13
Da die EMRK innerhalb der deutschen Rechtsordnung (nur) im Range eines Bundesgesetzes steht ( Rn. 6), kann ein Bf. vor dem BVerfG nicht unmittelbardie Verletzung eines in der Konvention garantierten Menschenrechts mit der Verfassungsbeschwerderügen.[25] Die Bestimmungen der Konvention selbst ebenso wie die Urteile des EGMR scheiden daher als unmittelbarer Prüfungsmaßstabfür ein Verfahren vor dem BVerfG aus (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG; § 90 Abs. 1 BVerfGG).[26] Da die EMRK zwar geltendes Bundesrecht, nicht aber zugleich Teil der Verfassungen der Länder ist, kann (auch) eine Verfassungsbeschwerde nach Landesrechtnicht auf eine ihrer Bestimmungen gestützt werden.[27]
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Es bleibt aber die Möglichkeit, das einer EMRK-Bestimmung „parallele Grundrecht“ zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde zu machen und dieses sodann über das Gebot einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung mit Hilfe der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR „inhaltlich anzureichern“ .
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Die „Nichtberücksichtigung“ einer einschlägigen EGMR -Judikatur (dazu Rn. 8) kann zudem als Verstoß gegen das jeweils betroffene parallele Grundrecht i.V.m dem Rechtsstaatsprinzip(Art. 20 Abs. 3 GG) gerügt werden.[28]
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III. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
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Als Kontrollorgan der EMRK wurde der EGMR am 21.1.1959 mit Sitz in Straßburg eingerichtet. Seine zentrale Aufgabe ist die Auslegung und Anwendung der Konvention nebst ihrer Zusatzprotokolle(Art. 32 EMRK).[29] Das Verfahren vor dem Gerichtshof ist in Art. 27 ff. EMRK[30] und in der Verfahrensordnungdes EGMR (VerfO; Rules of Court ) geregelt). Die aktuelle Fassung der VerfO ist am 14.11.2016 in Kraft getreten.[31]Eine wesentliche Änderung des Verfahrens ging mit der Neufassung der Rule 47 zum 1.1.2014 einher ( Rn. 205 ff.).
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Ergänzend hat der Präsident des Gerichtshofs insgesamt sieben Verfahrensanordnungen( Practice Directions ( PD ); alle Stand November 2016) als Handreichung für die bei der Einlegung einer Beschwerde zu beachtenden Formalia erlassen. Diese betreffen insbesondere das Erscheinen der Verfahrensbeteiligten zu mündlichen Verhandlungen, die Einreichung von Schriftsätzen oder sonstiger Unterlagen sowie die Geltendmachung von Entschädigungsleistungen ( Rule 32):
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Practice Direction: Institution of Proceedings
Practice Direction: Requests for Interim Measures
Practice Direction: Requests for Anonymity
Practice Direction: Just satisfaction claims
Practice Direction: Secured Electronic Filing by Governments
Practice Direction: Electronic Filing by Applicants
Practice Direction: Written Pleadings
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IV. Verfahrensarten vor dem EGMR[32]
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Vertragsstaaten der EMRK können sich mit der Behauptung, ein anderer Vertragsstaat habe gegen ein Recht der Konvention verstoßen, an den EGMR wenden (Art. 33 EMRK). Von der Möglichkeit einer solchen Staatenbeschwerdehaben die Vertragsstaaten allerdings aus politischen und diplomatischen Gründen bisher nur spärlich Gebrauch gemacht.
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Mit der Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK)kann dagegen jeder Einzelne, jede Personenvereinigung und jede nichtstaatliche Organisation den Gerichtshof wegen der Verletzung eines in der Konvention oder einem Zusatzprotokoll gewährleisteten Rechts anrufen (zur Parteifähigkeit im Detail siehe Rn. 101).
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Die Einholung eines abstrakten Gutachtenszu verfahrensrechtlichen Fragen durch den EGMR ist nur auf Antrag des Ministerkomiteesmöglich (Art. 47-49 EMRK). Weder die EMRK noch die VerfO des EGMR sehen vor, dass ein nationales Gericht oder eine betroffene Person dem Gerichtshof eine Fragestellung, die für ein auf nationaler Ebene anhängiges Verfahren entscheidungserheblich ist, zur Entscheidung vorlegen kann.[33] Dass die EMRK in ihrem Kontrollsystem kein Vorabentscheidungsverfahrenkennt, ergibt sich schon aus dem Erfordernis der nationalen Rechtswegerschöpfung vor Anrufung des EGMR (siehe Rn. 148).
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Durch das Protokoll Nr. 16 zur EMRKvom 2.10.2013 (CETS 214) können die Staaten ihren obersten Gerichten(„highest courts and tribunals“) künftig die Möglichkeit einräumen, dem Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidungkonkrete Rechtsfragen betreffend die Auslegung der Konvention und ihrer Protokolle anlässlich einer bei ihnen anhängigen Rechtssache vorzulegen. Zuständig für die Erstellung dieser advisory opinions wird die GK sein (Art. 2 Nr. 2 des 16. P-EMRK); den advisory opinions wird jedoch keine Bindungswirkung zukommen (Art. 5 des 16. P-EMRK).
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte› A. Einführung› V. Zugänglichkeit der Rechtsprechung des EGMR
V. Zugänglichkeit der Rechtsprechung des EGMR
23
Sämtliche Urteile und Entscheidungen[34] des EGMR seit 1960 – und zahlreiche Entscheidungen der EKMR aus dem Zeitraum von 1955 bis 1998 – sind in der zentralen Datenbank (HUDOC)auf der Homepage des Gerichtshofs zugänglich ( www.hudoc.echr.coe.int). Neben einer Schnellsuche ist dort eine Eingabemaske eingerichtet, die eine spezifizierte Suche nach einzelnen Urteilen und Entscheidungen des EGMR ermöglicht. Der als Download bereitgestellte HUDOC User Manual [35] enthält Hinweise für die verschiedenen Suchfunktionen und -kriterien. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist auch auf CD-ROMerhältlich.[36]
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Eine Zusammenfassung der aktuellen Entwicklung der Straßburger Rechtsprechung bieten die Jahresberichte ( Annual Reports ) und die monatlich auf der Homepage des EGMR ( www.echr.coe.int)unter der Rubrik Case-Law – Case-law Analysis bereitgestellten Rechtsprechungsübersichten (Case-Law Information Notes) und Presseberichte zu einzelnen Fällen (Press Releases), die über HUDOC abgerufen werden können.
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Die zwischen 1960 und 1995 ergangenen Urteile des EGMR sind in englischer und französischer Sprache in der amtlichen Sammlung( Publications of the European Court of Human Rights – Series A) erschienen. In den seit 1996 erschienenen Sammelbänden ( Reports of Judgments and Decisions – ECHR ) sind ausgewählte Urteile und Entscheidungen des Gerichtshofs enthalten (vgl. Rule 78).
26
Regelmäßige und unregelmäßige Übersichten zur Rechtsprechung des EGMRerscheinen in der NStZ[37], in der ÖJZ[38] und bis 2008 im GYIL[39]. Einige Urteile und Entscheidungen – insbesondere die Deutschland betreffende Judikatur – sind zudem über die Internetseite des BMJV[40] und seit einiger Zeit auch unmittelbar über HUDOC in einer nichtamtlichen deutschen Übersetzungdurch das BMJV zugänglich.[41]
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