4. Erstattung der Kosten und Auslagen (costs and expenses)
508
Erstattungsfähig als costs and expenses sind prinzipiell alle zur Vermeidung, Geltendmachung und ggf. Wiedergutmachung des vom EGMR festgestellten Konventionsverstoßesentstandenen Kosten (§ 16 PD-JS), soweit sie entweder auf nationaler Ebene und/oder im Verfahren vor dem Gerichtshof tatsächlich und notwendig entstandensind ( actually and necessarily incurred , §§ 18 f. PD-JS).[65] Für ein „Entstehen“ der Kosten beim Bf. ist nicht Voraussetzung, dass dieser die einzelnen Summen bereits tatsächlich aufgewendet hat. Ausreichend aber auch erforderlich ist eine gesetzliche oder vertragliche Kostentragungspflichtdes Bf. (§ 18 Satz 2 PD-JS).[66]
509
Gebühren und Auslagen für Rechtsanwälte( legal assistance ) sind erstattungsfähig (§ 16 PD-JS), soweit sie in Hinblick auf den Beschwerdegegenstand auf nationaler Ebene ( subject-matter ) bzw. den späteren Ablauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof ( procedure adopted before the Court in this case ) als notwendig( necessarily incurred ) und angemessenerscheinen ( reasonable as to quantum ; § 20 PD-JS).[67] Die Erforderlichkeit einer Vertretung durch mehrere Anwälte(sei es auf nationaler Ebene oder vor dem EGMR ) kommt nur in ganz außergewöhnlich schwierigen oder umfangreichen Verfahren in Betracht.[68]
510
Eine verlässliche Aussage über die zulässige Höhe von Gebühren oder die Erstattungsfähigkeit einzelner Kostenarten wird auch hier dadurch erschwert, dass der EGMR zunehmend nach Billigkeit entscheidet. Nationale Gebührenordnungen(RVG) bieten allenfalls einen Anhaltspunkt für die Angemessenheit der vom Bf. geltend gemachten Gebühren.[69] Honorarvereinbarungen(auch Stundenhonorare) stehen einer Erstattungsfähigkeit nicht entgegen, haben aber keine bindende Wirkung für den Gerichtshof. Dieser verlangt stattdessen meist einen konkreten Tätigkeitsnachweis(nach Stunden) und spricht üblicherweise eine Gebühren- und Auslagenerstattung zwischen 1.500 € und 5.000 € aus (Richtwert für das gesamte nationale und EGMR -Verfahren in Bezug auf den konkreten Konventionsverstoß), je nach Komplexität des Falles und detailliertem Tätigkeitsnachweis können aber auch Gesamthonorare (deutlich) über 5.000 € erstattungsfähig sein.
511
(a) Die im nationalen Strafverfahrenentstandenen Auslagen für den Verteidigerwerden nur erstattet, soweit sie konkret auf die Geltendmachung des – später vom EGMR festgestellten – Konventionsverstoßes vor den nationalen Behörden und Gerichten entfallen. Nicht erstattungsfähig sind daher Kosten, die unabhängig von dem vom EGMR festgestellten Konventionsverstoß angefallen wären. Das gilt insbesondere für die auf nationaler Ebene allgemein – d.h. unabhängig vom Konventionsverstoß und ohne Bezug zum späteren Verfahren vor dem EGMR – entstandenen Kosten der Verteidigung.[70]
512
(b) Sonstigedem Bf. im Rahmen des nationalen Strafverfahrens entstandene Kosten(z.B. Gebühren, Auslagen, Kostenvorschüsse im Verfahren vor den Strafgerichten oder im Rahmen einer Haftprüfung) sind ebenfalls nur erstattungsfähig, soweit sie sich auf ein Rechtsbehelfsverfahren beziehen, mit dessen Hilfe der (eingetretene) Konventionsverstoß abgewendet werden sollte. Auch hier müssen sich die Kosten konkret auf die festgestellte Verletzung beziehen ( in so far as they relate to the violation found ).[71] Das Verfahren vor dem EGMR selbst ist kostenfrei (siehe noch Rn. 540).
513
(c) Die Gebühren und Auslagen für einen Rechtsbeistand im Verfahren vor dem EGMRsind ebenfalls erstattungsfähig, soweit sie im Zusammenhang mit einer vom Gerichtshof festgestellten Verletzung der EMRK entstanden sind.[72] Sie müssen vom Bf. detailliert dargelegtwerden ( set out in detail ).[73] Andernfalls verweigert der Gerichtshof eine Erstattung oder entscheidet auch diese Frage nach billigem Ermessen, unter Anrechnung einer etwaigen vom Europarat gewährten Verfahrenshilfe (siehe auch gleich noch Rn. 515).[74] Ebenfalls erstattungsfähig sind – soweit notwendig, angemessen und hinreichend dokumentiert ( Rule 60 Abs. 2) – Reise-, Aufenthalts-, Übersetzungs- und Dolmetscherkosten.[75]
514
Hinweis
Die für Rechtsanwaltsgebühren für Verfahren vor dem EGMR bestehende Gesetzeslücke wurde zum 1.8.2013 durch den neuen § 38a RVGgeschlossen. Darin wird auf die Gebühren im Revisionsverfahren im jeweiligen Rechtszug verwiesen. Der Gegenstandswert ist nach billigem Ermessen zu bestimmen, beträgt aber mindestens 5.000 €.[76]
515
(d) Eine auf nationaler Ebene oder vom Europarat gewährte Verfahrenshilfe( legal aid ; Rules 100-105) wird stets in Abzug gebracht(§ 18 Satz 3 PD-JS). Zur Gewährung von Verfahrenshilfe vgl. Rn. 382.
516
Der Bf. hat die geltend gemachten Kosten durch detaillierte Rechnungen und Quittungenzu belegen (§ 21 PD-JS). Eine detaillierte Anwaltsrechnung („itemised fee note“) wird normalerweise ausreichen, um die Anwaltskosten zu belegen, nicht jedoch eine (Selbst-)Berechnung unter Berufung auf das RVG.[77]
5. Verzinsung der Entschädigungssumme (default interest)
517
Neben der Festsetzung der Entschädigungssumme kann die Kammer außerdem beschließen, dass dieser Betrag zu verzinsen ist, wenn die Zahlung nicht innerhalb einer bestimmten Frist – i.d.R. drei Monate nach Eintritt der Endgültigkeit der Entscheidung (vgl. Rn. 524) – erfolgt ( Rule 75 Abs. 3, § 25 PD-JS). Hinsichtlich des Zinssatzes orientiert sich der Gerichtshof am Spitzenrefinanzierungszinssatz( marginal lending rate ) der Europäischen Zentralbank (EZB), nimmt aber meist noch einen Aufschlagvon drei Prozentpunkten vor (§ 25 Satz 2 PD-JS).[78]
6. Durchsetzung des Entschädigungsanspruchs; Abtretbarkeit und Pfändbarkeit
518
Das BVerfG leitet aus der Festsetzung einer Entschädigung durch den EGMR eine staatliche Leistungspflichtvölkerrechtlicher Natur aus Art. 46 EMRK GG ab.[79] Dem EGMR selbst stehen aber keine Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung, falls die BR Deutschland diese völkerrechtliche Pflicht zur Zahlung nicht erfüllt (siehe aber Rn. 526).
519
Das Urteil des EGMR ist nach deutschem Recht nicht vollstreckbar. Es kann auch nicht nach den Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach §§ 722, 723 ZPO für vollstreckbar erklärt werden. Weigert sich die BR Deutschland im Falle einer Verurteilung durch den EGMR also die im Urteil festgesetzte Entschädigungssumme zu zahlen oder ist sie mit der Zahlung in Verzug, muss der Bf. Leistungsklage vor den nationalen ordentlichen Gerichtenerheben (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 VwGO – Verletzung einer nichtvertraglichen öffentlich-rechtlichen Pflicht).[80]
520
Die Nichterfüllung der völkerrechtlichen Leistungspflicht stellt eine Amtspflichtverletzung i.S.v. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GGdar.[81] Die Bundesrepublik tritt dabei als abstrakter Beamter auf, dessen Pflicht die Erfüllung des Anspruchs gewesen wäre.[82]
521
Die vom EGMR zugesprochene Entschädigung wegen erlittener immaterieller Schädenist nicht abtretbar und pfändbar; sie fällt bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bf. auch nicht in die Insolvenzmasse. Sonst würde der Zweck einer Entschädigung für immaterielle Schäden verfehlt.[83]
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