dd) Zulässigkeit nach § 56 Abs. 2 VwVfG
780
Wenn der Bürger einen Rechtsanspruch auf Leistung der Behördehat, schränkt § 56 Abs. 2 die nach Abs. 1 bestehenden weitgehenden Möglichkeiten ein. Ein Anspruch ist gegeben, wenn er sich als Rechtsfolge eines Gesetzes, einer Rechtsverordnung oder einer Satzung zwingend ergibt. Den Fall der Ermessensreduzierung auf Null (s.o. Rn 218) erfasst § 56 Abs. 2 ebenfalls. Besteht ein Rechtsanspruch auf Leistung der Behörde, so greift das Gegenleistungsverbot; ausgeschlossen sind dadurch aber nicht Leistungen des Vertragspartners der Behörde auf anderer Rechtsgrundlage.
781
Die Behörde darf nur solche Gegenleistungen vereinbaren, die für den Fall, dass die Behörde einen VA erlassen hätte, sicherstellensollen, dass die gesetzlichen Voraussetzungendes VA erfüllt werden, § 56 Abs. 2 i.V.m. § 36 Abs. 1, 2. Alt. Art und Umfang der Gegenleistung dürfen nur solche Forderungen zum Gegenstand haben, die zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands notwendig sind. Die Gegenleistungen dürfen ferner dem Zweck des VA nicht zuwiderlaufen. Unzulässig ist deshalb zB die Koppelung einer Baugenehmigung mit dem Verzicht auf weitere rechtmäßige Baumaßnahmen[107].
VI. Der fehlerhafte öffentlich-rechtliche Vertrag
1. Grundkategorien der Fehlerfolgen
782
Die Fehlerfolgen beim VA wurden bereits an früherer Stelle dargestellt (s.o. § 14). Dort ist – neben der offenbaren Unrichtigkeit als unechter Fehlerfolge – zwischen der schlichten Rechtswidrigkeit und der Nichtigkeit zu unterscheiden. Dabei bildet die schlichte Rechtswidrigkeit den Regelfall: Ein schlicht rechtswidriger VA ist wirksam und muss angefochten werden, damit er nicht in Bestandskraft erwächst. Auch beim örV hat der Gesetzgeber in § 59bei Vorliegen eines der dort genannten Gründe die Nichtigkeitals Rechtsfolge angeordnet. Ist der örV rechtswidrig, liegt aber keiner der Nichtigkeitsgründe des § 59 vor, so ist der Vertrag wirksam und kann zumindest grundsätzlich nicht angefochten werden. Die schlichte Rechtswidrigkeit ist also grundsätzlich keine relevante Fehlerfolge[108]. Lediglich unter den Voraussetzungen des § 60 besteht eine Möglichkeit zur Kündigung eines örV, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen (dazu Rn 802 ff).
783
Da die Nichtigkeitdie zentrale Fehlerfolge beim örV bildet, sollte auch in Prüfungsarbeitenin den jeweiligen Obersätzen stets mit der Kategorie der Wirksamkeit und der Vorschrift des § 59 gearbeitet werden. Innerhalb dieses Obersatzes ist sodann zunächst auf die Rechtmäßigkeit einzugehen. Denn ein rechtmäßiger örV ist wirksam. Wird umgekehrt als erster Zwischenschritt die Rechtswidrigkeit festgestellt, so tritt die Fehlerfolge der Nichtigkeit nur dann ein, wenn zugleich ein Nichtigkeitsgrund nach § 59 vorliegt.
Beispiel:
Die Behörde macht einen Zahlungsanspruch aus einem örV geltend. Der Anspruch besteht dann, wenn er sich aus dem Vertrag ergibt und der Vertrag wirksam ist. Die Unwirksamkeit tritt nur dann ein, wenn ein Nichtigkeitsgrund nach § 59 vorliegt.
784
Eine Ausnahme vom zuvor Gesagten gilt, wenn nach § 58die Zustimmung eines Dritten oder einer Behörde erforderlich ist und diese noch nicht vorliegt. Wird die Zustimmung erteilt, so ist der Vertrag mit ex-tunc-Wirkung wirksam. Wird sie umgekehrt verweigert, so ist der Vertrag (endgültig) unwirksam. In der Zwischenphase, also vor Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung, ist der örV jedoch schwebend unwirksam[109].
2. Nichtigkeit nach § 59 VwVfG
785
§ 59 enthält in Abs. 1 eine Generalklausel, in Abs. 2 spezielle Nichtigkeitsgründe für den subordinationsrechtlichen Vertrag (s.o. Rn 741). Abs. 2 ist lex specialis gegenüber Abs. 1. „Greift“ Abs. 2 nicht, ist immer noch Abs. 1 zu prüfen[110]. Daher sollte in Prüfungsarbeitenbei einem subordinationsrechtlichen Vertrag zunächst Abs. 2 geprüft werden. Demgegenüber kommt bei einem koordinationsrechtlichen Vertrag zumindest grundsätzlich nur eine Nichtigkeit nach Abs. 1 in Betracht.
b) Die besonderen Nichtigkeitsgründe des § 59 Abs. 2 VwVfG
786
§ 59 Abs. 2 enthält einen Katalog spezieller Nichtigkeitsgründe für den sog. subordinationsrechtlichenVertrag. Neben den speziellen Nichtigkeitsgründen kommen die allgemeinen Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 1 – wie schon erwähnt – zur Anwendung. Der sog. subordinationsrechtliche Vertrag unterliegt deshalb strengeren Rechtmäßigkeitsbindungen als der sog. koordinationsrechtliche Vertrag. Freilich ist auf diesen eine analoge Anwendung der Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 2 möglich. Wegen der vom Gesetzgeber vorgenommenen Differenzierung in Abs. 1 und 2 ist bei einer solchen Analogie aber Zurückhaltung geboten[111].
aa) Nichtigkeit nach § 59 Abs. 2 Nr 1
787
Ist ein VA nach § 44 Abs. 1 nichtig, so gilt das Gleiche für einen Vertrag, der an Stelle des Erlasses eines VA abgeschlossen wird. Auf die Ausführungen zu § 44 Abs. 1 ist zu verweisen (s.o. Rn 560 ff).
Beispiele:
Die Nichtigkeit eines örV wegen eines offenkundigen schweren Inhalts- oder Formfehlers wird angenommen bei absoluter und offensichtlicher örtlicher und sachlicher Unzuständigkeit der vertragsschließenden Behörde; bei einem offensichtlich rechtswidrigen Inhalt; bei einem Vertrag, den ein ausgeschlossener und befangener Amtswalter offensichtlich zu seinem Vorteil mit sich selbst schließt.
788
Nach § 59 Abs. 2 Nr 1 iVm § 44 Abs. 2 ist ein Vertrag zudem in den sechs enumerierten Fällen des § 44 Abs. 2 nichtig, wenn ein entsprechender VA nichtig wäre. Insoweit ist auf die Ausführungen zu § 44 Abs. 2 zu verweisen (s.o. Rn 548 ff). Für § 44 Abs. 2 Nr 6, den Verstoß gegen die guten Sitten, ist hervorzuheben, dass es sittenwidrig sein kann, wenn ein Vertrag unter Missbrauch der Überlegenheit des einen oder des anderen Vertragspartners zustande gekommen ist[112]. Ebenso ist es sittenwidrig, wenn die Behörde überhöhte Forderungen durchsetzen möchte[113].
bb) Positive Kenntnis der Rechtswidrigkeit bei den Vertragschließenden
789
Nach § 59 Abs. 2 Nr 2 ist ein örV nichtig, wenn ein VA mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers i.S.d. § 46 rechtswidrig wäre und dies den Vertragschließenden bekannt war. Die Norm bevorzugt den Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelnsgegenüber dem Grundsatz der Vertragsverbindlichkeit dann, wenn die Vertragschließenden bei positiver Kenntnis einen rechtswidrigen Erfolg herbeiführen wollten. Dieser Erfolg muss ein Erfolg in der Sache sein; eine Umgehung von Verfahrens- und Formvorschriften reicht nicht. Die Kenntnis der Vertragsparteien muss sich auf die Rechtswidrigkeit des Vertragsinhaltsbeziehen, und sie muss bei allen Vertragsparteien vorhanden sein. Für die Kenntnis ist auf den Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags abzustellen. Die Rechtswidrigkeit des Vertragsinhalts ist den Vertragsparteien dann bekannt, wenn sie über die Rechtswidrigkeit informiert sind; dolus eventualis reicht. Die hier relevante Kenntnis ist beim Bürger zu unterstellen, wenn eine Parallelwertung in der Laiensphäre ergibt, dass der Vertragsinhalt rechtswidrig ist. Auf Seiten der Behörde reicht evidente Ignoranz der geltenden Rechtslage[114].
cc) Fehlende Voraussetzung beim Vergleichsvertrag
790
Nach § 59 Abs. 2 Nr 3 ist ein Vergleichsvertrag nichtig, wenn die Voraussetzungenzu seinem Abschluss nach § 55nicht vorlagen (s.o. Rn 768 ff) und ein VA mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers i.S.d. § 46 rechtswidrig wäre. Die Vorschrift soll verhindern, dass der Abschluss eines Vergleichsvertrags dazu dient, einen an sich rechtlich missbilligten Erfolg herbeizuführen. Nicht entscheidend ist, dass den Beteiligten bewusst ist, einen rechtswidrigen Vergleichsvertrag abzuschließen. Ein ermessensfehlerhaft abgeschlossener Vergleichsvertrag, bspw. eine willkürliche Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte, führt zur Nichtigkeit des Vertrags[115]. Eine unschwer zu beseitigende Ungewissheit kann ein Ermessensfehler sein und zur Nichtigkeit des Vergleichs führen[116].
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