771
Der Vergleichsvertrag fordert ein gegenseitiges Nachgeben; sein Inhalt ist also ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Standpunkten. Ob ein solches Nachgeben vorliegt, bemisst sich aus der Sicht eines objektiven Betrachters; dass beide Parteien aus ihrer subjektiven Sicht ein – wenn auch nur geringfügiges – Opfer gebracht haben, reicht hingegen nicht aus. Das Nachgeben muss sich nicht unbedingt auf das materielle Recht beziehen, sondern eine Verschlechterung einer Verfahrensposition ist hinreichend. Deshalb kann eine Klagerücknahme oder der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels zum Inhalt des Vergleichsvertrags werden[88].
772
Der Vergleich muss einen ungewissen Zustand beseitigen. Das ist der Fall, wenn die Wirkung des Vertrags darin besteht, dass er konstitutiv Verpflichtungen nach Maßgabe seines Inhalts schafft. Die negative Wirkung des Vertrags besteht darin, den Beteiligten ein Zurückgreifen auf frühere Standpunkte zu versagen, die positive Wirkung darin, diese früheren Standpunkte durch die getroffene Regelung zu ersetzen.
cc) Rechtsfolge: Ermessen
773
Mit Blick auf das Recht zum Abschluss eines Vergleichsvertrags enthält § 55 eine mit einem unbestimmten Rechtsbegriff gekoppelte Ermessensentscheidung. Die Zweckmäßigkeit ist zu bejahen, wenn die Beseitigung der Ungewissheit einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde; dieses ist ein Einzelfallproblem. § 55 dient der Verfahrensökonomieund der Verhältnismäßigkeit; deshalb dürfen die Anforderungen inhaltlicher Art an den Abschluss eines Vergleichsvertrags nicht überspannt werden. Regelmäßig reicht ein atypischer, mit unverhältnismäßigem Aufwand zu klärender Sachverhalt oder eine in besonderem Maße unklare Rechtslage – also ein besonderer Grenz- oder Zweifelsfall[89].
Beispiele
für Vergleichsverträge: Beilegung eines Streits über die Zahlung eines Straßenbeitrags durch einen Grundstückstausch[90]; in atypischen Fällen Beitragsverzicht nach § 135 Abs. 5 BauGB[91]; kein Gegenstandeines Vergleichsvertrags kann der Verzicht eines Bauherrn auf künftige gesetzmäßige Bebauung sein, wenn der Bauherr einen Anspruch auf Genehmigung ohne Gegenleistung hat[92].
b) Der Austauschvertrag
774
Nach § 56 ist der Abschluss eines Austauschvertrags nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Die Regelung verfolgt einen doppelten Schutzzweck: Sie soll einerseits den mitunter befürchteten „Ausverkauf von Hoheitsrechten“ verhindern, sie soll andererseits Bindungen und finanzielle Belastungen des Bürgers verhüten, die auch unter Berücksichtigung eines Vertragsverhältnisses nicht gerechtfertigt erscheinen[93]. § 56 enthält für die Behörde ein sog. Koppelungsverbot. Darunter versteht man die Verpflichtung einer Behörde, die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben grundsätzlich nicht von unmittelbar „verkoppelten“ wirtschaftlichen Gegenleistungen abhängig zu machen[94]. Das Koppelungsverbot gilt allerdings nur eingeschränkt. Es soll eine sachwidrige Motivation des Verwaltungshandelns verhindern. In der Folge darf nichts durch Austauschvertrag miteinander verknüpft werden, was nicht ohnehin in innerem Zusammenhang steht[95]. In diesem Rahmen ist ein Vertragsabschluss erlaubt, der zum Inhalt hat, dass ein im beiderseitigen Interesse liegender Ausgleich dadurch herbeigeführt wird, dass der Bürger als Vertragspartner bestimmte Leistungsverpflichtungen übernimmt und die Behörde die wegen finanzieller Gründe gegen die vereinbarte Maßnahme bestehenden Bedenken zurückstellt[96].
Beispiele:
In der Verwaltungspraxis gibt es Austauschverträge vor allem auf dem Gebiet des Städtebau-, Bauplanungs-, Bauordnungs- und Erschließungsrechts. Insbes. kommen in Betracht Garagen- und Stellplatzverträge nach den Landesbauordnungen; Baudispensverträge; Erschließungsverträge; Verträge über die freiwillige Baulandumlegung; Bauleitplanungsverträge sowie Folgelastenverträge bei Ausweisung neuer Baugebiete für Anlagen und Einrichtungen des Gemeinbedarfs.
775
Zu beachten ist, dass § 56 lediglich Aussagen zur Zulässigkeit der Gegenleistung trifft. Ob die Leistung der Behördezulässig ist, richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen. Sie muss daher insbes. die Zuständigkeit und Befugnis zur Erbringung der Leistung besitzen[97].
776
Die Vorschrift des § 56 gilt lediglich für subordinationsrechtliche Verträgei.S.d. § 54 S. 2. Dies gilt auch für Abs. 2, da dieser an Abs. 1 anknüpft[98]. Für koordinationsrechtliche Verträge zwischen Hoheitsträgern entfällt eine Anwendung des Koppelungsverbots, da die Norm keine allgemeinen Grundsätze über die Zulässigkeit von Gegenleistungen im Verhältnis von Behörden zueinander enthält[99]. § 56 macht die von dem Bürger zu erbringende Gegenleistung von bestimmten Voraussetzungen abhängig. Insoweit sind zwei Fälle zu unterscheiden: § 56 Abs. 2 ist Sondervorschrift für diejenigen Fälle, in denen der Bürger einen Anspruch auf die Leistung der Behörde hat; besteht kein solcher Anspruch, so ist § 56 Abs. 1 einschlägig. Die Anforderungen des Abs. 1 gelten zwar auch bei gebundenen Entscheidungen; allerdings enthält Abs. 2 hier spezifischere Aussagen zur Zulässigkeit der Gegenleistung und sollte daher bei gebundenen Entscheidungen zuerst geprüft werden[100].
777
§ 56 findet ferner zumindest entsprechende Anwendung auf sog . unvollständige oder hinkende Austauschverträge[101]. Darunter sind solche Austauschverträge zu verstehen, bei denen nur die von dem Vertragspartner der Behörde zu erbringende Leistung (also die Gegenleistung i. S. d. § 56) in dem Vertrag vereinbart wird, die von der Behörde zu erbringende Leistung außerhalb des Vertrags stillschweigend als Geschäftsgrundlage so vorausgesetzt wird, dass zwischen Leistung und Gegenleistung ein untrennbarer Zusammenhang besteht[102].
cc) Zulässigkeit nach § 56 Abs. 1 VwVfG
778
§ 56 Abs. 1 ist einschlägig, wenn kein Anspruch des Bürgersauf die Leistung der Behörde besteht. Dann müssen vier Voraussetzungenerfüllt sein, damit die Gegenleistung rechtmäßig ist. Voraussetzung ist, dass (1)die Gegenleistung für einen bestimmten Zweck im Vertrag vereinbart sein muss. Die Gegenleistung muss in der Weise zweckgebundensein, dass der mit ihr erstrebte Zweck einer an sich bestehenden gesetzlichen Verpflichtung dient, die durch den Vertrag abgelöst worden ist. Die ausdrückliche Zweckbestimmung muss regelmäßig im Wortlaut der Vertragsurkunde erscheinen. Es geht um die Kontrolle der Leistungsverwendung. Es dürfen (2)nur solche Gegenleistungen vereinbart werden, die der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabendienen. Es geht um ein Missbrauchsverbot. Nur solche Aufgaben können durch die Gegenleistung des Bürgers finanziert werden, für die die Behörde örtlich und sachlich zuständig ist; sie hat eigene, nicht „fremde“ Aufgaben wahrzunehmen.
779
Weitere Voraussetzung ist, dass (3)die Gegenleistung in sachlichem Zusammenhangmit der vertraglichen Leistung der Behörde steht. Ein innerer Zusammenhang ist gefordert; darin drückt sich das nunmehr gesetzlich niedergelegte Koppelungsverbot aus[103]. Für den inneren Zusammenhang ist ein unmittelbarer sachlicher Zweckzusammenhang nicht notwendig; deshalb sind Stellplatzablösungsverträge, die einerseits die Zahlung eines Ablösungsbetrags für Parkplatzbeschaffung und andererseits die Erteilung einer Baugenehmigung zum Gegenstand haben, zulässig[104]. Nach § 56 Abs. 1 S. 2 muss die Gegenleistung (4)den gesamten Umständen nach angemessen[105] sein; diese Voraussetzung ist Folge der Geltung des Übermaßverbots. Wirtschaftliche Ausgewogenheit in der Höhe von Leistung und Gegenleistung ist gefordert. Die Ausgewogenheit muss objektiv feststehen. Zugunsten des Bürgers kann freilich eine geringere Gegenleistung unterhalb der Vollkosten vereinbart werden. Der Behörde ist es indes untersagt, sich Vorteile zu verschaffen, auf die sie bei einer einseitigen hoheitlichen Regelung der Rechtsbeziehung keinen Anspruch hätte[106].
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