522
Gleiches gilt für die zuerkannte Erstattung der Kosten für das Verfahrenvor dem EGMR . Dagegen ist der Anspruch auf Erstattung von (Mehr-)Kosten im vorausgegangenen innerstaatlichen Verfahren abtretbar, pfändbar und fällt in die Masse, wenn über das Vermögen des Bf. das Insolvenzverfahren eröffnet wird.[84]
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte› D. Urteil des EGMR› VI. Unterzeichnung, Verkündung und Zustellung des Urteils
VI. Unterzeichnung, Verkündung und Zustellung des Urteils
523
Das Urteil wird vom Kammerpräsidenten bzw. dem Ausschussvorsitzenden und vom Kanzler unterzeichnet ( Rule 77 Abs. 1). Wichtige Urteile der Kammer werden in öffentlicher Sitzung durch den Kammerpräsidenten oder einen von ihm beauftragten Richter verkündet ( Rule 77 Abs. 2 Satz 1).[85] Das ordnungsgemäß unterzeichnete und gesiegelte Original des Urteils wird im Archiv des Gerichtshofs verwahrt ( Rule 77 Abs. 3 Satz 3). Der Kanzler übermittelt den Parteien, dem Generalsekretär des Europarats, etwaigen Drittbeteiligten und allen anderen unmittelbar von der Rechtssache betroffenen Personen eine beglaubigte Kopie des Urteils ( Rule 77 Abs. 3 Satz 2). Wird das Kammerurteil nicht in öffentlicher Sitzung verlesen, gilt diese Form der Übermittlung als Verkündung. Dasselbe gilt für Kammerurteile, die grundsätzlich nie öffentlich verlesen werden ( Rule 77 Abs. 2 Satz 3).
524
Endgültigist das Urteil einer Kammer mit seiner Verkündung aber noch nicht, da Art. 43 EMRK die Möglichkeit der Verweisungder von der Kammer entschiedenen Rechtssache an die GK vorsieht (Art. 42, 44 Abs. 2 EMRK). Ein Ausschussurteil wird mit dem auf ihm vermerkten Datum wirksam und sofort rechtskräftig („endgültig“; Art. 28 Abs. 2 EMRK).
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte› D. Urteil des EGMR› VII. Antrag auf Auslegung des Urteils
VII. Antrag auf Auslegung des Urteils
525
Jede Partei kann innerhalb eines Jahres nach der Verkündung eines Urteils dessen Auslegungbeantragen ( Rule 79 Abs. 1). Der Antrag ist bei der Kanzlei einzureichen. Der Teil des Urteils, dessen Auslegung begehrt wird, ist im Antrag genau zu bezeichnen ( Rule 79 Abs. 2). Über den Antrag ( Request for interpretation of a judgment ) entscheidet die ursprüngliche Kammer. Sie kann den Antrag zurückweisen, wenn er aus ihrer Sicht unbegründet erscheint ( Rule 77 Abs. 3 Satz 1).[86] Andernfalls ist er den anderen betroffenen Parteien zuzuleiten, die – innerhalb einer zu bestimmenden Frist – Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme erhalten. Über den Antrag entscheidet die Kammer entweder im schriftlichen Verfahren oder – falls notwendig – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Urteil ( Rule 79 Abs. 4).
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte› D. Urteil des EGMR› VIII. Überwachung des Urteils
VIII. Überwachung des Urteils
526
Die EMRK sieht derzeit kein Verfahren zur Vollstreckung der Urteile des EGMR vor. Das endgültige Urteil des Gerichtshofs (Art. 44 EMRK) ist vielmehr dem Ministerkomitee des Europarates[87] zuzuleiten, das die dem jeweiligen Vertragsstaat obliegende Durchführung des Urteils überwacht (Art. 46 Abs. 2; 54 EMRK)[88]. Das Ministerkomitee ist aber – wie auch der Gerichtshof selbst – nicht weisungsberechtigt gegenüber den Vertragsstaaten, sondern kann nur einen Berichtdarüber anfordern, wie die verurteilten Vertragsstaaten ihrer Verpflichtung aus Art. 46 Abs. 1 EMRK (siehe Rn. 465) zur Befolgung des Urteils nachkommen.
527
Solange das Ministerkomitee nicht davon überzeugt ist, dass der jeweilige Vertragsstaat der EMRK seinen Verpflichtungen aus dem Urteil nachgekommen ist, kann es die Sache immer wieder auf die Tagesordnung setzen und den Staat zur Einhaltung seiner Pflichten ermahnen. Bis zum Inkrafttreten des 14. P-EMRK standen dem Ministerkomitee nur politische Druckmittel zu Verfügung, um den Vertragsstaat zur Einhaltung der Urteilsverpflichtungen anzuhalten.
528
Auch der Bf. kann das Ministerkomitee darüber in Kenntnis setzen, dass die vom Vertragsstaat ergriffenen Maßnahmen unzureichend sind. Die unzureichende Umsetzung eines Urteils durch den verurteilten Vertragsstaat an sich begründet aber hinsichtlich der ursprünglichen Konventionsverletzung keinen zweiten Verstoß gegen die EMRK.[89] Eine erneute Beschwerde ist deswegen nicht zulässig.
529
Davon zu unterscheiden ist die Konstellation, dass es im Zuge der Umsetzung des Urteils – z.B. während einer Neuverhandlung vor den innerstaatlichen Gerichten – zu einer neuerlichen, mit der ursprünglichen Verletzung nicht übereinstimmenden, Verletzung der Konventionkommt. Dann kann der Bf. den EGMR (erneut) anrufen.[90]
530
Nach Auskunft des Europarates werden ca. 97% der vom EGMR ausgesprochenen Urteile von den Staaten befolgt, wobei kritisch zu hinterfragen ist, welche staatliche Reaktion noch als „Befolgung“ i.S.v. Art. 46 Abs. 1 EMRK eingestuft werden kann.[91]
531
Bis 2009 konnte das Ministerkomitee bei einer hartnäckigen Verweigerung der Urteilsumsetzung lediglich politischen Druck auf den säumigen Vertragsstaat ausüben, etwa indem vorläufig die Vertretung im Europarat entzogen oder der Staat zum Austritt aus demselben aufgefordert wurde.
532
Seit dem Inkrafttreten des 14. Protokolls zur EMRK kann das Ministerkomiteeeine unzureichende Umsetzung des endgültigen Urteils durch den verurteilten Vertragsstaat vor dem EGMR rügen (Art. 46 Abs. 4, Abs. 5 EMRK n.F.).[92] Weigert sich eine Vertragspartei nach Auffassung des Ministerkomitees, ein gegen sie gerichtetes endgültiges Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, so kann das Ministerkomitee, nachdem es die betreffende Vertragspartei gemahnthat, durch einen mit Zweidrittelmehrheit der Stimmen seiner Mitglieder gefassten Beschluss die GK (Art. 32 Abs. 2 lit . b EMRK) mit der Frage befassen, ob diese Partei ihrer Verpflichtung nach Absatz 1 nachgekommen ist.
533
Stellt der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 46 Abs. 1 EMRKfest, so weist er die Rechtssache zur Prüfung der zu treffenden Maßnahmen an das Ministerkomitee zurück. Sieht der Gerichtshof eine solche Verletzung als gegeben an, stellt er dies in einem Urteil ( Rule 99) fest und weist die Rechtssache zur Prüfung der zu treffenden Maßnahmen nach Art. 46 Abs. 2 EMRK an das Ministerkomitee zurück.
534
Kommt die GK dagegen zu dem Schluss, dass Art. 46 Abs. 1 EMRK nicht verletzt ist, so weist der Gerichtshof die Rechtssache ebenfalls an das Ministerkomitee zurück; dieses beschließt die Einstellung seiner Prüfung.
535
Gütliche Einigungen werden dem Ministerkomitee ebenfalls zugleitet (Art. 39 Abs. 4 EMRK). Dasselbe gilt für die Entscheidung, eine Beschwerde aus dem Register zu streichen, sofern sie in Urteilsform ergeht (vgl. Rule 43 Abs. 3). Nachdem das Urteil endgültig geworden ist, soll das Ministerkomitee auch die Einhaltung solcher Umstände, die dazu geführt haben, das seine Beschwerde nicht weiter geprüft wurde, überwachen können, was insbesondere im Falle der unilateral declarations zwingend erscheint (siehe auch Rn. 376).
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte› D. Urteil des EGMR› IX. Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem EGMR
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