Die größere Kontextunabhängigkeit des Informationserwerbs Feldunabhängiger legt die Vermutung nahe, dass sie Lernstrategien flexibler nutzen als Feldabhängige. Nach Cochran und Davis (1987) basiert die Überlegenheit feldunabhängiger Personen aber auch auf einer vergleichsweise größeren Arbeitsgedächtniskapazität, die sich z. B. in einer größeren Gedächtnisspanne für Sätze niederschlägt. Entsprechend konnten Morris, Farran und Dumontheil (2019) bei einer Stichprobe von Kindern im Grundschulalter zeigen, dass der Zusammenhang ziwschen Feldunabhängigkeit und schulischen Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften zu einem großen Teil (wenn auch nicht vollständig) durch Intelligenz und phonologisches Arbeitsgedächtnis erklärbar ist.
Ein im Vergleich zum Konzept der kognitiven Stile weniger genereller Erklärungsanspruch ist mit dem Begriff der Lernstile verbunden. Im Gegensatz zu dem bereits dargelegten Konzept der Lernstrategien umfassen Lernstile nämlich die Präferenzen für unterschiedliche Lernsituationen (z. B. Vortrag, Diskussion, Projekt), für Merkmale der Lernumgebung (z. B. Temperatur, Geräuschpegel) sowie für das Ausmaß an sozialer Unterstützung (z. B. Tutorien, Arbeitsgruppen). Schmeck (1988) unterscheidet z. B. drei Muster von Informationsverarbeitungsaktivitäten, die er als Lernstile oder -präferenzen bezeichnet: eine tiefe, eine elaborative und eine oberflächliche Verarbeitungspräferenz. Personen mit einer »tiefen« Verarbeitungspräferenz gehen beim Erwerb neuen Wissens kritisch prüfend vor und bevorzugen konzeptuell-organisierende Strategien, »elaborative« Informationsverarbeiter sind bemüht, beim Enkodieren eine Verknüpfung der neuen Lerninhalte mit persönlichen Erfahrungen herzustellen, und »oberflächlich« Lernende bedienen sich überwiegend einfacher Memorierstrategien.
In ähnlicher Weise haben andere Arbeitsgruppen in den 1980er Jahren vom Oberflächen- und Tiefenlernen gesprochen, von extrinsisch motiviert Lernenden mit einer »Reproducing Orientation« und von einer intrinsisch motivierten »Meaning Orientation« (Dinsmore, Peterson & Dumas, 2017). Lernende mit einer Präferenz zur tiefen Verarbeitung haben Interesse am Lernen um des Lerngegenstandes willen und machen sich daher wenig Gedanken darum, wie ihre Lernleistungen bewertet werden. Bevorzugt oberflächlich verarbeitende Personen lassen sich in ihrem Lernverhalten eher durch die in Aussicht stehenden Belohnungen, wie gute Noten, beeinflussen und es ist ihnen wichtiger als anderen, dass sie positiv bewertet werden.
Es wurden auch etliche Fragebögen entwickelt, mit deren Hilfe Lernstile und Lernpräferenzen diagnostiziert werden sollten. Sie sind jedoch aus pädagogisch-psychologischer Sicht nur von begrenztem Nutzen. Einerseits findet man nämlich enge Zusammenhänge zwischen dem »tiefen Verarbeiten« und der allgemeinen und verbalen Intelligenz sowie zwischen dem »elaborierten Verarbeiten« und dem Vorstellungsvermögen bzw. der räumlich-visuellen Intelligenz. Andererseits ist die Zuverlässigkeit (Reliabilität) und Gültigkeit (Validität) der Instrumente für eine individuelle Lernstildiagnostik in der Regel nicht ausreichend (Stahl, 2002). Unklar bleibt auch, was aus einer Lernstildiagnostik eigentlich folgen würde:
Menschen sind verschieden und es gehört zur guten pädagogischen Praxis, individuelle Unterschiede zu erkennen und sich darauf einzustellen. Ebenfalls gute Praxis ist es, neue Informationen auf unterschiedliche Weise und in verschiedenen Modalitäten darzubieten. Aber es ist nicht klug, Lernende einfach zu klassifizieren und die Lernmethoden einzig auf der Grundlage von Testverfahren mit fragwürdiger Güte festzulegen. […] Die Idee der Lernstile ist verlockend, aber eine kritische Prüfung dieses Ansatzes sollte Lehrende skeptisch machen. (Snider, 1990, S. 53)
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die nach wie vor große Popularität von Lerntypen-Klassifikationen in der einschlägigen empirischen Befundlage eigentlich keine Entsprechung findet und dass die häufig propagierten Lerntypen offenbar gar nicht existent sind (Pashler, McDaniel, Rohrer & Bjork, 2009; Rogowsky, Calhoun & Tallal, 2015). Es mag zwar sein, dass manche Personen davon überzeugt sind, dass sie eher von visuellen oder eher von akustischen Unterstützungen ihrer Lernprozesse profitieren. In der Regel wird dies jedoch die Folge von gewohnheitsbedingten Präferenzen von Modi der Informationsverarbeitung sein und nicht die Folge entsprechender typologisierbarer Dispositionen.
2.4 Motivation und Selbstkonzept
Es scheint zu den Binsenweisheiten des pädagogischen Alltags zu gehören, dass motivationale Voraussetzungen zu den wichtigsten Determinanten erfolgreichen Lernens zählen. Die Bereitschaft, sich Lernanforderungen zu stellen, sich diesen gezielt und ausdauernd zu widmen und sich dabei anzustrengen, gilt als Anzeichen für eine günstige motivationale Voraussetzung des Lernens. Überraschenderweise fallen jedoch die empirisch ermittelten Zusammenhänge zwischen derartigen motivationalen Parametern und der beobachtbaren Lernleistung eher bescheiden aus. In einer Metaanalyse über die Daten aus 355 empirischen Studien fanden Fraser, Walberg, Welch und Hattie (1987) einen durchschnittlichen Zusammenhang von r =.12 zwischen Motivation und Leistung; d. h. weniger als 2 % der Leistungsvarianz ließ sich durch motivationale Unterschiede zwischen den Lernenden erklären.
Hieraus den Schluss zu ziehen, dass der Lernmotivation beim Lernen eine weitaus geringere Rolle zukommt, als es dem pädagogischen Überzeugungswissen vieler Praktiker entspricht, wäre allerdings voreilig. Weinert (1990) hat dargelegt, dass der Einfluss motivationaler Faktoren aufgrund vielfältiger Probleme bei ihrer angemessenen methodischen Analyse notorisch unterschätzt wird. Eines dieser Probleme kommt dadurch zustande, dass motivationale Voraussetzungen mit den zuvor behandelten kognitiven Voraussetzungen des Lernens – je nach Schwierigkeitsgrad der Lernanforderung – einmal verzahnt, d. h. gekoppelt sind und einmal nicht. Bei schwierigen Lernaufgaben scheint eher ein Kopplungsmodell zu greifen, was nichts anderes heißt, als dass sowohl eine hohe Ausprägung kognitiver Kompetenzen als auch große Anstrengung für erfolgreiches Lernen notwendig ist. Bei leichteren Aufgaben hingegen wird ein Kompensationsmodell unterstellt (geringere kognitive Fähigkeiten können durch große Anstrengungen kompensiert werden und umgekehrt).
Zu den wichtigsten motivationalen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens gehört die Qualität des eigenen Lern- und Leistungsmotivsystems, das sich durch Erfolgsorientierung bzw. Misserfolgsängstlichkeit, den eng damit verknüpften Attributionsstil sowie durch das leistungsbezogene Selbstvertrauen bzw. durch die lern- und leistungsrelevanten Selbstkonzepte gut charakterisieren lässt. Bevor wir einige interindividuelle Unterschiede des Lern- und Leistungsmotivsystems skizzieren, ist es aber notwendig, auf die Rolle des Interesses bzw. der intrinsischen Motivation für den Lernerfolg einzugehen.
Definition: Motivation und Motiv
Unter Motivation oder Motiviertheit versteht man die Bereitschaft einer Person, sich intensiv und anhaltend mit einem Gegenstand auseinanderzusetzen. Motivation kann als Prozess aufgefasst werden, in dessen Verlauf zwischen Handlungsalternativen auswählt wird. Das spätere Handeln wird dann auf die ausgewählten Ziele ausgerichtet und auf dem Weg dorthin in Gang gehalten, also mit psychischer Energie versorgt.
Von Motiv sprechen wir, wenn es um individuelle zeitüberdauernde Vorlieben für bestimmte Klassen von Zuständen geht. So sprechen wir vom Anschlussmotiv, wenn es jemand besonders attraktiv findet, sich in sozialen Gruppen aufzuhalten, vom Machtmotiv, wenn die Beeinflussung anderer Menschen als besonders anziehend erlebt wird, und vom Leistungsmotiv, wenn man sich gerne im Lösen herausfordernder Aufgaben als kompetent und tüchtig erlebt.
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