Rosa Mayreder - Zwischen Himmel und Erde
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Rosa Mayreder
Zwischen Himmel und Erde
Du Richter alles Tuns, der zu belohnen
Und zu bestrafen Schuld wägt und Verdienst,
Sieh an das unzerreißbare Gespinst,
Das Menschenstirn umflicht mit Dornenkronen,
Aus Wahn gewoben, aus den Illusionen,
Wie sie der tückisch holde Gott ersinnt,
Der listenreiche, dem kein Herz entrinnt,
Solang des Lebens Kräfte darin wohnen.
Er weiß den Sinn mit Masken zu verwirren;
Er kommt als Freund, er trägt ein Königskleid,
Bringt reiche Gaben, Weihrauch, Gold und Myrrhen –
Ein Feuerblendwerk, das mit hohen Flammen
Im Herzen lodernd brennt, bis es als Leid
Zu grauer Asche sinkt in sich zusammen.
ERSTES BEGEGNEN
I
Erbrause Lebensatem, Windesreigen,
Der du auf deinen Flügeln Keime trägst,
Den winterlichen Früchtebaum erregst,
Daß innen seine Säfte quellend steigen!
Noch ruht das volle Herz, wie in den Zweigen
Die Äolsharfe hängt, von Tönen schwer,
Die in die Saiten sind gebannt, bis er,
Der Brausende, sie weckt aus ihrem Schweigen.
Bist du ein Frühlingshauch, der lieblich gleitend
Den Staub der Blüten wirbelt himmelwärts –?
Wirst du in Ungewittern donnerschreitend
Die Seele brechen, der du hier begegnest?
Erwecker, Schicksal, Liebelebensschmerz,
Was du auch bringen magst, ich weiß, du segnest.
II
Es bleibt mein Blick an seinem Antlitz haften,
Nach alledem sich spähend auszustrecken,
Was schweigend seine Lippen nicht entdecken
Und nicht, wenn sie dem Schweigen sich entrafften.
In seinen Mienen, die so rätselhaften
Geheimen Widerhall in mir erwecken,
Scheint bald ein Schalk sich lächelnd zu verstecken,
Und bald die Schwermut tiefer Leidenschaften.
Wer bist du, wunderbarer Unbekannter?
Dich grüßt in mir ein dämmerndes Erinnern,
Als wärst du langvermißt mir ein Verwandter,
Als hätte ich in fernen Kinderjahren
Dich schon erblickt, um unbewußt im Innern
Ein sehnend Deingedenken zu bewahren.
III
Von der geheimnisvoll verschlossnen Pforte
Kenn ich ein Märchen aus dem Morgenland,
Die, unsichtbar an starrer Felsenwand,
Sich öffnen soll dem einen Zauberworte.
Nur wer zur rechten Zeit, am rechten Orte
Ausspricht das Wort, dringt in das Innre ein;
Da schwankt das unbewegliche Gestein,
Ein Weg wird frei zu tiefverborgnem Horte.
Du fremde, unnahbar verschlossne Seele,
Das Wort, das mich in deine Tiefe führt,
Wie sprech ich's aus, daß ich es nicht verfehle?
Ich rufe – hörst du mich? – und lausche bebend.
Ob sich nicht leis der stumme Felsen rührt,
Mit Klingen mir das erste Zeichen gebend.
IV
Schon fragt' ich mich, ob dir Empfindung fehle;
Du warst so anteilslos und überlegen,
Nach außen kalt, ein Bild, nicht zu bewegen –
Nun scheint es, daß sich Leben in dich stehle.
Dein Auge wird beredt, es strahlt die Seele
Als sanfte Flamme mir daraus entgegen,
Und innigsten Gefühles Töne regen
Sich neu und ungekannt in deiner Kehle.
Was mochte dieses Wunder wohl vollbringen?
Kein Wunder war's! Du streiftest nur die Hülle,
Die Schutz gewährt, von deines Herzens Fülle,
Wie aus den Banden, die sie lang umfingen,
Die dunkle Chrysalide in das Helle
Empor sich schwingt als schimmernde Libelle.
V
Der Hund will nicht von deiner Seite weichen,
Umsonst befiehlst du ihm, daß er sich trolle;
Denn deine Stimme ist's, die seelenvolle,
Die ihn verlockt, dir wieder nachzuschleichen.
Dem armen Schelme muß ich mich vergleichen,
Verlockt auch ich, geschehe, was da wolle,
Ob mir auch die Vernunft beständig grolle,
Den ganzen Tag um dich herumzustreichen.
Vernunft, sie ist bewundernswert vernünftig;
Ich beuge willig mich dem Spruch, dem harten,
Den sie vollzieht – doch beug' ich mich erst künftig.
Zu süß erscheint mir's, hinter ihrem Rücken
Freischweifend in der Muße Rosengarten
Den unbewachten Augenblick zu pflücken.
VI
Erzähl! Ich lausche den beredten Tönen;
Du führst mich in das Land der Hesperiden,
Wo die Natur in üppig reichem Frieden
Sich schmückt gleich einer brautgewordnen Schönen;
Du führst mich in das Land von Rurik's Söhnen
Im rauhen Norden, das die Götter mieden,
Als sie der Erde ihren Reiz beschieden –
Und nennst es schwierig, dort sich zu gewöhnen.
Ich folge auf den weiten Wanderzügen
So gern wie nach Ausoniens Blütenfluren
In unwirtliche Steppen deinen Spuren.
Sie sind's, die meiner Forderung genügen;
Sie lehren mich, wohin ich mit dir dringe,
Daß deine Gegenwart Beglückung bringe.
VII
Den Weg, besäumt vom Dorngestrüpp der Schlehen,
Geh ich mit ihm entlang der Friedhofsmauer;
Der herbstlich trübe Himmel färbt sich grauer,
Und kalt fühl ich den Wind aus Norden wehen.
Kein menschlich Wesen läßt sich weit erspähen,
Es webt ringsum des Todes ernster Schauer;
Mit heiserm Schrei in diesem Reich der Trauer
Umfitticht uns die schwarze Schar der Krähen.
Doch an Vergänglichkeit die düstre Mahnung
Kann meiner Seele Frohsinn nicht erdrücken.
O sagt, was ist das freudige Entzücken,
Das ihr, sich frei von banger Todesahnung
Zum Hochgefühl des Lebens zu erheben,
Die goldnen Flügel mag der Wonne geben?
VIII
Schon zählt' ich mich zu jenen Leidgeprüften,
Die sich in Schweigen senken, tief in sich;
Entlaubte Seelen sind sie, winterlich
Erstarrtes Leben in beschneiten Grüften.
Ungläubig fragen sie, wenn's in den Lüften
Mit mächtiger Bewegung brausend weht:
Gibt es noch etwas, das da aufersteht,
Noch Sonne, Vögel, Blumen voll von Düften?
Wie aber könnte ich mich dir verschließen,
Du linder Tauwind, heller Frühlingstag!
Es wollen alle Quellen wieder fließen,
Wo deine Sonne spielt mit warmen Blicken,
Erwachen alles, was erfroren lag,
Um sich für dich mit neuem Grün zu schmücken.
IX
Was hält noch zögernd über Wald und Auen
Des Abends blassen Schimmer festgebannt,
Und läßt den Himmel über Strom und Land
In unerloschnem Glanze niederblauen?
Es will die Nacht mit ihrem Dämmergrauen
Nicht überschatten noch dein Angesicht;
Vom Tage borgt sie sich ein letztes Licht,
Um nimmersatt ins Auge dir zu schauen.
Dich liebt die Nacht. Sie raubt von deinem Munde
In liebesdurstgem Kuß den lauen Hauch
Und trägt ihn selig durch die weite Runde.
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