102
Unerheblich ist, ob es sich bei dem begehrten Verwaltungsakt um eine gebundene Entscheidung handelt oder eine solche, die im Ermessen der zuständigen Behörde steht. In beiden Fällen handelt es sich um Verpflichtungsklagen, da jeweils ein begünstigender Verwaltungsakt begehrt wird. Um den Unterschied zu verdeutlichen, wird der erstgenannte Fall allerdings als Vornahmeklage, der zweitgenannte als Bescheidungsklagebezeichnet[2]. Einzugehen ist auf diese Unterscheidung kurz im Rahmen der statthaften Klageart sowie eingehender zum Ende der Begründetheitsprüfung (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 und 2 VwGO).
103
Darüber hinaus kann danach unterschieden werden, ob ein Vorverfahren erfolglos durchgeführt wurde oder nicht. Denn auch bei der Verpflichtungsklage bildet – ebenso wie bei der Anfechtungsklage (s.o. Rn. 68 ff.) – die erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO regelmäßig eine Sachentscheidungsvoraussetzung. Wurde es erfolglos durchgeführt, wird eine solche Verpflichtungsklage als Versagungsgegenklagebezeichnet. Entscheidet die zuständige Behörde aber ohne zureichenden Grund nicht innerhalb einer angemessenen Frist über den Widerspruch, so ist nach Maßgabe des § 75 VwGO eine Untätigkeitsklagemöglich[3]. Auch bei dieser handelt es sich regelmäßig um eine Verpflichtungsklage, jedoch mit der Besonderheit, dass kein Vorverfahren erfolglos durchgeführt worden sein muss. Anderenfalls hätte es die Behörde in der Hand, durch eine verzögerte Bearbeitung den Gang zu den Verwaltungsgerichten abzuwenden.
[1]
Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019, § 14 Rn. 19 f.
[2]
Schenke , VwProzR, 17. Aufl. 2021, Rn. 286.
[3]
Schenke , VwProzR, 17. Aufl. 2021, Rn. 285. Eine Untätigkeitsklage ist zwar grds. auch in einer Anfechtungsklagesituation mgl., aber insoweit kaum (klausur)relevant; vgl. Ziekow , in Sodan/Ziekow, GK ÖR, 9. Aufl. 2020, § 98 Rn. 8.
2. Die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage
104
Die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen stimmen im Wesentlichen mit denjenigen der Anfechtungsklage überein. Zu prüfen sind die Klagebefugnis, die Durchführung eines Vorverfahrens sowie die Einhaltung der Klagefrist. Mit Ausnahme der anschließenden Ausführungen zur Klagebefugnis kann auf die entsprechenden Aussagen im Rahmen der Behandlung der Anfechtungsklage verwiesen werden. Vor Erhebung der Verpflichtungsklage ist ebenfalls grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen. Auch hier gilt es, die Fälle der Entbehrlichkeit des Vorverfahrens zu kennen (s.o. Rn. 88 f.). Auf die Besonderheit, dass nach Maßgabe des § 75 VwGObei der Verpflichtungsklage ein an sich gebotenes Vorverfahren entbehrlich ist, wurde bereits hingewiesen (s.o. Rn. 103). Die Klagefrist ist wie bei der Anfechtungsklage zu prüfen (s.o. Rn. 90 f.).
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Der Prüfungspunkt Klagebefugnisweist einige Besonderheiten in Relation zur Anfechtungsklage auf. Denn bei der Bearbeitung kann nicht auf die Adressatenstellung des Klägers abgestellt werden: Der Kläger ist nicht Adressat des begehrten Verwaltungsakts, er möchte es (noch/erst) werden! Daher muss die Vorschrift benannt werden, die den geltend gemachten Anspruch begründen könnte. So besteht etwa auf dem Gebiet des öffentlichen Baurechts Einigkeit, dass der Bauherr einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigunghat, sofern die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen. Er wird teilweise unmittelbar den einschlägigen Bestimmungen der jeweiligen Landesbauordnung entnommen[1]. Der Wortlaut dieser Bestimmungen ist allerdings indifferent, da er jeweils nur eine objektiv-rechtliche Pflicht formuliert („… ist zu erteilen, wenn …“). Deshalb muss ergänzend die systematische Stellung oder der grundrechtliche Hintergrund der Erteilungsvorschriften herangezogen werden[2]. Über die exakte Begründung ließe sich hier zwar trefflich streiten. Da über das Ergebnis Einigkeit herrscht, sollte dies in der Klausur aber nur kurz behandelt werden.
106
Schwieriger wird es, wenn der Kläger Leistungsansprüche aus den Grundrechtenherleitet. In diesem Fall muss dogmatisch sauber begründet werden, inwieweit Grundrechte Leistungsansprüche begründen können[3]. An der Klagebefugnis fehlt es, wenn der vom Kläger behauptete Anspruch nach keiner Rechtsgrundlage oder nach keiner Betrachtungsweise existieren kann. Auch hier kommt also die sog. Möglichkeitstheoriezur Anwendung (s.o. Rn. 85).
[1]
So etwa Muckel/Ogorek , ÖffBauR, 4. Aufl. 2020, § 9 Rn. 59.
[2]
So etwa Finkelnburg/Ortloff/Otto , ÖffBauR, Band II, 7. Aufl. 2018, § 8 Rn. 9.
[3]
Zur Leistungsdimension der Grundrechte Kingreen/Poscher , Grundrechte, 36. Aufl. 2020, Rn. 154 ff.
III. Erläuterungen zum Aufbauschema – Begründetheitsfragen
107
Maßstab für die Prüfung der Begründetheit einer Verpflichtungsklage ist § 113 Abs. 5 VwGO. An dieser Bestimmung orientiert sich der klassische Ablehnungsaufbau. Bei ihm schließen sich an die Feststellung der Passivlegitimation drei Prüfschritte an: 1. Rechtswidrigkeit der Ablehnung oder des Unterlassens, 2. Rechtsverletzung, 3. Spruchreife[1]. Immer häufiger wird jedoch der sog. Anspruchsaufbauvertreten[2]. Er „übersetzt“ die Anforderungen des § 113 Abs. 5 VwGO in die drei Merkmale: 1. Anspruchsgrundlage; 2. Anspruchsvoraussetzungen, 3. Spruchreife. Da es in der Sache darum geht, ob ein Anspruch auf den begünstigenden Verwaltungsakt besteht, wird im Folgenden der „elegantere“ Anspruchsaufbau zugrunde gelegt.
[1]
So etwa der Aufbau bei Erbguth/Guckelberger , AllgVerwR, 10. Aufl. 2020, § 20 Rn. 38; Hufen , VwProzR, 11. Aufl. 2019, § 26 Rn. 1.
[2]
So etwa Detterbeck , AllgVerwR, 19. Aufl. 2019, Rn. 1389 iVm Rn. 1420; Ziekow , in: Sodan/Ziekow, GK ÖR, 9. Aufl. 2020, § 99 Rn. 7.
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Auch bei der Verpflichtungsklage muss die Passivlegitimation vorliegen. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Anfechtungsklage verwiesen werden (s.o. Rn. 93).
3. Benennung der Anspruchsgrundlage
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Die Norm, die dem Kläger den geltend gemachten Anspruch gewähren könnte, ist eingangs der Begründetheitsprüfung zu benennen. Die zu nennende Norm muss identisch mit der Norm sein, die die Klagebefugnis des Klägers begründete. Um es zu wiederholen: Normen des einfachen Rechts gehen den Grundrechten als Anspruchsgrundlage vor.
4. Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen
a) Die Erfüllung der formellen Voraussetzungen
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Das vom Kläger Begehrte muss in Gestalt eines formell rechtmäßigen Verwaltungsakts erlassen werden können. Daher muss die Behörde für den Erlass des begehrten Verwaltungsakts sachlich, instanziell und örtlich zuständigsein. Zudem müssen die Verfahrensvorschriftenbeachtet worden sein. Bei begünstigenden Verwaltungsakten muss typischerweise ein Antrag auf dessen Erlass vorliegen. Dies gilt insbesondere für die Baugenehmigung[1]. (Sonstige) Verfahrensfehler kommen hingegen bei der Verpflichtungsklage selten vor und sind nur bei etwaigen Anhaltspunkten im Sachverhalt zu erörtern[2].
[1]
Finkelnburg/Ortloff/Otto , ÖffBauR, Bd. II, 7. Aufl. 2018, § 7 Rn. 91.
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