Helmut Lauschke
Elf Geschichten aus dem Leben in Namibia
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Inhaltsverzeichnis
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Auf alten Sandalen in die Zukunft
Von den frühen moralischen Entgleisungen
Vom Drang nach Freiheit; Platos Höhlengleichnis
Probleme in der Notfallchirurgie
Die Morgenbesprechungen und die alten Themen
Eine kleine Nachtmeditation
Zurück in die Wirklichkeit
Besuch der Missionsstation Oshikuku
Ein Montag
Eine Fahrt ins Kaokoland
Medizin und das Relativitätsprinzip
Impressum neobooks
Auf alten Sandalen in die Zukunft
Namibia war seit etwas mehr als fünf Jahren unabhängig. Swapo stellte die Regierungspartei und hatte die Macht sicher in den Händen. Die ersten freien Wahlen (one man - one vote) hatten in Südafrika vor etwas mehr als einem Jahr stattgefunden, wobei der ANC mit Nelson Mandela als deutlicher Sieger hervorgegangen war. Politisch wurde damit die Übergabe der Macht aus den weißen Händen in die schwarzen Hände im südlichen Afrika abgeschlossen. Diese Art der Renaissance hatte nun Gültigkeit für den ganzen afrikanischen Kontinent. Der Wandel war deutlich genug, um die letzten weißen Zweifel auszuräumen und zu erkennen, dass der Händewechsel an den Hebeln der Macht ein endgültiger Prozess war, der eine Umkehr für alle Zeiten ausschloss.
In diese Zeit der afrikanischen Renaissance ging auch Dr. Ferdinand. Er tat es mit seinen Füßen ebenso wie mit seinen Gedanken. Galt die Renaissance auch ihm, der ja nicht in Afrika geboren und aufgewachsen war, der vom Gesicht und der hellen Haut her Europäer war, auch wenn er seit über zehn Jahren für die kranken und verletzten Menschen im Norden des Landes sich einsetzte und an ihnen als Chirurg arbeitete. Er hatte die letzten Jahre der weißen Apartheid und die letzte Entscheidungsschlacht vor der angolanischen Grenze miterlebt, die die Arbeit an den schwarzen Menschen erheblich erschwerten. Er erinnerte sich gut an den Ausspruch des südafrikanischen Brigadiers in einer Morgenbesprechung, dass bei der letzten Entscheidungsschlacht für die Weißen viel auf dem Spiele stehe, und dass er und alle übrigen Weißen auf einem Pulverfass sässen, das jederzeit hochgehen kann. Das weiße Kommandoschiff war gesunken, und das neue Schiff mit den schwarzen Masten und der schwarzen Besatzung hatte angelegt und lag seit einigen Jahren schweigend vor Anker. Ob im Bauch des Schiffes mit den schwarzen Masten alles aufgeräumt war, konnte Dr. Ferdinand nicht sagen. Er hatte seine Vermutung, dass da noch manches nicht aufgeräumt herumlag. Er stützte diese Vermutung auf Aussagen von Menschen, die dort einst an Bord waren und sich nun als Freiheitskämpfer bezeichneten, die im Exil waren und aus dem Exil heraus die Freiheit Stück für Stück, Quadratmeter für Quadratmeter ins Land kämpften. Dr. Ferdinand verfolgte die letzte Phase mit der letzten Entscheidungsschlacht praktisch durch die verschmierten und jene Fensterscheiben des Hospitals, die nach einem Stock- oder Steinschlag gesprungen oder das 'x-te Mal eingeschlagen waren. Er bekam die letzte Schlacht mit allen Vibrationen und größeren Erschütterungen aus nächster Nähe mit, wenn er an den Krankenbetten stand und nach den Patienten sah oder bei Operieren war, wenn ihm ein mächtiger Knall auf die Trommelfelle schlug, dass ihm die Instrumente aus der Hand fielen und der Instrumententisch mit den klappernden Instrumenten vom OP-Tisch wegrollte. Die Nähe zum Geschehen blieb, als die neue Mannschaft an Land ging und in die Zentren der Macht eilte, um die entsprechenden Hebel der Entscheidung schnell in die Hände zu bekommen, die noch warm von den weißen Händen waren, die diese Hebel in irgendwelche Gänge oder Leerläufe geschaltet hatten. Für die neue Mannschaft war es dringend, das Steuerrad so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen. Viele, die da kamen und auf dem Wege zur Macht und den hohen Positionen waren, unterbrachen für kurze Zeit ihre Fahrt mit dem Auto und statteten dem Hospital einen Besuch ab, wo sie vom ärztlichen Direktor und dem Superintendent, die beide mit den reichlichen Melanozyten gesegnet waren, brüderlich begrüßt und über den neuesten Stand informiert wurden. Da war so etwas wie der Wunsch nach einer afrikanischen Renaissance im Sinne einer schwarzen Wiedergeburt zu spüren. Dem Beobachter solcher Besuche fiel die Zielstrebigkeit und Zielsicherheit derjenigen Männer und Frauen auf, die auf ihrer Fahrt in die Machtzentrale noch unweit der angolanischen Grenze einen Abstecher zum Hospital machten. Bei der Betrachtung ihrer Gesichter gab es so gut wie keine Zweifel mehr, dass es ihnen um die Macht und ein besseres Leben ging. Ob sie beim Trachten nach dem besseren Leben mit den offensichtlich versprochenen Vergünstigungen auch an die Menschen im Lande dachten, die nicht im Exil waren und dafür die Armut und das Leid menschlich grenzenlos erlitten, dachten und sie in ihr Trachten nach dem besseren Leben einbezogen, das war ihren Gesichtern nicht anzusehen und aus ihren Worten nicht herauszuhören.
Dr. Ferdinand verschloss die Bauchdecke eines Mannes, der so alt nicht war und von einem Tumor verzehrt wurde, der, wie sich bei der Operation herausstellte, vom Magen ausging und den angrenzenden Querdarm bereits befallen hatte. Diesem Patienten hatte das Schicksal einen Schlussstrich unter das Leben in naher Zukunft gezogen, dem chirurgisch nicht mehr anzukommen war. Diese Operation war also nur ein Öffnen und Schließen des Bauches, eine sogenannte Probelaparotomie, wie sie Dr. Ferdinand schon so oft durchgeführt hatte und ihn immer wieder bedrückte, dass er da nicht helfen konnte. Die OP-Schwester erinnerte ihn an den alten Mann mit dem weit fortgeschrittenen Magenkarzinom, bei dem er vor Jahresfrist auch eine Probelaparotomie durchgeführt hatte. "Ja, an diesen Patienten erinnere ich mich gut", sagte er, "weil der, als er aus der Narkose erwachte, mit der Hand über seinen Bauch strich und spürte, dass sich da im Bauch nichts verändert hatte. Von diesem Moment an hatte der alte Mann mit seinem Leben abgeschlossen, schloss seine Augen und hielt sie auch dann geschlossen, wenn ich an seinem Bett stand und zu ihm redete. Er wollte sich am Ende seines Lebens von keinem mehr stören lassen, auch nicht von mir."
Dr. Ferdinand knüpfte den Faden nach Verschluss der Muskelblätter, streckte den verknoteten Faden nach oben, und die Schwester durchschnitt ihn mit der Schere oberhalb des Knotens. "Haben Sie mal was von dem freundlichen Kollegen gehört, der hier in der Uniform eines frisch gebackenen Leutnants der südafrikanischen Armee seinen Dienst getan hatte?", fragte ihn die Schwester, als sie ihm den Nadelhalter mit Faden für die Hautnaht in die rechte Hand drückte. "Meinen Sie Dr. van der Merwe?", fragte er zurück. Es war ein Name, den Dr. Ferdinand in seinem Leben nicht vergessen wollte, weil sich mit diesem Namen ein hervorragender junger Mensch und Arzt verband, der auf seine Uniform keine Rücksicht nahm, wenn er am Patienten arbeitete. Dazu kam, dass Dr. van der Merwe wie ein Freund zu ihm war, als er noch ganz unsicher seine Füße auf den afrikanischen Boden setzte. Oft hatte er seine Hilfe angeboten, damit er als Neuling afrikanischer Verhältnisse beim Aufsetzen der Füße keine weichen Knie bekam.
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