1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 „Hört mal, wenn wir heute bei diesem herrlichen Radfahrwetter nicht die Fahrt entspannt genießen, wann denn dann?“ Paul war der Gedanken an eine Verschwörung oder gar an Mobbing völlig fremd.
Die Hälfte ihrer Etappe war geschafft, und sie hatten in einem Gartenlokal schon eine erste Pause eingelegt, da stießen sie am Ortsausgang auf die Landstraße. Befolgten sie den Rat des Hotelpersonals, müssten sie bald bei der Abzweigung auf einen Feldweg in ein Waldgebiet abbiegen.
Der Autoverkehr auf der Straße zwang sie zwar, gelegentlich hintereinander herzufahren, aber er war so gering, dass sie mühelos ihre Gespräche fortsetzen konnten. Es bildeten sich zwischen ihnen bald stetig größer werdende Lücken, weil die vorn Fahrenden auf das Tempo drückten. Das lag vor allem an Klaus, der, nicht überraschend, gefolgt von Petra an der Spitze fuhr. Bald betrug deren Abstand zu den anderen schon einige Hundert Meter. Ihm fiel das gar nicht auf, er war so in Gedanken vertieft, dass er selbst Petras Mahnung überhörte, langsamer zu fahren.
„Die können’s nicht lassen!“, rief verärgert Beatrix der vor ihr fahrenden Rosa zu. „Jetzt sind die schon wieder kaum noch zu sehen.“
„Die passen gar nicht in unsere Gruppe!“, wiederholte sich Rosa laut. „Wollen mal sehen, ob die das nicht bereuen!“
„Die sehen wir sicher erst im Hotel wieder“, feixte Benno.
Den beiden Frauen schien der Gedanke, dass die Benders so weit davongezogen waren, zu amüsieren. Nur Lars hatte wohl keine Ahnung. „Gibt’s etwas, wovon ich nichts weiß?“
Klaus und Petra waren inzwischen so weit voraus, dass sie selbst lautes Rufen ihrer Freunde nicht hören würden. Immer noch vertieft in Gedanken, erinnerte sich Klaus nicht mehr so genau an das, was Benno über die Strecke erklärt hatte. Den scharf nach rechts abzweigenden Weg übersah er natürlich. Den musste er ja entsprechend dessen Hinweis gar nicht beachten. Stattdessen vertraute er seinem Navigationssystem, das ihn anwies, weiter der Landstraße zu folgen.
„Wie lange müssen wir denn noch auf dieser Straße fahren?“, fragte Petra ihren Mann.
Jetzt bedauerte Klaus, sich nicht mehr exakt an das Gespräch mit Benno am Morgen erinnern zu können. „Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sagte Benno, dass wir der Straße erst mal folgen sollten. Angeblich hätte jemand im Hotel ihm das geraten. Aber nicht mehr lange, dann erreichen wir sicher eine Abzweigung, wo wir die Straße verlassen können. Das zeigt mir auch das Navigationssystem.“
Ihre Gefährten hatten keine Chance, Klaus noch zu beeinflussen. Sie sahen wegen einer langen Rechtskurve nicht einmal, dass der und Petra irrtümlich geradeaus radelten. Die Gruppe war so weit zurückgefallen, dass sie den Benders kaum etwa verständlich hätten hinterherbrüllen können. „Jetzt haben sie sich möglicherweise vertan“, sagte Benno leise zu Rosa, die ihm zunickte.
Als dann einige Mitfahrer die nächste Pause anmahnten, störte es die meisten wenig, dass die Benders fehlten.
„Das ist dumm!“, erklärte Paul, dem stets wichtig war, dass sie alle zusammenblieben. „Hat jemand Klaus informiert, dass wir nicht auf der Straße bleiben sollen, auch wenn das Navi etwas anderes vorschlagen sollte?“
Bevor Benno antworten konnte, polterte Rosa ihre Abneigung gegenüber Klaus heraus. „Die fahren immer voraus und machen dann auch noch blöde Sprüche. Die sollen fahren, wie sie wollen.“
„Paul, das ist völlig richtig! Wir sind auf jeden Fall nicht für die verantwortlich“, schloss sich Beatrix Rosas Meinung an.
„Jetzt mal langsam, Leute“, suchte Paul die Stimmung zu versachlichen. „Ich dachte, dass wir uns gestern einig waren. Wir sind als Team gestartet und fahren diese Tour auch bis zur letzten Etappe gemeinsam zu Ende.“
Niemand widersprach, sie teilten zwar die Kritik der beiden Freundinnen an Klaus, aber nicht deren scharfe Antipathie. Keiner hatte Interesse daran, dass diese Tour mit einem solchen Zerwürfnis, was sicher auch Paul hart treffen würde, endete.
Alle standen etwas ratlos im Kreis um ihn herum, und fast hätten sie den Zweck der Pause vergessen.
Paul beabsichtigte einen Moment lang, Klaus mit seinem Handy zu erreichen, steckte das aber gleich wieder kopfschüttelnd ein. Carmen erklärte er, dass er nicht einmal eine Handynummer von denen hätte.
„Die Benders sind also wohl eine andere Strecke als wir gefahren“, stellte Paul für alle nüchtern fest. „Aber die sind in der Lage, ihren Weg auch ohne uns zu finden. Spätestens im Hotel werden wir sie dann wiedertreffen. Und vielleicht ist es gerade ganz gut, wenn wir eine Weile ohne sie fahren können. Mit ist aber wichtig, dass wir diese Tour gemeinsam, das heißt auch mit Klaus und Petra, zu Ende fahren. So, wo ist der Wein?“
Jetzt breitete sich so etwas wie Erleichterung unter den Freunden aus. Gleich nach Pauls kurzer Rede öffnete Lars schon eine Weinflasche, und zusätzlich wurden Tüten mit Süßigkeiten herumgereicht. Fast erschien es ihnen, als unterschiede sich diese Tour überhaupt nicht von denen davor. Es wurde munter drauflosgequatscht, auch mal einige dumme Sprüche geklopft, worüber sie lachten oder den Kopf schüttelten. So verging diese Pause so vergnüglich, wie sie sich das alle von Anfang an gewünscht hatten.
Und diese Rast dauerte sogar länger als üblich. Keiner hatte damit Probleme, dass sie möglicherweise erst nach Einbruch der Dunkelheit ihr Hotel erreichen würden. Jetzt beschleunigten sie ihr Tempo so, dass selbst die Benders gestaunt hätten. Und sie entschlossen sich, auf eine weitere Unterbrechung zu verzichten.
***
„Sag mal, fahren wir nicht viel zu schnell? So holen die uns nie ein“, bemerkte endlich Petra, die sich nach einer Pause sehnte. „Lass uns doch mal warten.“
„Stimmt! Wir sind zu schnell gefahren. Wir halten hier erst mal an und warten einen Moment. Brauchst du Wein?“, fragte Klaus aus Spaß.
„Wasser brauche ich und ein paar Süßigkeiten“, erwiderte sie und hockte sich neben ihrem Rad auf die Böschung.
„Geht es dir gut?“, fragte er und schaute sie prüfend an. „Du bist so rot im Gesicht.“
„Alles in Ordnung. Aber bist du wieder runter von deinem Ärger?“, wollte Petra wissen.
„Irgendwie … Lass mal gut sein. Ich will nicht mehr darüber nachdenken. Hoffe, dass die anderen bald aufschließen können.“
„So richtig glücklich wirkst du nicht gerade auf mich. Dich wurmen diese häufigen Reibereien.“
„Zumindest die mit dieser Rosa“, erwiderte er und klang dabei nicht verärgert. „Ich habe mir etwas vorgemacht, nicht in Bezug auf Paul und Carmen. Die sind schon beide okay und verhalten sich meist souverän.“
„Ich mag die beiden Kleins auch. Gilt mit kleinen Einschränkungen für einige der anderen auch.“ Petra legte den Arm um ihren Mann. „Jetzt fahren wir diese Tour zu Ende, halten uns mit Kritik zurück und versuchen, uns in deren Runde besser einzufügen. Nur darum geht’s, Klaus.“
Er sah auf seine Uhr, weil er das Gefühl hatte, dass sie hier schon zu lange warteten, fast eine Stunde war vergangen. Er stand jetzt auf und schaute intensiv die Landstraße zurück.
„Das verstehe ich nicht! So weit können wir doch nicht vorausgefahren sein.“
„Sind wir denn überhaupt die richtige Strecke gefahren? Was sagt dein Navi?“, fragte Petra.
„Benno hatte mir vor der Abfahrt etwas von einer Abzweigung erzählt – oder war es eine Streckenänderung? Da habe ich vielleicht doch nur halb zugehört. Meines Erachtens sagte er, dass wir auf der Landstraße bleiben sollten, entgegen der Tourenempfehlung …“
„Was machen wir, wenn die doch anders gefahren sind?“, bohrte sie nach.
„Dann werden wir halt hier auf der Landstraße zunächst weiterfahren, die führt ja irgendwann zur Stadt, unserem Ziel. Allerdings: Schneller am Ziel wären wir dann höchstens mit einem Auto.“ Er lief zu seinem Rad und stieg auf. „Wenn Benno mich bewusst hat irreführen wollen, dann …“
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