
Abb. 2.10: Typische Ursachenzuschreibung nach Misserfolg im Rahmen des Klassifikationsschemas nach Weiner (1992)
Eher erfolgsmotivierte Personen unterscheiden sich von den eher misserfolgsängstlichen Personen in systematischer Weise in ihren Kausalattributionen nach Erfolg und Misserfolg (Meyer, 1973), so dass man in der Literatur von Attributionsstilen spricht.
Danach haben Erfolgsmotivierte die Tendenz, eigene Erfolge internalen Faktoren, insbesondere der eigenen Fähigkeit zuzuschreiben. Bei Misserfolg ist dagegen die Stabilitätsdimension entscheidend. Erfolgszuversichtliche schreiben Misserfolge zeitvariablen Faktoren (z. B. mangelnder Anstrengung, Pech) zu. Diese Voreingenommenheit der Ursachenerklärung macht Leistungssituationen zu Gelegenheiten, bei denen man im Erfolgsfall hoch positive Selbstbewertungsaffekte erlebt. Im Misserfolgsfall kann zwar auch Ärger auftreten. Wegen der Zeitvariabilität der Attribution bleibt aber die Aussicht auf Erfolg bei einem erneuten Versuch. Dieses Attributionsmuster wirkt also auf Erwartung und Anreiz motivational ausgesprochen günstig.
Die typische Ursachenerklärung von Misserfolgsängstlichen fällt dagegen deutlich ungünstiger aus. Im Vergleich zu Erfolgszuversichtlichen erklären sie eigene Misserfolge häufiger mit einem Mangel an Fähigkeit. Eigene Erfolge werden dagegen häufiger dem Glück oder der Aufgabenleichtigkeit zugeschrieben. Damit haben Leistungssituationen im Erfolgsfall geringen Belohnungswert. Im Misserfolgsfall führt dagegen dieses Attributionsmuster zu starker Betroffenheit und nimmt zugleich die Hoffnung auf künftig besseres Abschneiden. (Rheinberg & Vollmeyer, 2019, S. 93)
Man unterscheidet zwischen selbstwertunterstützenden und motivationsfördernden Attributionen. Als selbstwertunterstützend gelten Attributionen, die Leistungserfolge eher internal, Misserfolge external attribuieren. Als motivationsförderlich gilt es darüber hinaus, einen erlebten Misserfolg internal-variabel, d. h. durch eine zu geringe eigene Anstrengung zu erklären.
Lernrelevante Selbstkonzepte
Vergleicht man die Unterschiede in den Attributionsstilen von Erfolgsmotivierten und Misserfolgsängstlichen, so wird deutlich, dass die Attributionen erfolgszuversichtlicher Personen günstiger für die Selbstbewertung sind: Die internale Attribuierung von Erfolgserlebnissen erhöht mit jedem Erfolgserlebnis zugleich das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Glücklicherweise tendieren Menschen häufig zu einer selbstwertdienlichen Verzerrung bei der Ursachenzuschreibung nach Erfolg. So analysierten Möller und Köller (1999) die spontanen Attributionen nach Examensprüfungen und nach der Rückgabe von Klassenarbeiten. Vor allem erwartungswidrige Noten führten zu vermehrter Ursachensuche. Selbst Schülerinnen und Schüler mit einem eher geringen Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit begründeten eine erwartungswidrig gute Leistung häufig spontan mit der eigenen Fähigkeit. Solche Ursachenzuschreibungen sind geeignet, das Selbstkonzept der eigenen Fähigkeiten zu erhöhen.
Es ist wenig verwunderlich, dass bei Erfolgsmotivierten im Vergleich zu Misserfolgsängstlichen in der Regel ein günstigeres Fähigkeitsselbstkonzept zu finden ist. Wir haben oben dargelegt, dass das Anspruchsniveau und die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit in entscheidender Weise für die Motivierung in Lern- und Leistungssituationen verantwortlich sind. Diese individuelle Erwartungskomponente der Leistungsmotivation hängt unmittelbar davon ab, inwieweit sich eine Person im aktuellen Anforderungskontext als begabt oder fähig einschätzt. Wer sich für sehr kompetent hält, setzt sich auch hohe Ziele.
Die asymmetrischen Attributionsstile Erfolgsmotivierter und Misserfolgsängstlicher lassen vermuten, dass sich letztere als weniger kompetent erleben. Tatsächlich finden sich in der Mehrzahl einschlägiger Studien auch entsprechende Zusammenhänge zwischen dem Leistungsmotiv und der Einschätzung der eigenen Fähigkeit. Interessanterweise deuten zudem die Befunde der von Meyer (1984) zusammengetragenen Untersuchungen darauf hin, dass Erfolgsmotivierte im Vergleich zu Misserfolgsängstlichen auch dann ein besseres und realistischeres Fähigkeitsselbstkonzept zeigen, wenn sich beide Gruppen nicht in ihrem tatsächlichen Fähigkeitsniveau unterscheiden.
Beispiel: Fähigkeitsselbstkonzept als Abbild der eigenen Fähigkeit?
Individuelle Einschätzungen der eigenen Begabungen und Fähigkeiten entsprechen nicht immer den tatsächlichen Begabungen und Fähigkeiten. Häufig kommt es zu Über- oder Unterschätzungen. Dennis glaubt z. B. ein guter Fußballspieler zu sein, obwohl ein (sozialer) Vergleich mit den Klassenkameraden im Sportunterricht diese Selbsteinschätzung leicht widerlegen könnte. Dennoch hat die (positive) Selbsteinschätzung Konsequenzen, indem Dennis einem Fußballverein beitritt und mit der Zeit seine Spielstärke tatsächlich verbessert. Andere glauben, nicht singen zu können, obwohl sie es nie richtig ausprobiert haben. Aber das negative Selbstkonzept bewirkt, dass sie sich nicht zutrauen, im Schulchor mitzusingen, obwohl sie es wegen der netten Leute gerne täten.
Das Fähigkeitsselbstkonzept ist in der Regel zeitlich recht stabil. Dennoch verändert es sich bisweilen erstaunlich schnell und deutlich, wenn sich der schulische Kontext verändert und das mit ihm verbundene Leistungsniveau der Lerngruppe. In einer Längsschnittuntersuchung zum Wechsel von der Grundschule zur Sekundarschule mit über 600 Schülerinnen und Schülern fanden Jerusalem und Schwarzer (1992), dass sich das schulbezogene Fähigkeitsselbstkonzept der leistungsschwächeren Viertklässler beim Wechsel auf die Hauptschule innerhalb weniger Monate deutlich verbesserte. Mit Marsh (1987, 2005) lässt sich dieses Phänomen auf den »Big-Fish-Little-Pond«-Effekt (BFLPE) zurückführen: Zwei Lernende mit gleichem Leistungsniveau besuchen Schulen mit unterschiedlichem Leistungsanspruch. Der Lernende in der Schule mit dem niedrigeren Leistungsniveau zieht einen für den Selbstwert günstigeren sozialen Vergleich, da er zu den Leistungsstarken in seiner Klasse gehört (großer Fisch im kleinen Teich). Sein Fähigkeitsselbstkonzept entwickelt sich deshalb positiv. Der andere, grundsätzlich gleich Leistungsfähige, der die leistungsstärkere Schule besucht, gehört eher zu den Leistungsschwächeren seiner Klasse (kleiner Fisch im großen Teich); entsprechend wird sich sein Fähigkeitsselbstkonzept aufgrund der sozialen Vergleiche negativ entwickeln.
Dem auf sozialen Vergleichen basierenden negativen Bezugsgruppeneffekt kann bisweilen die positive Tendenz entgegenwirken, das eigene Selbstkonzept deshalb höher einzustufen, weil man sich des anspruchsvollen Kontextes bewusst ist, innerhalb dessen man sich bewegt (»Basking-In-Reflected-Glory«-Effekt). Dieser Effekt könnte beispielsweise in Eliteschulen oder -universitäten auftreten. In vielen Fällen wird es vermutlich zu einer Konfundierung von BFLP-Effekten mit Effekten der »ruhmreichen Umgebung« kommen. In seiner Bedeutsamkeit für die schulische Leistungsentwicklung scheint allerdings der BFLP-Effekt der stärkere zu sein (Marsh, Kong & Hau, 2000; Trautwein & Lüdtke, 2005).
Überschrieben haben wir dieses Teilkapitel mit »Motivation und Selbstkonzept«, da dem Selbstkonzept eigener Fähigkeiten für ein motiviertes Lernverhalten eine entscheidende Rolle zukommt. Sowohl in der Selbstbestimmungstheorie als auch in der Theorie der Leistungsmotivation spielt der Grundgedanke eine zentrale Rolle, dass die Initiierung von Lernhandlungen etwas mit den Vorstellungen, Einschätzungen und Bewertungen zu tun hat, die die eigene Person betreffen. Seit Mitte der 1970er Jahre hat sich daher eine eigene Forschungstradition zum Thema Selbstkonzept etabliert. Als Selbstkonzept bezeichnet man die Wahrnehmung und Einschätzung eigener Fähigkeiten und Eigenschaften. Von Beginn an wurde angenommen, dass das Selbstkonzept eine multidimensionale und hierarchische Struktur aufweist. Das Selbstbild einer Person differenziert sich demnach zunächst einmal in verschiedene Inhaltsbereiche (Shavelson, Hubner & Stanton, 1976), vor allem in einen akademischen und einen nicht-akademischen Bereich. Wo der akademische Bereich angesprochen ist, geht es um die Selbstwahrnehmung eigener schulischer Fähigkeiten. Das nicht-akademische Selbstkonzept umfasst hingegen körperbezogene und soziale Aspekte der Selbstwahrnehmung, wie z. B. ein Selbstkonzept der eigenen Sportlichkeit, ein Selbstkonzept des Aussehens, ein Selbstkonzept für die Beziehungen zu Peers und eines für die Beziehung zu den Eltern (Marsh, 1990). Eine hierarchische Struktur des Selbstkonzepts impliziert, dass sich Selbstkonzepte verschiedener Inhaltsbereiche zu übergeordneten Dimensionen zusammenfassen lassen. Die Multidimensionalität des Selbstkonzepts hat sich im Vergleich zum hierarchischen Struktur-Charakter als das prägendere Merkmal erwiesen. So differenziert sich das akademische Selbstkonzept schon im frühen Schulalter aus und umfasst die Einschätzung und Bewertung so unterschiedlicher Inhaltsbereiche wie des Rechnens sowie des Lesens und des Schreibens (Byrne, 1996). In späteren Schuljahren zeigen Schülerinnen und Schüler separate Selbstkonzepte für verschiedene Schulfächer. Marsh, Craven und Debus (1999) warfen darüber hinaus die Frage auf, ob nicht die Bereichsspezifität des akademischen Selbstkonzepts noch weiter ausdifferenziert werden müsste, indem jeweils zwischen einer Kompetenz- (wie gut meine ich etwas zu können) und einer Affektdimension der Selbsteinschätzung (wie gerne mag ich etwas) unterschieden wird. So haben Arens, Yeung, Craven und Hasselhorn (2011) eine Studie vorgelegt, deren Ergebnisse tatsächlich in diesem Sinne für eine »zweifache Multidimensionalität« des akademischen Selbstkonzeptes sprechen. Dass es funktional angemessen ist, zwischen einer Kompetenz- und einer Affektdimension der Selbsteinschätzung zu unterscheiden, zeigte sich nämlich daran, dass allein die Kompetenz- und nicht die Affektdimension des Selbstkonzepts mit dem Leistungsverhalten der Schüler kovariierte.
Читать дальше