1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Es gibt da dieses Fest, sagt Lenka über ihre Schulter hinweg, als sie in den Bus steigen. Ein Stadtfest. Am Samstag. Ein Kollege habe ihr zwischen zwei Vorträgen davon erzählt. Vom Kongressgebäude aus sei es gut und gerne in zwei Stunden zu erreichen, aber für solche Sperenzchen , habe der Kollege gesagt, bleibe wahrscheinlich keine Zeit, oder?
Vielleicht sollte das eine Einladung sein, sagt Therese.
Lenka zieht wieder den einen Mundwinkel hoch: Dann muss ich sie wohl überhört haben. Jedenfalls: Vielleicht fahre ich da hin.
Therese wartet, ob noch etwas kommt.
Hättest du Interesse? fragt Lenka beiläufig und etwas distanziert.
Warum denn nicht, sagt Therese. Ist ja nicht so, dass sie hier besondere Verpflichtungen hätte.
Lenka dagegen hat Verpflichtungen, sich diesen aber vorerst entzogen. Oder wurde freigestellt. Wobei das Furcht einflößender klingt, als es soll, man ist hier schließlich nicht in der freien Wirtschaft, sondern auf einer internationalen Fachtagung für Astrophysik und Astrobiologie, will sagen: Es wird hier niemand rausgeschmissen, nur weil er vor den Augen der versammelten akademischen Würdenträger des Fachs seine Emotionen nicht unter Kontrolle hat.
Lenkas Vortrag zur Modifikation des Faktors L* der Lebensdauer technologischer Zivilisationen bei Inklusion der Hypothese einer nichtorganischen Gestalt extraterrestrischer Intelligenzen war schon Monate vorher abgemacht und gerade erfolgreich präsentiert worden, die Anfrage zu der unglückseligen Podiumsdiskussion fiel ihr dagegen erst Stunden vor Veranstaltungsbeginn in den Schoß. Ein Kollege hatte kurzfristig abgesagt, irgendeine unschöne Magen-Darm-Geschichte, aber seien interstellare Botschaften im weitesten Sinn nicht auch Teil ihres Forschungsgebiets? Mit etwas mehr Bedenkzeit hätte sich Lenka gegen diese Veranstaltung entschieden und einen Weg gefunden, ebenso bestimmt wie höflich abzusagen, so aber sah sie sich im Auditorium II des Kongresszentrums von St. Petersburg wieder, zwischen den quietschenden Polstern einer ausladenden Bühnenbestuhlung in den Landesfarben. Lenka im roten, neben ihr die Moderatorin im weißen Sessel, der ukrainische Professor in seinem karierten Dreiteiler auf strahlendblauem Kunstleder.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten eine Nachricht an E. T. verfassen, sagte die Moderatorin, laut Faltblatt Postdoc der Exobiologie an einer großen amerikanischen Universität. Sie machte eine Pause und lächelte in die ersten Reihen des Auditoriums, die das erbarmungslos auf das Podium strahlende Scheinwerferlicht, anders als den hinteren Teil des Raums, nicht in völliger Dunkelheit verschwinden ließ. Was würden Sie E. T. von sich und von der Erde erzählen, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten? Das sei, herzlich willkommen, die Frage dieses Podiums, um dann durch weitere Fragen unser topic für die verehrten Zuhörerinnen und Zuhörer noch etwas weiter einzugrenzen, auch wenn sie dabei vor allem den Ankündigungstext wiedergab, der im Faltblatt des Kongresses in drei Zeilen angegeben war: Was wollen wir den Aliens erzählen, wie kann sich die Menschheit auf eine Geschichte einigen, können wir verstanden werden und vor allem: Wollen wir überhaupt etwas erzählen? Damit sei man im Grunde schon in medias res des heutigen Nachmittags angekommen. Die Moderatorin wandte sich Lenka und dem ukrainischen Professor zu, der während der Ausführungen vergeblich eine würdevolle Position auf der großzügigen Sitzfläche des Sessels gesucht hatte. Ein kleiner Showkampf, sagte die Moderatorin lächelnd. Darf ich vorstellen, in der blauen Ecke Prof. Wolkow, der der Idee einer Kontaktaufnahme mit einer extraterrestrischen Intelligenz von jeher kritisch gegenübersteht, und zu meiner Rechten, in der roten Ecke, die Kollegin Jelena Belenkaja, die freundlicherweise eingesprungen ist, um einen Einblick in die Frage zu geben, wie eine interstellare Botschaft beschaffen sein müsste, um das Interesse der Fremden zu wecken und gleichzeitig ein möglichst umfassendes Bild unserer Erde zu vermitteln. Sie deutete auf das weiße Polster unter ihrem Hintern: I am Switzerland.
Am Anfang lief es gut und dann ging irgendetwas schief. Eben noch war es ein in jeder Hinsicht korrektes Zusammentreffen, man ließ einander ausreden, die jeweilige Position darlegen, es ist Wissenschaft und keine Politik, aber dann kam der Punkt, an dem die Sache aus dem Ruder lief. Die Moderatorin hatte eine Nachfrage zu den eher formalen Aspekten einer interstellaren Botschaft formuliert – welche Gremien müssen eingebunden werden, welche technischen Voraussetzungen braucht es, wer hat Zugang zu den entsprechenden Gerätschaften, wie lässt sich Schindluder ausschließen – und Lenka war in ihrer Antwort zunächst auf einige grundsätzliche Überlegungen eingegangen, hatte von Biosignaturen und industriellen Schadstoffen in den Atmosphären fremder Planeten gesprochen, die sich als mögliche Zeichen extraterrestrischen Lebens nachweisen lassen könnten, um dann auszuführen, welche Fragen bei einer Botschaft an außerirdische Zivilisationen beachtet werden müssten. Sie hatte Beispiele für bisherige Versuche an Zeitkapseln und Radiosignalen nachgezeichnet, in einem Rahmen, der auch die weniger mit der Materie betrauten Kollegen an den Fallstricken teilhaben ließ, die ein solches Projekt mit sich bringt, und gerade gesagt, die Frage sei nicht nur, wie wir uns überhaupt verständlich machten, sondern welche Rolle wir selbst in der Erzählung der Aliens spielen wollten, als der ukrainische Professor die Nerven verlor.
Sie Sie Sie –! Er fuchtelte über die Armlehne hinweg in ihre Richtung. Haben Sie auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, dass eine solche Botschaft zu unserem Nachteil sein wird? Dass wir uns gut überlegen sollten, ob wir sie hierherlocken, mit welcher Botschaft auch immer? Bevor Lenka antworten konnte, fuhr der Professor schon fort, zart schäumende Spucke in den Mundwinkeln. Wenn uns die Geschichte der Menschheit eines gelehrt hat, rief er aufgebracht, dann doch sicherlich, dass es noch keiner Zivilisation gut bekommen ist, auf eigenem Territorium Bekanntschaft mit einer anderen Zivilisation zu machen! Das endet immer böse! Und wissen Sie, warum?
Lenka war wiederum gerade im Begriff, eine Antwort zu formulieren, doch just in dem Moment schien der Moderatorin ihre Aufgabe vollends bewusst zu werden, das eigene Wissen zugunsten der Zuhörer zurückstellen, Anwältin des Publikums sein usw. Lassen Sie uns noch einmal einen Schritt zurückma–
Aber da platzte dem Professor endgültig der Kragen. Ein kariertes Paket, in einem ausladenden blauen Sessel explodierend.
ICH WILL IHNEN SAGEN, WARUM ES UNS NICHT BEKOMMEN WIRD! Spuckespritzer sprühten im Scheinwerferlicht des Podiums. Die Moderatorin blinzelte irritiert. WEIL DIEJENIGEN, DIE ZU EINER SOLCHEN REISE IMSTANDE SIND, ODER SAGEN WIR: ZU EINER KONTAKTAUFNAHME, HÖCHSTWAHRSCHEINLICH NICHT DARAUF AUS SIND, IN DER FREMDE NUR EIN PAAR FREUNDSCHAFTEN ZU SCHLIESSEN! DENKEN SIE DOCH MAL NACH! ENTDECKEN WOLLEN DIE UND UNTERWERFEN, DAS ERZÄHLT UNS DIE GESCHICHTE! Und dann – er senkte seine Stimme –, dann kommen SIE – er bohrte seinen krummen Zeigefinger durch die Luft in Lenkas Richtung –, dann kommen SIE und Ihre Kollegen und wollen austüfteln, was wir am besten von uns preisgeben?! Ein paar Bilder? Das Zweite Brandenburgische Konzert? Neulich hörte ich gar: das gesamte Internet? NICHTS, sage ich, NICHTS! dürfen wir preisgeben. Das muss ein Ende haben, ein für alle Mal! Unsere Geschichten gehen niemanden etwas an! Wir suchen eine fremde Zivilisation und verlieren dabei ohne Zweifel unsere eigene! Ich sag Ihnen was: Es gibt Fehler, die können sich die Menschen nur ein einziges Mal erlauben. Und das hier – er fuchtelte keuchend in Lenkas Richtung –, das hier ist so ein Fehler!
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