverletzung festgestellt wurde. Die Mehrzahl der Verletzungen(insgesamt 127 Fälle) betraf dabei Art. 6 EMRK(davon 102 Fälle in Bezug auf eine zu lange Verfahrensdauer), gefolgt von Verstößen gegen Art. 5 EMRK (29) und Art. 13 EMRK (24).
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Obwohl angestrebt wird, dass die Beschwerden innerhalb von drei Jahren erledigt werden, beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauerderzeit immer noch zwischen vier und fünf Jahren.
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte› A. Einführung› VII. Reformen des Kontrollsystems
VII. Reformen des Kontrollsystems
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Die große Zahl der beim EGMR eingehenden Beschwerden hat eine weitere strukturelle Reformdes Kontrollsystems erforderlich gemacht.[54] Das am 13.5.2004 zur Zeichnung aufgelegte und am 1.6.2010 in Kraft getretene 14. Protokollzur EMRK über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention (CETS 194) führte zu signifikanten Änderungen des Individualbeschwerdeverfahrens (Art. 34 EMRK).[55]
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Das Protokoll hat den Einzelrichterals neuen Spruchkörper eingeführt, der durch Mitarbeiter der Kanzlei unterstützt wird, die als nichtrichterliche Berichterstatter ( Rapporteurs ) fungieren. Der Einzelrichter kann eine Beschwerde (endgültig) für unzulässig erklären oder im Register streichen, „wenn eine solche Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann“ (Art. 27 Abs. 1 EMRK).
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Die durch das 11. P-EMRK geschaffenen, in Art. 26 Abs. 1 EMRK verankerten und seit 1998 für die Filterung eingehender Beschwerden zuständigen, aus drei Richtern bestehenden Ausschüsse( Committee ) – sie erledigten schon vor Inkrafttreten des 14. Protokolls 90 % aller eingehenden Beschwerden – dürfen nun zeitgleich mit der Entscheidung über die Zulässigkeitauch (endgültig) über die Begründetheit einer Beschwerdebefinden, dies allerdings nur auf der Grundlage einer „gefestigten Rechtsprechung“ des Gerichtshofs ( well-established case -law; Art. 28 EMRK).
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