1 ...7 8 9 11 12 13 ...33 Schaubild: Die deutsche Gerichtsbarkeit
Verfassungsgerichtsbarkeit: Bundesverfassungsgericht/Landesverfassungsgerichte |
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Zivilsachen/Strafsachen§ 13 GVG |
Arbeitsrechtliche Streitigkeiten§§ 2, 2a ArbGG |
Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art,§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO |
Sozialrechtliche StreitigkeiteniSv § 51 SGG |
Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten iSv§ 33 Abs. 1 FGO |
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In Klausuren mit prozessualer Einkleidung ist der erste anzusprechende Prüfungspunktdie Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs. Insoweit ist häufig Unsicherheit gerade bei Anfängern im Verwaltungs(prozess)recht mit Blick auf den Umfang der Prüfung zu beobachten. Zentrale Norm ist § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Schulmäßig werden regelmäßig folgende Prüfungsschritte abgearbeitet:
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erster Schritt: Existiert eine aufdrängende Sonderzuweisung; wenn nein, dann |
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zweiter Schritt: Handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit; wenn ja, dann |
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dritter Schritt: Ist diese Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art; wenn ja, dann |
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vierter Schritt: Gibt es eine abdrängende Sonderzuweisung? |
Auch hier gilt: Ausführliche Erörterungen sind nur dann nötig, wenn der Sachverhalt zu ihnen Veranlassung gibt. Ansonsten reicht eine knappe Feststellung.
[1]
Etwa Brüning , JuS 2004, 882.
[2]
Schenke , VwProzR, 17. Aufl. 2021, Rn. 79 (dort Fußn. 50).
[3]
Etwa Ruthig , in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 40 Rn. 37 ff.
[4]
Genau genommen muss es Verwaltungs gerichts weg heißen.
1. Aufdrängende Sonderzuweisung
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Als erstes ist immer die Überlegung anzustellen, ob eine aufdrängende Sonderzuweisung gegeben ist. Sachlich geht es um folgende Prüfung: Gibt es eine Norm, die einen bestimmten Streitgegenstand (im Rahmen einer Klausur: den von Ihnen rechtlich zu würdigenden Streitgegenstand) unabhängig von seiner Rechtsnatur ausdrücklich den Verwaltungsgerichten zur Entscheidung zuweist? Diese so genannte aufdrängende Sonderzuweisung wird in § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht ausdrücklich erwähnt. Die Notwendigkeit, sie vorrangig zu prüfen, ergibt sich indes aus dem Charakter des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO als Generalklausel. Aus der Methodenlehre ist bekannt, dass eine Generalklausel nicht mehr zu prüfen ist, wenn eine Spezialnorm die Rechtsfrage positiv beantwortet.
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Die für die Ausbildung wichtigsten aufdrängenden Sonderzuweisungensind:
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§ 6 Abs. 1 UIG für Klagen auf Umweltinformationen, |
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§ 9 Abs. 4 IFG des Bundes für Klagen auf allgemeine Verwaltungsinformationen, |
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§ 54 BeamtStG, § 126 BBG für Klagen aus dem Beamtenverhältnis, |
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§ 40 Abs. 2 VwGO für Streitigkeiten aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag[1]. |
[1]
Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss („die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen“).
2. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
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Liegt eine aufdrängende Sonderzuweisung nicht vor, entscheidet sich nach den Maßstäben der Generalklausel § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Im Rahmen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist das zentrale Tatbestandsmerkmal die „öffentlich-rechtliche Streitigkeit“. Die den Streit entscheidende Norm muss öffentlich-rechtlicher Natur sein oder, anders gewendet, dem öffentlichen Recht zugehören. Zur Abgrenzung des öffentlichen vom privaten Recht sind im Laufe der Zeit viele Theorien[1] entwickelt worden; heute finden in den Lehrbüchern regelmäßig drei TheorienErwähnung: die Sonderrechtstheorie, die Subordinationstheorie, die Interessentheorie. Diese Theorien werden bereits in der Vorlesung zum Allgemeinen Verwaltungsrecht ausführlich behandelt. Daher wird an dieser Stelle auf eine (nochmalige) Behandlung verzichtet und auf die einschlägigen Lehrbücher verwiesen[2].
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Insbesondere bei früh im Studium geschriebenen Klausurenist die Tendenz zu beobachten, die Abgrenzung allzu ausführlich zu behandeln. Fortgeschrittene wissen von diesem Irrtum und behandeln den Punkt mit wenigen Worten und übersehen dabei manchmal die wirklich problematischen Fälle. Lediglich in diesen Fällen empfiehlt sich eine ausführlichere Erörterung. In den klassischen Materien des Besonderen Verwaltungsrechts, also dem Polizei- und Ordnungsrecht, dem öffentlichen Baurecht sowie dem Kommunalrecht ist die Zuordnung zum öffentlichen Recht hingegen typischerweise unproblematisch und daher knapp zu behandeln. Problematische Fallgruppen, die ebenfalls bereits in den Vorlesungen zum allgemeinen Verwaltungsrecht behandelt wurden, sind[3]:
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schlichtes Verwaltungshandeln (maßgebend ist der Gesamtzusammenhang)[4], |
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Unterlassungs- und Widerrufsansprüche (maßgebend ist die Funktion, in der eine Äußerung erfolgte)[5], |
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Streitigkeiten aus Verträgen (maßgebend sind die Gegenstands- und Schwerpunkttheorie)[6], |
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Nutzung öffentlicher Einrichtungen (maßgebend ist die Benutzungsordnung)[7], |
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Hausverbote (maßgebend ist nach h.M. die Zielrichtung des Hausverbots)[8]. |
[1]
Der Begriff „Theorie“ wird in der Jurisprudenz regelmäßig nicht in einem wissenschaftstheoretisch exakten Sinn verwendet.
[2]
Etwa Maurer/Waldhoff , AllgVerwR, 20. Aufl. 2020, § 3 Rn. 10 ff.; Peine/Siegel , AllgVerwR, 13. Aufl. 2020, Rn. 31 ff.
[3]
Übersicht bei Peine/Siegel , AllgVerwR 13. Aufl. 2020, Rn. 39 ff.
[4]
Beispiel bei BVerwG, NVwZ-RR 2019, 1029 (zu Planungsarbeiten der privatrechtlich organisierten DB Netz AG).
[5]
OLG Dresden, NVwZ-RR 1998, 343, 344.
[6]
Bonk/Neumann/Siegel , in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 54 Rn. 54 ff.
[7]
Burgi , Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 16 Rn. 53.
[8]
OVG Magdeburg, NVwZ-RR 2018, 134, 135.
3. Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art
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Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ist von der Zuständigkeit der Verfassungsgerichte abzugrenzen; beiden Gerichten sind öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zur Lösung zugewiesen. Die Abgrenzung findet sich in § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Nach dieser Norm entscheiden die Verwaltungsgerichte nur solche öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, die nichtverfassungsrechtlicher Art sind. Eine Streitigkeit ist lediglich dann verfassungsrechtlicher Natur, wenn eine doppelte Verfassungsunmittelbarkeitvorliegt[1]: Es muss sich erstens auf beiden Seiten um unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Rechtsträger handeln (personales Element). Und zweitens muss der Kern der Streitigkeit im Verfassungsrecht liegen (inhaltliches Element).
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