Günther Seiler - Bestatter sind auch nur Menschen

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Sind Bestatter auch Menschen? Diese Frage beantwortet Günther Seiler eindeutig mit «ja»! In neun spannenden und humorvollen Kurzgeschichten werden die menschlichen Seiten dieser Berufsgattung mit ihren manchmal berechnenden Kunden sichtbar. Die Tränen sind nicht immer echt.

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Günther Seiler

Bestatter sind auch nur Menschen

Kriminalkurzgeschichten

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Inhaltsverzeichnis Titel Günther Seiler Bestatter sind auch nur Menschen - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Günther Seiler Bestatter sind auch nur Menschen Kriminalkurzgeschichten Dieses ebook wurde erstellt bei

1. Geschichte: Fall eines Bestatters

2. Geschichte: Der Sensenmann

3. Geschichte: Der Pathologe und der Bestatter

4. Geschichte: Der Friedhofsgärtner

5.Geschichte: Der Trauerredner

6. Geschichte: Die Gräfin

7. Geschichte: Lautlos

8. Geschichte: Zahltag

9. Geschichte: Die 50 Urnen

Impressum neobooks

1. Geschichte: Fall eines Bestatters

Es waren nur noch wenige Schritte bis zum ausgehobenen Grab und Pfarrer Folke Uphusen ging gleichmäßig in nahezu staksigen, aber trotzdem fließenden Schritten. Der Herr Pfarrer hatte sich im Laufe der Zeit einen eigenartigen Gang angewöhnt: er stelzte wie ein Flamingo. Die Leute munkelten, dass es nur noch fehlen würde, wenn er im Stillstand ein Bein anziehen würde.

In Gedanken war er schon bei der Bestattung am Nachmittag. So war es immer, die gerade anstehende Beerdigung war für ihn schon erfolgreich abgehakt und in der Jahresstatistik abgeheftet. Wieder einmal eine runde Sache, gut, schnell und effizient abgearbeitet! Die letzte Biegung des Friedhofsweges wurde von den letzten Trauergästen genommen und der beliebte Pfarrer Uphusen in der Gemeinde Holmerdingermoor in der Nähe von Norden in Ostfriesland wartete, bis die Trauergemeinde näher rückte. Er wollte die letzten Worte über die Tote, Maria Pohl, eine bekannte Unternehmerin aus Holmerdingermoor, die mit 83 Jahren friedlich an Altersgebrechen, wie man landläufig sagte, verstorben war, sprechen. Genau genommen sagten die Ostfriesen in ihrem Plattdeutsch, der Verstorbene ‚is dood bleeben‘. Also übersetzt, tot geblieben. So war es nun einmal in Ostfriesland.

Folke Uphusen sprach die letzten Worte, als er plötzlich von etwas abgelenkt wurde und über seine Lesebrille hinweg über die Bibel sah. Obwohl er die erforderlichen Passagen natürlich auswendig wusste, hatte er immer den Bibeltext zur Sicherheit aufgeschlagen. Eine kurze Unruhe war zu vernehmen, und dann bemerkte er den Grund. Der Bestatter, Doktor Hubert von der Reben fiel wie in slow-motion über den Grabesrand in das Grab hinein und war mit einem kurzen Aufschrei der direkt neben ihm stehenden Trauergäste mit einem Mal verschwunden. Ein Bestatter, der in ein von seinen eigenen Leuten ausgehobenes Grab fiel und in einer verkrümmten Embryohaltung mausetot da lag! Da konnte man sicher sein, dass es in Holmerdingermoor dunklen, ja spökenhaften Gesprächsstoff gab!

Der Pfarrer, ein Mann der Tat, bat die Gäste, beiseite zu treten. Er gab dem Erstbesten seine Bibel mit seinen zusätzlichen Textseiten, es waren vier Blätter, einfach in die Hand und stieg mit seiner wehenden Soutane unter den ungläubigen Blicken der anwesenden Trauernden in das Grab. Der Bestatter hatte die Augen geschlossen und dem Herrn Pfarrer fiel ein merkwürdiger Geruch aus dem Mund des Herrn Doktor, wie der Bestatter in Holmerdingermoor ehrfurchtsvoll genannt wurde, für den Bruchteil eines Augenblickes auf. Er konnte aber diesen Geruch nicht einschätzen, geschweige denn seinem Lebenserfahrungsschatz in irgendeiner Form zuordnen. Nun sprach er mehr zu sich: „Der riecht aber komisch aus dem Mund, so nach Mandeln.“ Er hielt das aber für nebensächlich, blickte von unten hilfesuchend aus dem Grab und bemerkte, dass einige Gäste mit ihrem Handy Fotos anfertigten. Der Pfarrer hatte keine Zeit, darauf einzugehen, sondern rief laut, dass bitte jemand im Krankenhaus in Norden nach einem Arzt rufen möchte.

In der Bäckerei Ummo Harms in Holmerdingermoor war an diesem Morgen einiges los. Zum Einen verunglückte der Brotlieferant mit seiner frischen Fracht in einem Graben, weil der Fahrer am Vortag mit seiner Boßeltruppe einen Wettbewerb nach einigen Jahren gegen eine gute Mannschaft aus Dangast gewonnen hatte und das gefeiert werden musste. Als der Polizist, ein Boßelkumpel aus Emden ihn aus dem Fahrzeug zog und die Alkoholfahne roch, dachte dieser für einen Augenblick, aber wirklich nur für einen Augenblick, seinen Boßelfreund zu verschonen. Dies musste irgendwie die Kollegin bemerkt haben, die nur meinte: „Das denkst du doch nicht wirklich?“ Die Sache war erledigt und ging seinen Gang zum Staatsanwalt. Zum Anderen hatte die Bäckerei Harms an diesem Morgen aber noch einen weiteren Vorfall zu verarbeiten: Der erste Geselle hatte sich am heißen Ofen verletzt und war in eine Spezialklinik nach Bremen eingeliefert worden.

Doris Haber stand brav in der hinteren Reihe vor der Theke an und hörte sich die neuesten Nachrichten aus Holmerdingermoor, ihrem Dorf in der Nähe des Ewigen Meeres, in dem sie seit ihrer Geburt lebte, an. Jeden Tag fuhr sie nach Leer zu ihrer Dienststelle. Im Augenblick hatte sie nicht nur diese verantwortlich zu vertreten, sondern auch die Kripo in Aurich, die ihr wegen eines durch Krankheit bedingten Ausfalls anvertraut worden war. Dabei hatte sie sich immer aus den verwaltungstechnischen Dingen der Polizei möglichst heraushalten wollen. Aber trotz der Zusage der Polizeipräsidentin, dass sie als Ermittlerin weiter arbeiten konnte, wurde ihr der „Papierkram“, der auch wichtig war, langsam zu viel. Doris hatte schon das Gefühl, diese Papierflut aus den Ministerien würde nie aufhören. Aber sie war dafür verantwortlich, dass das nicht nur Makulatur blieb, sondern, wie es so schön hieß, in praktische, vernünftige Formen gegossen wurde.

Nun aber hatte sie einige Tage frei und wollte ihren Kopf von der frischen Seeluft auf ihrem Fahrrad am Deich so richtig frei pusten lassen. Doris liebte das Alleinsein, sie war ungebunden und so sollte es auch bleiben.

Die erste Reihe in der Bäckerei hatte ihre Ware bekommen und machte Platz, als eine alte Dame, die sehr blass und mitgenommen aussah, laut einer Verkäuferin, die ihre Enkeltochter war, zurief: „Hilka, ich war gestern auf der Beerdigung von Maria.“ Ihre Enkelin schien genervt zu sein: „Das weiß ich doch, Oma. Ich muss arbeiten!“ Ihre Oma schien aber die Zurechtweisungen ihrer Enkelin zu kennen und störte sich nicht weiter daran, auch wenn sie wohl meinte, so langsam vergesslich, also tüddelig im Kopf, zu werden. Die Oma ließ sich auch nicht von neuen Kunden aus der Ruhe bringen, die sich nun langsam in die überfüllte Bäckerei hineinzwängten. „Aber alles weißt du nicht! Der Bestatter ist, noch bevor der Herr Pfarrer das letzte Gebet sprechen konnte, tot in das Grab gefallen, bevor Marias Sarg dort abgelassen wurde. Das ist ein ganz schlimmes Omen! Es wird hier im Dorf für einige eine ganz böse Zeit anbrechen, zumal der Herbst vor der Tür steht. Der Herr Pfarrer murmelte auch mehr zu sich selber ‚Der riecht aber komisch aus dem Mund, so nach Mandeln.‘ Ich habe das genau gehört! Denn erstens hatte mein Hörgerät neue Batterien und zweitens stand ich direkt vorne am Grab! Ich komme ja immer früh zu Beerdigungen, die finde ich immer schön feierlich und ich stelle mir immer vor, welche Bestattung ich haben möchte.“ Es war ihrer Enkelin sichtlich peinlich: „Gut, Oma, hier sind deine zwei frischen Brötchen. Es kann doch sein, dass der Herr Doktor von der Reben frische Mandeln vom Jahrmarkt aus Norden gegessen hat, so als Ablenkung von der Bestattung. Er hat sich halt bei seiner schweren Arbeit eine kleine Freude gemacht.“

Aus der hinteren Reihe meinte abschätzig eine Kundin: „Von wegen schwere Arbeit! Das kann bei dem feinen Herrn Bestatter nur das Rechnungsschreiben sein! Seine Preise sind gepfeffert, um die Leute unter die Erde zu bringen. Den Rest machen doch seine Leute.“ Einige Kunden erwarteten nichts Nachhaltiges mehr an neuen Informationen und drängten an die Theke. Als Doris ihre Tüte mit den Brötchen in die andere Hand nahm, um die Ladentür schließen zu können, sah sie sich nach der alten Dame um: „Entschuldigen Sie bitte, ich habe gerade Ihre Worte zum Sturz des Herrn von der Reben in das Grab gehört. Dürfte ich Sie einen Moment sprechen?“ Die alte Dame Hedda Oltmanns sah sie misstrauisch an: „Wenn Sie von der Zeitung sind, sage ich kein Wort mehr.“ Doris lachte: „Nein, natürlich bin ich privat in der Bäckerei, beruflich bin ich bei der Polizei. Aber wenn ich etwas berufliches im privaten Bereich mitbekomme, muss ich schon aus gesetzlichen Gründen dem nachgehen, sonst mache ich mich unter Umständen strafbar. Erzählen Sie mir bitte, was war das genau mit dem Bestatter und was passierte nach dem Sturz.“

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