OSKAR.
Ich wollte dich nicht beleidigen. Ich weiß, dass du mich verachtest.
MARIANNE.
Was fällt dir ein, du Idiot!
(Stille.)
OSKAR.
Du liebst mich also nicht?
MARIANNE.
Was ist Liebe?
(Stille.)
OSKAR.
Was denkst du jetzt?
MARIANNE.
Oskar, wenn uns etwas auseinanderbringen kann, dann bist du es. Du sollst nicht immer so herumbohren in mir, bitte –
OSKAR.
Jetzt möcht ich in deinen Kopf hineinsehen können, ich möcht dir mal die Hirnschale herunter und nachkontrollieren, was du da drinnen denkst –
[21]MARIANNE.
Aber das kannst du nicht.
OSKAR.
Man ist und bleibt allein.
(Stille.)
OSKAR
(holt aus seiner Tasche eine Bonbonniere hervor). Darf ich dir diese Bonbons, ich hab sie jetzt ganz vergessen, die im Goldpapier sind mit Likör –
MARIANNE (steckt sich mechanisch ein großes Bonbon in den Mund).
ZAUBERKÖNIG
(tritt rasch aus der Puppenklinik, auch in Schwarz und mit Zylinder). Also da sind wir. Was hast du da? Schon wieder Bonbons? Aufmerksam, sehr aufmerksam! (Er kostet.) Ananas! Prima! Na was sagst du zu deinem Bräutigam? Zufrieden?
MARIANNE (rasch ab in die Puppenklinik).
ZAUBERKÖNIG
(verdutzt). Was hat sie denn?
OSKAR.
Launen.
ZAUBERKÖNIG.
Übermut! Es geht ihr zu gut!
OSKAR.
Komm, wir haben keine Zeit, Papa – die Messe –
ZAUBERKÖNIG.
Aber eine solche Benehmität! Ich glaub gar, dass du sie mir verwöhnst – also nur das nicht, lieber Oskar! Das rächt sich bitter! Was glaubst du, was ich auszustehen gehabt hab in meiner Ehe? Und warum? Nicht weil meine gnädige Frau Gemahlin ein bissiges Mistvieh war, sondern weil ich zu vornehm war, Gott hab sie selig! Nur niemals die Autorität verlieren! Abstand wahren! Patriarchat, kein Matriarchat! Kopf hoch! Daumen runter! Ave caesar, morituri te salutant! (Ab mit Oskar.)
(Jetzt spielt die Realschülerin im zweiten Stock den Walzer »In lauschiger Nacht« von Ziehrer.)
MARIANNE (erscheint nun in der Auslage und arrangiert – sie bemüht sich besonders um das Skelett).
ALFRED (kommt von links, erblickt Marianne von hinten, hält und betrachtet sie).
MARIANNE (dreht sich um – erblickt Alfred und ist fast fasziniert).
[22]ALFRED (lächelt).
MARIANNE (lächelt auch).
ALFRED (grüßt charmant).
MARIANNE (dankt).
ALFRED (nähert sich der Auslage).
VALERIE (steht nun in der Tür ihrer Tabak-Trafik und beobachtet Alfred).
ALFRED (trommelt an die Fensterscheibe).
MARIANNE (sieht ihn plötzlich erschrocken an, lässt rasch den Sonnenvorhang hinter der Fensterscheibe herab – und der Walzer bricht wieder ab, mitten im Takt).
ALFRED
(erblickt Valerie). (Stille.)
VALERIE.
Wohin?
ALFRED.
Zu dir, Liebling.
VALERIE.
Was hat man denn in der Puppenklinik verloren?
ALFRED.
Ich wollte dir ein Pupperl kaufen.
VALERIE.
Und an so was hängt man sein Leben.
ALFRED.
Pardon!
(Stille.)
ALFRED (krault Valerie am Kinn).
VALERIE
(schlägt ihn auf die Hand). (Stille.)
ALFRED.
Wer ist denn das Fräulein da drinnen?
VALERIE.
Das geht dich einen Dreck an.
ALFRED.
Das ist sogar ein sehr hübsches Fräulein.
VALERIE.
Haha!
ALFRED.
Ein schöngewachsenes Fräulein. Dass ich dieses Fräulein noch nie gesehen habe – das ist halt die Tücke des Objekts.
VALERIE.
Na und?
ALFRED.
Also ein für alle Mal: lang halt ich jetzt aber deine hysterischen Eifersüchteleien nicht mehr aus! Ich lass mich nicht tyrannisieren! Das hab ich doch schon gar nicht nötig!
VALERIE.
Wirklich?
[23]ALFRED.
Glaub nur ja nicht, dass ich auf dein Geld angewiesen bin!
(Stille.)
VALERIE.
Ja, das wird wohl das Beste sein –
ALFRED.
Was?
VALERIE.
Das wird das Beste sein für uns beide, dass wir uns trennen.
ALFRED.
Aber dann endlich! Und im Guten! Und konsequent, wenn man bitten darf! – Da. Das bin ich dir noch schuldig. Mit Quittung. Wir haben in Saint-Cloud nichts verloren und in Le Tremblay gewonnen. Außenseiter. Zähls nach, bitte! (Ab.)
VALERIE
(allein; zählt mechanisch das Geld nach – dann sieht sie Alfred langsam nach; leise). Luder. Mistvieh. Zuhälter. Bestie –
III Am nächsten Sonntag im Wiener Wald
Auf einer Lichtung am Ufer der schönen blauen Donau.
Der Zauberkönig und Marianne, Oskar, Valerie, Alfred, einige entfernte Verwandte, unter ihnen Erich aus Kassel in Preußen, und kleine weißgekleidete hässliche Kinder machen einen gemeinsamen Ausflug.
Jetzt bilden sie gerade eine malerische Gruppe, denn sie wollen von Oskar fotografiert werden, der sich noch mit seinem Stativ beschäftigt – dann stellt er sich selbst in Positur neben Marianne, maßen er ja mit einem Selbstauslöser arbeitet. Und nachdem dieser tadellos funktionierte, gerät die Gruppe in Bewegung.
ZAUBERKÖNIG.
Halt! Da capo! Ich glaub, ich hab gewackelt!
[24]OSKAR.
Aber Papa!
ZAUBERKÖNIG.
Sicher ist sicher!
ERSTE TANTE.
Ach ja!
ZWEITE TANTE.
Das wär doch ewig schad!
ZAUBERKÖNIG.
Also da capo, da capo!
OSKAR.
Also gut! (Er beschäftigt sich wieder mit seinem Apparat – und wieder funktioniert der Selbstauslöser tadellos.)
ZAUBERKÖNIG.
Ich danke!
DIE GRUPPE (löst sich allmählich auf).
ERSTE TANTE.
Lieber Herr Oskar, ich hätt ein großes Verlangen – geh, möchtens nicht mal die Kinderl allein abfotografieren, die sind doch heut so herzig –
OSKAR.
Aber mit Vergnügen! (Er gruppiert die Kinder und küsst die Kleinste.)
ZWEITE TANTE
(zu Marianne). Nein, mit welcher Liebe er das arrangiert. – Na wenn das kein braver Familienvater wird! Ein Kindernarr, ein Kindernarr! Unberufen! (Sie umarmt Marianne und gibt ihr einen Kuss.)
VALERIE
(zu Alfred). Also das ist der Chimborasso.
ALFRED.
Was für ein Chimborasso?
VALERIE.
Dass du dich nämlich diesen Herrschaften hier anschließt, wo du doch weißt, dass ich dabei bin – nach all dem, was zwischen uns passiert ist.
ALFRED.
Was ist denn passiert? Wir sind auseinander. Und noch dazu als gute Kameraden.
VALERIE.
Nein, du bist halt keine Frau – sonst würdest du meine Gefühle anders respektieren.
ALFRED.
Was für Gefühle? Noch immer?
VALERIE.
Als Frau vergisst man nicht so leicht. Es bleibt immer etwas in einem drinnen. Wenn du auch ein großer Gauner bist.
ALFRED.
Ich bitte dich, werde vernünftig.
VALERIE
(plötzlich gehässig). Das würde dir so passen!
(Stille.)
ALFRED.
Darf sich der Gauner jetzt empfehlen?
[25]VALERIE.
Wer hat ihn denn hier eingeladen?
ALFRED.
Sag ich nicht.
VALERIE.
Man kann sichs ja lebhaft vorstellen, nicht?
ALFRED (zündet sich eine Zigarette an).
VALERIE.
Wo hat man sich denn kennengelernt? In der Puppenklinik?
ALFRED.
Halts Maul.
ZAUBERKÖNIG
(nähert sich Alfred mit Erich). Was höre ich? Die Herrschaften kennen sich noch nicht? Also darf ich bekannt machen: das ist mein Neffe Erich, der Sohn meines Schwippschwagers aus zweiter Ehe – und das ist Herr Zentner. Stimmts?
ALFRED.
Gewiss.
ZAUBERKÖNIG.
Herr von Zentner!
ERICH
(mit Brotbeutel und Feldflasche am Gürtel). Sehr erfreut!
ZAUBERKÖNIG.
Erich ist ein Student. Aus Dessau.
ERICH.
Aus Kassel, Onkel.
ZAUBERKÖNIG.
Kassel und Dessau – das verwechsel ich immer! (Er zieht sich zurück.)
ALFRED
(zu Valerie). Ihr kennt euch schon?
Читать дальше