Corinna Griesbach (Hrsg.)
Die Bilder Tatjana Freys
Außer der Reihe 47
Corinna Griesbach (Hrsg.)
HIMMEL UND ERDE
Die Bilder Tatjana Freys
Außer der Reihe 47
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: November 2020
p. machinery Michael Haitel
Titelbild & Illustrationen: Tatjana Frey
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat: Corinna Griesbach
Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p. machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www. p machinery.de
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 199 0
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 891 3
Vorwort | Corinna Griesbach
Ich habe Tatjana Frey durch unsere Zusammenarbeit an den Bänden 13 (»Alte Freunde«) und 15 (»Schuld«) der Literaturzeitschrift HALLER kennengelernt.
Bei dem vorliegenden Bildband »Himmel und Erde« bestand meine Aufgabe – anders als bei HALLER – nicht in der Auswahl von Texten und Bildern. Ich habe Künstlerin und Autoren für dieses Buch nur zusammengeführt.
Tatjana Frey hat fünfundzwanzig Bilder aus ihrem Werk ausgewählt und mir lagen diese Bilder mitsamt Dateinamen vor. Wie das beim Abspeichern von Dateien so ist: Oft kennt nur der Urheber die Bedeutung der Dateinamen, die dem Empfänger kryptisch erscheinen.
So haben einige der Autoren, die ich um Texte für »Himmel und Erde« gebeten habe, auch einige Zeit mit dem Dechiffrieren dieser Dateinamen verbracht und sind mit ihren Geschichten oft nicht nur auf das Bild selbst, sondern dessen Titel eingegangen. Die Reihenfolge, in der die Bilder und die von den Bildern inspirierten Texte präsentiert werden, folgt einer vielleicht willkürlich wirkenden Aufzählung.
Tatjana Freys Bilder zeigen zerbrochene Landschaften und Figuren, in denen sich, in neuen Kontext (über-) gesetzt, Zeit und Ort verändern. Die surrealen Mischwesen aus Mensch und Tier (»Mr.«) erinnern an Max Ernst, die Frauenbilder (»Rückkehr [zurück 2]«) verstören und bannen den Blick. Andere Bilder wie »Hirte« zeigen collagierte Gestalten in unerwarteter Umgebung und der Titel des Bildes lenkt die Aufmerksamkeit in einen bestimmten Bedeutungsrahmen.
Hier lag die Herausforderung für die Autoren: Inspiriert von den Bildern (und Bildtiteln) entstanden fünfundzwanzig Prosatexte, die in Bezug auf Tatjana Freys Bilder zu verstehen sind.
Es erwartet Sie nun eine Sammlung von Bildern und Texten, von denen Sie sich einfangen und ins Reich des Surrealen entführen lassen können.
Corinna Griesbach
Monschau, Juli 2020
»Hinter die Fassade schauen«. Ein Interview mit Tatjana Frey | Corinna Griesbach
Liebe Tatjana! Hast du Zeit und Lust, mit unserem Interview zu beginnen?
Fünfundzwanzig deiner Collagen aus dem vorliegenden Bildband waren Inspiration für Autorinnen und Autoren. Zu ihrer Person und ihrem Werdegang findet sich am Ende des Buches eine kurze Vita. Magst du uns auch etwas über dich und deine Kunst erzählen?
Ich habe mal nachgedacht … Ich war schon immer ein sehr neugieriger Mensch, der versucht, Abläufe zu verstehen und hinter die Fassade zu schauen.
Das, was wir sehen, ist der erste Eindruck von Dingen, Menschen und auch Situationen. Das ist die sichtbare Ebene, aber darunter liegen oft viele weitere, die sich nach und nach erschließen. Die Bilder, die wir täglich sehen in den Zeitschriften, Magazinen, in der Werbung, bilden eine Realität ab, die es so nicht gibt. Es sind Inszenierungen. Meist zum Zweck des Verkaufs.
Ich nehme diese erste Ebene der Bilder und zerlege das Bild, füge es neu zusammen und erzähle eine neue Geschichte. Vielleicht suche ich das Märchen, die alten Mythen hinter den profanen Bildern des Alltags.
Wie bist du bei der Zusammenstellung deiner Bilder für diesen Bildband vorgegangen? Gibt es für dich etwas wie ein Thema, das die Bilder verbindet?
Also auf den Bildern sind Protagonisten, die etwas erlebt haben oder gerade erleben. Momentaufnahmen einer Geschichte, die wir nicht kennen. (Und jetzt schon, nachdem sie von den Autoren betrachtet und niedergeschrieben wurden …) Meine Figuren befinden sich in einer Situation, mit der sie umgehen müssen. Und es sind Porträts dabei, bei denen sie ganz bei sich sind in ihrer Andersartigkeit.
Wie frei ist dein Umgang mit vorgefundenen Bildern? Ist es eher so, dass du auf ein Bild stößt und es dich dazu inspiriert, etwas Neues daraus zu machen, oder ist die Idee zuerst da?
Ich zerlege die Bilder. Meist gehe ich so vor, dass mir beim Blättern durch Zeitschriften bestimmte Teile der Bilder ins Auge springen und die schneide ich aus. Wie bei einem Puzzle lege ich verschiedene Ausschnitte zueinander. Dabei entsteht intuitiv etwas Neues, das mit dem Ursprungsbild nichts mehr zu tun hat. Ich filtere höchstens den Ausdruck einer Figur heraus. Oder ich habe eine Grundidee und schaue nach passenden Motiven, die dem Ausdruck verleihen könnten.
Bist du eigentlich Autodidaktin? Und gleich hinterher gefragt: Gibt es Vorbilder für deine Arbeiten?
Ja, das kann man sagen.
Direkte Vorbilder habe ich nicht. Ein Betrachter meinte bei einem Bild, es würde ihn an Hannah Höch erinnern, aber ich finde, sie hat etwas völlig anderes gemacht. Und ich würde mich jetzt nicht mit ihr messen wollen. Natürlich verbindet man Collage mit Dada und ja, Dada hat mich sehr beeinflusst und begeistert. Ich würde eher Unika Zürn als Inspiration nennen. Ihre Gedichte entstanden durch die Zerlegung der Wörter in ihre Einzelteile, die sie dann zu etwas Neuem, Absurdem zusammenfügte.
Ganz lieben Dank, Tatjana, für deine ausführlichen Antworten. Jetzt freue ich mich mit dir auf das Buch!
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Kleiner Sohn folgt den Meistern der Zeit | Manfred Lafrentz
1
Schamlose Hexe weiß, dass sie auserwählt ist.
In den Träumen der Wanderer darf sie eine betörend schöne Frau sein. Dafür liebt sie die Wanderer und bewahrt sorgfältig ihr Geheimnis. Niemand soll von ihnen erfahren, denn niemand sonst gibt Schamlose Hexe das Gefühl, begehrenswert zu sein, nicht einmal Kleiner Sohn, obwohl er sie liebt. Aber nur, weil er denkt, dass sie genauso wenig zu den anderen gehört wie er selbst. Kleiner Sohn ist ein schmächtiger kleiner Kerl. Die Leute im Dorf sagen, sein älterer Bruder habe alles abbekommen, was an einem Mann gut ist. Für Kleiner Sohn ist nur ein kümmerlicher Rest geblieben. Und sein Gesicht spricht auf eine seltsame Weise, die alle abstößt.
Die Gestalt der Wanderer macht Schamlose Hexe keine Angst. Sie ähneln riesigen Spinnen, aber Lichter flimmern in ihnen auf und ab, ruhelos, endlos. Sie weben Netze zwischen den Bäumen des Waldes, in dem sie sich verstecken, so wie zwischen den Sternen, von denen sie gekommen sind. Es hat Schamlose Hexe nie etwas ausgemacht, sich zu ihnen zu legen.
Die Lust, die die Wanderer ihr gewähren, ist gekoppelt an das Flüstern der Sterne. Wenn die Wanderer Schamlose Hexe lieben, ist es, als ob die Sterne selbst zu ihr sprächen.
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