741
Bei der Definition des subordinationsrechtlichen Vertragsist von der Bestimmung des § 54 S. 2 auszugehen. Danach werden jedenfalls solche örVe erfasst, die einen VA ersetzen. Wegen dieser „Nähe“ zu einem VA besteht zugleich eine erhöhte Schutzwürdigkeit des „Untergeordneten“. Diese äußert sich darin, dass der Gesetzgeber bei subordinationsrechtlichen Verträgen intensivere Schutzanforderungen errichtet hat. So gelten die in § 59 Abs. 2 aufgeführten Nichtigkeitsgründe nur für subordinationsrechtliche Verträge („ferner nichtig, wenn“). Da die erhöhte Schutzwürdigkeit nicht alleine mit der Handlungsform eines (ersetzten) VA verbunden ist, wird der Begriff des subordinationsrechtlichen Vertrags weiter ausgelegt. Erfasst werden vielmehr alle Verträge, bei denen ein Über- und Unterordnungsverhältnisgegeben ist[46]. Dies ist bei einem Vertrag zwischen einem Verwaltungsträger und einem Bürger typischerweise, wenn auch nicht notwendigerweise anzunehmen. Dieses erweiterte Verständnis entspricht der bereits behandelten Subordinationstheorie (s.o. Rn 33).
742
Im Gegensatz dazu erfasst der koordinationsrechtliche Vertragsolche örVe, bei denen kein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht. Erfasst werden im Umkehrschluss aus § 54 S. 2 typischerweise Verträge zwischen Verwaltungsträgern. Schwierigkeiten bei der Einordnung bereiten Konstellationen, in denen ein Verwaltungsträger Privatpersonen gegenübertritt, jedoch kein Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegt. Zwar könnte versucht werden, solche Konstellationen in die vorhandene Zweiteilung „hineinzuzwängen“. Dann müsste aber entweder die Beschränkung der koordinationsrechtlichen Verträge auf solche zwischen Verwaltungsträgern aufgegeben werden[47], oder es müsste ein Subordinationsverhältnis gleichsam fingiert werden. Sachgerechter erschiene es deshalb de lege ferenda, eine eigenständige dritte Kategorieeinzuführen, die zugleich offen für eine differenzierende Maßstabsbildung ist[48].
2. Verpflichtungs- und Verfügungsverträge
743
Die aus dem Privatrecht bekannte Differenzierung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsverträgen hat die Wirkungen eines Vertrags im Blick. In einem Verpflichtungsvertrag verpflichtetsich ein Partner zu einer noch zu erbringenden Leistung.
Beispiele:
Die Behörde kann sich zum Erlass eines VA, einer Geldzahlung oder einem sonstigen Verwaltungshandeln (Widerruf einer ehrenrührigen Erklärung) verpflichten. Der Bürger kann sich zur Erbringung jeder nach der Rechtsordnung möglichen Leistung verpflichten.
Verfügungsverträge sind einvernehmliche Rechtshandlungen, die unmittelbar die Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses herbeiführen. Sie dienen damit der Erfüllungder Vertragspflichten. Voraussetzung für einen Verfügungsvertrag ist in aller Regel ein wirksamer Verpflichtungsvertrag; indes können Verpflichtungsvertrag und Erfüllung zusammenfallen, wenn die Vertragsleistung nicht vollzugsbedürftig ist.
Beispiel:
Die Abgabe einer Willenserklärung.
3. Abstrakte und kausale Verträge
744
Im Verwaltungsrecht ist ebenso wie im Privatrecht zwischen abstrakten und kausalen Verträgen zu unterscheiden. Der kausale Vertrag bildet auch im Verwaltungsrecht den Regelfall und beinhaltet den Rechtsgrund. Ist der Vertrag unwirksam, so fehlt es am Rechtsgrund für die Leistungserbringung, sodass diese rückgängig zu machen ist. Dieses geschieht mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (dazu Näheres in § 26). Auch abstrakte Verträge sind im öffentlichen Recht möglich, freilich wohl nur ausnahmsweise. Abstrakte Verträge verpflichten zur Leistung unabhängig von der Existenz eines kausalen Rechtsgeschäfts.
Beispiele
für abstrakte Verträge im öffentlichen Recht: Schuldversprechen und -anerkenntnis, §§ 780, 781 BGB; Rechtsfolgen bei Nichtbestehen einer Schuld[49]; Garantieversprechen und Risikoübernahme[50].
745
§ 55 erwähnt speziell den Vergleichsvertrag. Es handelt sich um einen sog. „benannten“ Vertrag. Den Vergleichsvertrag kennzeichnet, dass eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird. Inhaltlich ist ein Vergleichsvertrag regelmäßig ein Verpflichtungsvertrag.
Beispiel:
A beantragt eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB. Es entsteht ein Streit über die rechtliche Zulässigkeit; ein Vergleichsvertrag kann den Inhalt haben, dass die Behörde sich verpflichtet, eine Baugenehmigung mit einem geringeren Umfang als beantragt zu erteilen, B verzichtet auf den weitergehenden Teil seines Antrags.
746
Die Norm greift freilich nur dann, wenn die Vertragsform überhaupt zulässig ist; das ist regelmäßig nicht der Fall bei Prüfungs-, Besoldungs-, Versorgungs- sowie Wahlprüfungsangelegenheiten[51]. § 55 erlaubt insbes. Vergleiche im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens. Vergleiche vor dem Verwaltungsgericht sind nach § 106 VwGO zulässig[52]. Der Vergleich vor einem Verwaltungsgerichthat Doppelnatur: er ist zum einen Prozesshandlung, zum anderen ein materiell-rechtlicher öffentlich-rechtlicher Vertrag[53].
747
§ 56 erwähnt als zweiten sog. „benannten“ Vertrag den Austauschvertrag. Abs. 1 S. 1 der Vorschrift definiert ihn als einen Vertrag, in dem sich der Vertragspartner der Behörde zu einer Gegenleistung verpflichtet. Kennzeichnendfür den Austauschvertrag ist, dass zumindest ein Vertragspartner eine Leistung öffentlich-rechtlichen Inhalts erbringt, um von dem anderen Vertragspartner eine bestimmte Gegenleistung zu erhalten, an der ein irgendwie geartetes Verwaltungsinteresse besteht[54]. Inhaltlich ist deshalb der Austauschvertrag ein Verpflichtungsvertrag. Im Verhältnis zu § 55 können Überschneidungen bestehen, denn Vergleichsverträge können ebenfalls auf den Austausch von Leistungen gerichtet sein[55].
Beispiel:
Die Behörde verpflichtet sich zur Erteilung einer Baugenehmigung; der Adressat der Baugenehmigung verpflichtet sich, als Ausgleich für das Fällen von Bäumen Anpflanzungen auf seinem Grundstück vorzunehmen.
V. Rechtmäßigkeitsanforderungen
1. Die Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags
a) Grundsätzliche Zulässigkeit
748
§ 54 S. 1 spricht von „kann“: Darin gelangt eine doppelte gesetzliche Entscheidung zum Ausdruck: zum einen die gesetzliche Ermächtigungzur Nutzung dieses Instruments (i.S. einer Zulässigkeitserklärung) im Verwaltungsverfahren, ohne dass es weiterer spezialgesetzlicher Ermächtigungen bedürfte; zum anderen eine Ermessensregelung, die erlaubt, nach sachgerechter Abwägung im Einzelfall den örV als Handlungsinstrument zu wählen.
b) Ermittlung von Handlungsformverboten
749
Bei der Zulässigkeit der Handlungsform geht es um die Frage, ob überhaupt ein Vertrag geschlossen werden darf. § 54 S. 1 enthält hierzu eine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Im Zweifel bedeutet das Schweigen des Gesetzes daher eine Vertragsformerlaubnis. Vertragsformverbote gibt es nur ausnahmsweise. Die Unzulässigkeit des Abschlusses eines örV als Handlungsform ergibt sich nicht nur bei einem ausdrücklichen Verbot, sondern kann auch aus Sinn, Zweck oder Systematik eines Gesetzes folgen[56]. Dabei ist stets auf die genaue Reichweite des Vertragsformverbots zu achten. Oftmals beschränkt es sich auf den jeweiligen Kernbereich eines Rechtsgebiets, während jenseits dieses Kernbereichs örVe zulässig sind.
Читать дальше