„… werden wir auch die letzten beiden Etappen zu Ende fahren“, ergänzte sie seinen Satz. „Du bildest dir schon wieder etwas ein.“
Nach einer Weile hatte er eine Idee. „Weiß wirklich nicht, ob wir heute Abend auch noch mit denen zum Essen gehen sollten. Das Hotel soll sich nahe am Ortseingang befinden. Was hältst du davon, wenn wir einfach erst mal ins Zentrum fahren und dort bummeln gehen?“
„Das können wir machen, obwohl die Gruppe ein solcher Alleingang stören könnte. Ich weiß nicht. Zumindest müssen wir im Hotel eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht könnten wir die sogar mal anrufen.“
***
„Da vorn müsste gleich das Ortsschild auftauchen. Ich sehe ja schon die ersten Häuser!“, rief Paul, der etwas vorausfuhr und jetzt ein Handzeichen gab.
„Wir haben’s gleich geschafft, da vorn beginnt die Stadt“, rief einer, der zu ihm aufgeschlossen hatte.
Keine Viertelstunde später standen sie vor dem Hoteleingangsportal, und Paul lief sofort in die Lobby. „So, jetzt frage ich gleich mal, ob Klaus und Petra schon eingetroffen sind!“ Er nahm gar nicht mehr wahr, wie Rosa und Beatrix ihre Augen verdrehten und sich dann angrinsten.
Es dauert, bis Paul zur Gruppe zurückkehrte und ein besorgtes Gesicht zeigte. Da hatten die anderen schon ihre Räder in der Tiefgarage des Hotels eingestellt.
„Die Benders sind angeblich noch nicht eingetroffen! Eine Nachricht hat der Mann am Empfang auch nicht erhalten“, erklärte er. „Das ist mir völlig unverständlich, die sind ja vorausgefahren, und wenn sie auf der Landstraße geblieben wären, heißt das nicht, dass sie dann unbedingt langsamer sein müssten, auch wenn es über die Straße länger ist.“
„Abgesehen davon, dass die ja kaum so lange Pausen gemacht haben dürften, haben die ja weniger Wein bei sich“, spottete Lars unpassend.
„Können wir die nicht per Handy erreichen?“, fragte Benno, der an das Naheliegende dachte.
„Na klar! Wenn jemand von euch eine Handynummer von denen hat“, nickte Paul und hielt erwartungsvoll sein Telefon hoch. Doch es meldete sich niemand. „Mist, ich habe nämlich auch nicht deren Handynummern, nur deren Nummer vom Festnetz und Klaus’ Firmennummer.“
Keiner von ihnen wusste mehr. „Wieso haben wir eigentlich nicht die Handynummern mit denen ausgetauscht? Das haben wir doch sonst immer gemacht“, meldete sich Benno nochmals. Es klang wie ein Vorwurf an Paul, der sich diesen Schuh auch anzog.
„Hinterher ist leicht jammern!“, wehrte er schwach ab. „Ich denke, dass wir erst mal unsere Zimmer einnehmen sollten. Wir warten noch bis zum Abendessen, also so bis etwa achtzehn Uhr. Wenn sie dann nicht erschienen sind, werde ich bei der Polizei nachfragen. Eventuell müssten wir uns sogar auf die Suche nach denen machen.“ „Wie, auf unseren Rädern?“, fragte Lars ungläubig.
„Unter Umständen ja! Oder hast du eine bessere Idee?“, schoss Paul genervt zurück. „Wir können ja nicht einfach zu Abend essen und die ihrem Schicksal überlassen, oder?“ Seine Reaktion ließ keine Zweifel, dass ihm die Gleichgültigkeit einiger seiner Mitfahrer nicht gefiel.
***
Es war schon nach achtzehn Uhr, und alle hatten sich in der Gaststube eingefunden, wo für die Gruppe ein großer Tisch eingedeckt worden war. Keiner der Freunde hatte Platz genommen, erst wollten sie hören, was Paul inzwischen in Erfahrung gebracht hatte.
Der erschien ungewohnt nervös. Carmen hatte er in ihrem Zimmer gesagt, dass er erstaunt sei, wie teilweise unpassend sich einige ihrer Freunde zeigten. Zwar gefiele ihm Klaus’ Verhalten ebenfalls nicht immer, aber das sei für ihn kein Grund, die beiden Benders abzulehnen.
Jetzt fiel ihm offensichtlich nichts ein, was er seinen Gefährten vorschlagen könnte. Inzwischen war klar, dass die Benders sich entweder verfahren hatten oder wegen einer Panne auf der Strecke liegen geblieben sein mussten. Ihre Koffer standen immer noch in der Lobby. Der Tourenveranstalter sorgte stets dafür, dass ihr Gepäck von Hotel zu Hotel transportiert wurde.
„Gemeldet haben sie sich weder bei mir noch hier an der Rezeption. Das Büro vom Veranstalter der Radtour habe ich versucht zu erreichen, war aber schon geschlossen, geht erst morgen früh wieder.“ Paul drehte sich fragend im Kreis, um zu sehen, ob jemand anderes etwas erfahren hatte.
„Wenn die Benders zunächst die Straße weitergefahren wären, könnten die auch noch später abgebogen sein, um dann irgendwann auf unsere Strecke zu stoßen. Auch so sollten die sich kaum verfahren haben. Klaus hat ja ein Navi dabeigehabt“, bemerkte Benno, dem die Warterei nicht gefiel.
„Dass die uns immer so abhängen, ist das wirkliche Problem“, beschwerte sich dessen Frau, die kaum Verständnis für die Benders aufbrachte.
„Entweder die warten auf uns, oder, wie jetzt wieder, wir warten auf die“, drückte Rosa aus, worüber die anderen in der Gruppe möglicherweise ähnlich dachten.
„Was können oder was sollten wir jetzt tun?“, lenkte Paul die Runde auf die seiner Meinung nach nächstliegende Frage.
„Du solltest die Polizei anrufen“, schlug Lars vor, den es auch zum Abendessen zog.
„Das kann ich machen. Aber was, wenn die nichts wissen?“, bohrte Paul nach.
Die allseitige Meinung war, dass er erst mal bei der Polizei anrufen sollte, und dann könnte man weiter- sehen.
Sein Telefonat mit dem Revier dauerte lange, da hatten sich seine Freunde schon an den Tisch gesetzt.
„Die Polizei hier weiß nichts, und weder deren Kollegen im Nachbarort noch das hiesige Krankenhaus wissen etwas über die Benders“, erklärte Paul nach seinem Telefongespräch. „Was machen wir jetzt?“
Wenn es ein Stimmungsbarometer gab, so waren es die Mienen der Freunde, die erkennen ließen, was die meisten empfanden. Jedem schien klar, dass sie nicht einfach ihr Abendessen fortsetzen könnten, wenn da zwei aus ihrer Gruppe vermisst wurden. Selbst Rosa und Beatrix schienen das einzusehen.
Insgeheim hofften sie vielleicht, dass sie die Vermissten nicht mit dem Rad in der Dunkelheit suchen müssten. Aber Paul schlug genau das jetzt vor.
„Also wer will mich begleiten? Allein möchte ich nicht die Strecke zurückfahren“, erklärte er.
„Du meinst aber nicht die ganze Strecke?“, meldete sich Beatrix, was Paul nur mit Kopfschütteln quittierte.
„Die Landstraße könnte man doch besser mit einem Taxi abfahren als mit unseren Rädern“, gab Benno zu bedenken. „Mit dem Fahrrad dauert es sehr viel länger, und wir wissen nicht einmal, welche Strecke die gefahren sind. Aber wenn du willst, werde ich dich natürlich auf dem Rad begleiten.“
„Die Straße mit einem Taxi abzufahren ist eine gute Idee, Benno! Könnten die Frauen übernehmen. Ansonsten würde ich unsere Strecke auf dem Schotterweg Richtung unserer letzten Rast zurückfahren wollen. Wer begleitet mich denn noch auf dem Rad?“
Obwohl die, die sich jetzt meldeten, noch ihr Abendessen beenden wollten, ging es dann doch recht schnell. Keine fünfzehn Minuten nach ihrer Beratung fuhren erst Paul, Lars und Benno mit dem Rad los, wenig später auch das Taxi. Carmen und Beatrix hatten sich angeboten, diese Fahrt zu übernehmen. Zuvor hatten sie gemeinsam überlegt, welchen Weg Klaus und Petra genommen haben könnten. Unglücklicherweise boten sich unterschiedliche Routen an, das Hotel zu erreichen.
„Die Benders haben wahrscheinlich vor unserer letzten Rast die richtige Abzweigung nach rechts auf den Schotterweg verpasst. Vermutlich sind die erst mal der Landstraße weiter gefolgt“, vermutete Benno. „Der hat mir wahrscheinlich gar nicht zugehört, denn ich hatte ihn ausdrücklich darauf hingewiesen, rechtzeitig von der Landstraße abzubiegen. Auf dem Navi habe ich ihm noch die Stelle gezeigt …“
„Kann schon sein. Aber auch dann könnten die irgendwann noch von der Landstraße abgebogen sein und haben später versucht, uns zu treffen“, stimmte Paul ihm zu. „Lass uns jetzt so zurückradeln, wie wir gekommen sind. Ich habe die Hoffnung, dass wir dann auf die beiden stoßen.“
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