[3]
Zur Abgrenzung zwischen Polizei und Ordnungsbehörden Siegel , in: ders./Waldhoff, ÖR in Berlin, 3. Aufl. 2020, § 3 Rn. 29.
[4]
Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019, § 32 Rn. 11.
[5]
BVerwG, NJW 2014, 2888, 2889.
[6]
Weitere Beispiel bei Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019, § 32 Rn. 12.
[7]
Am Beispiel Berlins Siegel , in: ders./Siegel, ÖR in Berlin, 3. Aufl. 2020, § 2 Rn. 50 (zu § 4 AGVwGO Bln).
c) Anordnung der sofortigen Vollziehung
184
Schließlich kann in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung nicht bereits kraft Gesetzes entfällt, nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung durch die zuständige Behörde angeordnet werden. Relevant wird diese Bestimmung in weiten Bereichen des Ordnungsrechts. Zuständigsind sowohl die Ausgangsbehörde als auch die Widerspruchsbehörde. In verfahrensmäßigerHinsicht ist zu beachten, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung im praktischen Regelfall mit dem zu vollziehenden Verwaltungsakt zusammenfällt. Dann müssen die verfahrensbezogenen Anforderungen, insbesondere die Anhörung[1], auch im Hinblick auf die Vollziehungsanordnung gewahrt werden. Wird sie dem Verwaltungsakt nachgeschaltet, so müssen die entsprechenden Bestimmungen analog angewandt werden[2]. Darüber hinaus muss die Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 3 VwGO begründetwerden. An diese formelle Begründungspflicht sind jedoch keine strengen Anforderungen zu stellen. Nicht ausreichend sind aber eine formelhafte Wiedergabe des Gesetzeswortlauts oder der schlichte Verweis auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts[3].
185
In materieller Hinsichtmuss ein besonderes Vollzugsinteressebestehen. Im Rahmen der damit vorzunehmenden Interessenabwägung sind – ebenso wie in den anderen Konstellationen des § 80 Abs. 2 VwGO – zunächst die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage summarisch zu prüfen[4]. Darüber hinaus ist aber spezifisch zu berücksichtigen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach der Wertung des Gesetzgebers die Ausnahme bildet und die Darlegungs- und Beweislast daher bei der Behörde liegt[5]. Die überwiegende Ansicht prüft in Fällen der Anordnung des Sofortvollzugs daher, ob ein besonderes öffentliches Interesse für die sofortige Vollziehung besteht[6]. Denn selbst wenn in der Hauptsache offensichtlich keine Erfolgsaussichten bestehen, rechtfertigt diese Tatsache allein noch nicht das besondere öffentliche Vollzugsinteresse.
[1]
Übersicht über die verfahrensbezogenen Anforderungen bei Peine/Siegel , AllgVerwR, 13. Aufl. 2020, Rn. 478 ff.
[2]
So überzeugend Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019, § 32 Rn. 16.
[3]
Ziekow , in: Sodan/Ziekow, GK ÖR, 9. Aufl. 2020, § 106 Rn. 7 aE.
[4]
Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019 § 32 Rn. 19.
[5]
Erbguth/Guckelberger , AllgVerwR, 10. Aufl. 2020, § 21 Rn. 7.
[6]
BVerfG, NVwZ 2009, 240 (242); Voßkule/Wischmeyer , JuS 2016, 1079 (1082).
d) Aufschiebende Wirkung auch bei unzulässigem/unbegründetem Rechtsbehelf?
186
Umstritten ist, ob – sofern kein Fall des § 80 Abs. 2 VwGO vorliegt – jeder Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung entfaltet oder ob insoweit die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sind. Dem Wortlaut des § 80 Abs. 1 VwGO ist keine solche Einschränkung zu entnehmen. Allerdings könnte in multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen – und damit in Situationen der Drittanfechtungsklage – ein Rechtsbehelf alleine deshalb eingelegt werden, um dem Adressaten – etwa einem wirtschaftlichen Konkurrenten – zu schaden. Daher können die Erfolgsaussichten nicht völlig ausgeblendet werden. Vor dem Hintergrund des Gebots effektiven Rechtsschutzes ist jedoch Zurückhaltung bei der Prüfung der Erfolgsaussichten zu wahren, da der Rechtsbehelf ja zunächst noch überprüft werden muss. Dies spricht letztlich dafür, lediglich bei offensichtlicher Unzulässigkeitkeine aufschiebende Wirkung anzunehmen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Widerspruchsfrist eindeutig abgelaufen ist[1].
[1]
Zum Ganzen Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019, § 32 Rn. 5 ff. mwN.
2. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen in der Zweipersonenkonstellation
a) Statthaftigkeit des Antrags
187
Schaubild: Konstellationen im Zwei-Personen-Verhältnis Bürger-Behörde
Norm |
Beispiel |
Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO: Anordnung der aufschiebenden Wirkung |
keine aufschiebende Wirkung nach § 212a Abs. 1 BauGB oder bei Verwaltungsakten nach Vollstreckungsrecht |
Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1, 2. Alt. VwGO: Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung |
Abbruchverfügung wird durch Behörde für sofort vollziehbar erklärt |
Im Rahmen der Staathaftigkeit des Antrags ist zunächst eine Abgrenzung zur einstweiligen Anordnungvorzunehmen. Dies ist in § 123 Abs. 5 VwGO geregelt und richtet sich nach dem Rechtsbehelf in der Hauptsache (s.o. Rn. 177). Sodann ist gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO zu differenzieren. In denjenigen Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes entfällt (s.o. Rn. 181–183), ist der Antrag auf Anordnungder aufschiebenden Wirkung gerichtet. In den Fällen der sofortigen Vollziehungsanordnung (s.o. Rn. 184 f.) ist hingegen ein Antrag auf Wiederherstellungstatthaft. Schließlich kann es im Einzelfall zweifelhaft sein, ob ein Rechtsbehelf in der Hauptsache aufschiebende Wirkung hat. § 80 Abs. 5 VwGO gestattet hier a maiore ad minus die Feststellung der aufschiebenden Wirkungdurch das Gericht[1].
[1]
Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019, § 32 Rn. 44.
188
Weiterhin besteht Einigkeit, dass der Antrag nur zulässig ist, wenn eine Antragsbefugnis vorliegt. § 42 Abs. 2 VwGOist zwar lediglich bei Klagen unmittelbar anwendbar, kommt jedoch hier analogzur Anwendung. Allerdings muss die Bestimmung im Hinblick auf den vorläufigen Rechtsschutz „übersetzt“ werden: Der Antragsteller muss daher geltend machen, durch den Vollzug in seinen Rechten verletzt zu sein.
c) Weitere besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen?
189
Die weiteren besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Anfechtungsklage kommen hingegen nicht zur Anwendung, weder unmittelbar noch analog. So ist kein gesondertes Vorverfahren durchzuführen. Allerdings entfällt in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO gemäß § 80 Abs. 6 VwGO das Rechtsschutzbedürfnis, wenn sich der Antragsteller nicht zuvor an die Behörden gewandt hat (s.u. Rn. 190). Auch gilt für den Antrag keine Widerspruchs- und Klagefrist gemäß §§ 70, 74 VwGO[1]. Wenn allerdings der Rechtsbehelf in der Hauptsache verfristet und damit der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist, fehlt ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis (s.u. Rn. 191).
[1]
Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019, § 32 Rn. 35.
190
Besonderheiten gelten beim Rechtsschutzbedürfnis. Hier ist zunächst auf die Bestimmung des § 80 Abs. 6 VwGOeinzugehen. In Streitigkeiten über öffentliche Abgaben oder Kosten i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO (s.o. Rn. 181) ist der Antrag grundsätzlich[1] nur zulässig, wenn die Behörde den Antrag zuvor abgelehnt hat. Nach der Wertung des Gesetzebers fehlt dem Antragsteller anderenfalls das Rechtsschutzbedürfnis. Dabei handelt es sich um eine Zugangsvoraussetzung, deren Fehlen nicht geheilt werden kann[2]. Wegen der bewussten Beschränkung der Regelung auf die Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO kann die Bestimmung in den anderen Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO weder unmittelbar noch analog angewandt werden.
Читать дальше