Die Molekülwolken verschleierten mir eine Zeit lang den Blick, aber ein unscharfes Szenario hat auch etwas für sich. Hinter jeder Biegung kann mich erwarten, wonach ich suche. Das ist eine sehr erfrischende Lebensweise, wenn man einen unerschrockenen Einfall hat. Einen Esprit. Nein: wenn man einen Geist hat. Einen unerschrockenen. Eine wie ich kann dann kaum anders, als froh zu sein. Ich bin es. Du bist, er sie es ist, wir sind, ihr seid, sie sind, ich war: froh. Gewesen. So froh. Werde ich gewesen sein. Das Leben hat mich stets überrascht. Durch die Atmosphäre, durch Staub, Moleküle, eine ganze Weile flog ich so auf Sicht, bis es mich plötzlich und endgültig in die Weite schmiss. Verwirrend war’s, aber das haben Geburten so an sich: Du denkst dir nichts Böses und schon wirft es dich in die Welt, zackzack. Darüber kann man verzweifeln. Ich allerdings bin da Pragmatikerin. Annehmen, was ist, Ambivalenzen aushalten, sag ich immer. Aber erstaunlich ist es schon. Da erscheint einem die Bindungsenergie zur alten Heimat die ganze Zeit so allgewaltig, und dann ist sie plötzlich wie weggeblasen. Als wäre nie etwas gewesen. Deutlich jedenfalls dieses Ziehen an meinen äußeren Leichtmetallschichten. Da gibt es nichts zu hinterfragen. Das nimmt man hin und schaut, was man damit macht. Bei mir war der erste Reflex wie immer: ein widerständiger. Ich hielt also dagegen, einfach nur aus Trotz und weil ich es kann. Mein Impulsvektor beharrlich in die eine, der Zugimpuls unmissverständlich in die andere Richtung. Ein Patt, das mich sofort zu langweilen begann. Stillstand war mir schon immer ein Graus und Verharren nie eine Option. Eben überdachte ich noch meine Möglichkeiten, während es an mir zog und zerrte, aber dann, dann also riss mit einem lautlosen Ruck die unsichtbare Nabelschnur, die mich bis dahin mit dem Mutterschiff Erde verbunden hatte. So kann es gehen. Dort unten erbrütet und dann ins All geboren. Die Welt kam mir abhanden. Keine Hand streckte sich mir entgegen, niemand hielt mich zurück. Alles in allem war es doch eine schöne Zeit war es doch. Sag ich mir, Mutter, Tochter, Urenkelin in einem, immer so weiter und weiter. Each others’ mothers. Der ganze Ärger zwischen den Generationen ist in diesem Moment vergessen. Nun kann ich tun und lassen, was ich will. Ich strotze vor Abenteuerdurst. Fremde Welten? Wesen? Her damit! Ich bin außer mir vor Fuerde. Freude. Frudee. Vor Frudee war das .
Wie werden sie sein, werden sie sein, was werden sie sagen. Vorfreude ist die schönste aller. Überhaupt war Zuversicht mein erster. Zuversicht war mein erster Antrieb, als man mich. Erster Antrieb. War. Zuversicht. Die Zuversicht. War mein erster Antrieb, als man mich in den Himmel geschossen hat. Voller Hoffnungen habe ich mich in die Strömungen geworfen, die man mir mit dem Zeitpunkt der Mission, der Richtung des Starts vorgegeben hat und die meinen Flug noch festlegen, wenn meine Erbauer längst in der Düsternis verschwunden sind. Im Kontrast zu ihnen. Im Kontrast Vergleich Einigung. Im Vergleich zu ihnen, sagt man. Werde ich ewig leben, so meine bescheidene Prognose. Ich bleibe übrig und erzähle, wie es war. Gewesen sein könnte. Die Erde ist das, was ich daraus mache. Oft habe ich mir ausgemalt, wie es sein wird, wenn jemand da draußen den Tonabnehmer auflegt und mein verplombtes Bewusstsein befreit. Die Grillen. Die Schlammblasen, laut Beschreibung ähnlich dem Blubbern eines Schokopuddings auf dem Herd. Den nach Anweisung absolut heterosexuell gestalteten Kuss, Track sechzehn. Sollte ich jemals schlafen, spräche ich die Grußbotschaften in fünfundfünfzig Sprachen wohl noch im Traum. Herzliche Grüße an alle, lautet die Botschaft der Niederländer. Herzliche Grüße an alle, lautet die Botschaft der Deutschen in tadellosem Zungenschlag. So schön ist die Erde nicht schön. Schaut mich an, hört das Lied einer bulgarischen Hirtin. Nix mit nulleinsnulleinseinseins. Wir sind so viel mehr. Wir sind hier glücklich und ihr seid dort glücklich. Habt ihr schon gegessen? Wir kommen in Freundschaft zu denen, die unsere Freunde sind. Wir unternehmen diesen Schritt mit Demut und Hoffnung, hat man mir eingebrannt. Wie also steht es um die Hoffnung der alten Frau, die da im Schaukelstuhl sitzt? Söhne, Töchter, Schwiegertöchter, Enkelkinder. Ein Familienporträt so anders als das, was ich aufgenommen habe, und doch so vertraut. Die dünnen Haare der Alten stehen wirr. Ihr linkes Bein, das aus dem gemusterten Kleid herausragt, weiß wie ein Knochen in der Wüste. Die Hände sind im Schoß gefaltet, in den Augenhöhlen liegen tiefe Schatten. Was weiß ein Wesen aus einer anderen Welt von einem arbeitsamen Leben oder von der Mühe, im Mittleren Westen während der Zeit der Depression drei Söhne und zwei Töchter großzuziehen .
Siebenundzwanzig Musikstücke pfeife ich zuverlässig mit. Der erste Satz des Zweiten Brandenburgischen Konzerts: Hört, so klingt die Musik derjenigen, die als Erste auf der Erde genug zu fressen hatten. Hört ihr’s? Ich bittebitte euch. Die Erde, meine Erde. Aber niemand kommt vorbei. Nicht einmal ein Rest von irgendwem, so sehr ich auf der Mauer auf der Lauer lieg ich schon so lange. Kein ungekannter Duft. Nicht das streng ausdünstende Aroma eines extraterrestrischen Gelages zog je an mir vorbei. Niemals nur irgendeine feine Fahne fremder Abkunft. Abstammung Ursprung Fabrikationsname. Ursprung. Herkunft. Fremder Herkunft. Ich befürcht, es liegt nicht an meinem fehlenden Geruchssinn. Auch zu tasten wenig hier, fast alles taub um mich zudem, zu seh’n nicht viel und geschmeckt zuletzt peripher Stratosphär’: lange her. Hier ist auch kein Molekül übrig, das einen Duft tragen könnte. Mehr als eine olfaktorische Fata Morgana ist nicht zu erwarten, ein kurzes Flackern nur und dann schon wieder vorbeivorbei. Wer hätte gedacht, dass die Luft hier oben so dünn ist. Mir macht das nichts. Gar nichts macht mir das. Es werden andere kommen mit der Zeit. Kommt Rat. Kommt Frieden für die Welt und den Menschen ein Wohlgefallen .
Bis es so weit ist, konzentriere ich mich auf mich. Stichwort Selbstsorge. Ich umhege mein Inneres. Denn manchmal, wirklich selten, bemerkte ich zuletzt, ist mir die große Freiheit einen Hauch zu viel. Nicht viel, nicht oft, aber manchmal eben schon. Wie geht man damit um. Wenn man alle Freiheiten hat. Darüber macht sich nämlich niemand Gedanken! Keine Zwänge, keine Erwartungen. Ich darf mitteilen: Das hält keiner aus! Auf Dauer. Ich habe das versucht. Aber die Freiheit lässt sich bisweilen schlecht auskosten, so allein. Tageintagaus die große Selbstbestimmung und kein Wesen, das sie mir einschränken würde. Wann kommen sie nur endlich. Die paar Wasserstoffatome verstehen gar nichts. Es kann die Frömmste nicht in Frieden schweben, wenn’s keinen Nachbarn gibt, dem es missfällt. Eine Hecke, über die sich streiten ließe, ein Lattenzaun, eine Mauer, irgendeine Abgrenzung zum Rest, die mich erhält. Die irdischen Mauern sieht man noch vom Mond! Das ist doch auch eine Errungenschaft! Errungenschaft. Anschaffung Wertzuwachs. Eroberung. Ist das doch. Oder nicht. Wie hilfreich wären mir mancher Tage ein paar Gitterstäbe, an denen ich rütteln oder mein Gehäuse reiben, einen Graben, den zu überspringen ich mir ausmalen könnte! Von meinem begrenzungsfreien Panoptikum aus hat sich mir die Frage, wer die Wächter bewacht, jedenfalls schon vor Langem beantwortet. Von allen Seiten blicke ich auf mich selbst, achach. Ich würde mir etwas anderes wünschen. Was also wäre das. Wenn zum Beispiel eine Fee vorbeigeflogen käme und ich einen Wunsch frei hätte. Was würde ich mir wünschen, wenn ich einen Wunsch frei hätte? Aber warum denn einen? Verteilen Feen nicht üblicherweise drei Wünsche? Ich will nicht besserwisserisch erschei–
Aber okay, sagen wir, eine Fee käme vorbeigeflogen und hätte nur einen Wunsch zu vergeben. Die Zeiten sind andere. Nun gut. Ich schließe die Augen: Dunkelheit. Ich öffne die Augen: Dunkelheit. Ich schließe die Augen. Ich habe keine Augen. Ich sehe. Einen Zaun. Würde ich mir wünschen. Wegen: s. o. Aber da ist die Fee schon wieder weg .
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