731
Zulässig sind auch Verträge zugunsten Dritter. Ebenfalls ist ein örV mit Schutzwirkung für Drittedenkbar, wenn bestimmte Personen erkennbar in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen sind und dies nach den Erklärungen der Vertragsparteien oder ihrem objektiven Verhalten anzunehmen ist[25]. Grundsätzlich unzulässig ist ein örV zulasten Dritter[26]. Allerdings ist ein örV, der in die Rechte eines Dritten eingreift, gemäß § 58 Abs. 1 bis zur Zustimmung des Dritten lediglich schwebend unwirksam (s.u. Rn 784).
2. Auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts
732
Die §§ 54 ff gelten für Verträge „auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts“. Der Anwendungsbereich des VwVfG ist jedoch nach § 1 Abs. 1 auf die Verwaltungstätigkeit der Behörden begrenzt. Dies gilt auch für den örV. Die Verträge nach dem VwVfG werden deshalb auch als „Verwaltungsverträge“[27] oder „verwaltungsrechtliche Verträge“[28] bezeichnet. Da der Gesetzgeber aber den Begriff des örV gewählt hat, soll er auch im Folgenden beibehalten werden.
a) Begrenzung auf verwaltungsrechtliche Materien
733
Wegen der Begrenzung auf verwaltungsrechtliche Materien sind folgende Verträge keine Verträge i.S.d. §§ 54 ff: völkerrechtliche und kirchenrechtlicheVerträge; staatsrechtliche Verträge, sie betreffen die Rechtsbeziehungen zwischen Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen des Bundes und der Länder. Verwaltungsabkommen und Verwaltungsvereinbarungenzwischen mehreren Ländern oder zwischen Behörden mit verschiedenen Rechtsträgern fallen nur dann unter die §§ 54 ff, wenn sie sich auf öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit beziehen. Das Recht des örVs gelangt nicht zur Anwendung bei Verträgen, die Regierungstätigkeitoder ein konkretes Rechtsverhältnis mit Einzelfallwirkung zum Gegenstand haben. Verträge dieses Inhalts mögen zwar örVen ähnlich sein, werden aber wegen ihres Quasi-Normcharakters oder wegen ihrer fehlenden Verwaltungsverfahrensqualität nicht mehr von den §§ 54 ff erfasst. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVGist ein Akt der Normsetzung und gehört zur Gesetzgebung im materiellen Sinn[29]. Grenzänderungsverträge zwischen Gemeinden werden als abstrakte Vereinbarungen und Quellen objektiven Rechts angesehen[30].
b) Abgrenzung zum privatrechtlichen Vertrag
734
Die Abgrenzung zum privatrechtlichen Vertrag erfolgt nach den Merkmalen, die zur Abgrenzung zwischen privatem und öffentlichem Recht entwickelt wurden. Entscheidend ist der Gegenstand des Vertrags[31]. Vertragsgegenstand in diesem Sinne ist der geregelte Sachverhalt. Entscheidend ist die gesetzliche Ordnung, die er im objektiven Recht gefunden hat[32]. Bei der Bestimmung des Gegenstands sind zudem die Rechtsfolgen und der Vertragszweck zu berücksichtigen.
735
Denkbar ist, dass der Vertrag sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich erfasste Aspekte zum Gegenstand hat.
Beispiel:
Der Kauf eines Grundstücks (privatrechtlich), seine Erschließung durch die Gemeinde (öffentlich-rechtlich).
Solche Verträge nennt man gemischte Verträge. Für sie stellt sich die Frage, ob sie sowohl nach Privatrecht als auch nach öffentlichem Recht oder nur nach einer Rechtsordnung zu behandeln sind. Die Behandlung dieser Verträge nach beiden Rechtsordnungen lehnt die hM ab; der einheitliche Vertrag soll nicht inhaltlich aufgespalten werden, um das synallagmatische Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einheitlich beurteilen zu können. Deshalb gilt der Grundsatz der einheitlichen Betrachtungsweise: Bestimmt das öffentliche Recht den Gesamtcharakter bzw. den Schwerpunkt des Vertrags, so gehört er dem öffentlichen Recht an. Für die Ermittlung des Gesamtcharakters ist insbes. von Bedeutung, ob enge Verknüpfungen mit öffentlich-rechtlichen Berechtigungen und Verpflichtungen existieren[33].
Beispiele für örVe[34] :
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Garagen- und Stellplatzverträge nach Landesbaurecht[35]; |
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Erschließungsverträge nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr 1 BauGB[36]; |
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Ablösungsverträge über Erschließungsbeiträge nach § 133 Abs. 3 S. 5 BauGB[37]; |
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Folgelastenverträge bei Ausweisung neuer Baugebiete nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr 3 BauGB[38]; |
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Vertrag zwischen Dienstherrn und Beamten über Studienförderung[39]; |
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Vertrag über die Verpflichtung zum späteren Eintritt in den Öffentlichen Dienst[40]; |
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Vertrag zwischen Gemeinde und Bundesbahn über die Umbenennung eines Bahnhofs[41]; |
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Vertrag über den Besuch einer städtischen Kindertagesstätte[42]. |
3. Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses
736
Gegenstand eines örVs kann das erstmalige Zustandekommen, die inhaltliche Umgestaltungeines bestehenden sowie die Beseitigungeines Rechtsverhältnisses sein. Der Vertragsgegenstand kann materiell-rechtlicher, verfahrensrechtlicher und prozessrechtlicher Art sein. Der Vertrag kann konstitutive und deklaratorische Rechtsverhältnisse erfassen. Dass die Aufhebung eines Rechtsverhältnisses Gegenstand eines Vertrags sein kann, bedeutet zugleich, dass ein Vertrag nicht mehr durch einseitigen Akt aufgehoben werden kann.
737
Rechtsverhältnisi.S.d. § 54 S. 1 ist die sich aus einem konkretenSachverhalt ergebende rechtliche Beziehung eines Rechtssubjekts zu einem anderen oder zu einer Sache[43]. Allgemeines und abstraktes Verwaltungshandeln erfüllt dieses Kriterium nicht; Vereinbarungen, die solches Verwaltungshandeln zum Gegenstand haben, sind daher keine örVe.
738
Die Rechtsbeziehung bzw das Rechtsverhältnis muss kein gegenwärtiges sein; zukünftigeoder mögliche Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen sowie mit ihnen verbundene Berechtigungen oder Verpflichtungen können ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 54 S. 1 darstellen. Gefordert ist freilich ein „greifbarer Tatbestand“. Den Vertragsgegenstand können nicht Rechtsfragen oder reine Hypothesen bilden. Auch vergangeneRechtsverhältnisse können erfasst sein, sofern aus ihnen nach wie vor noch Rechte und Pflichten herrühren können[44].
739
Die §§ 54 ff enthalten keinen abschließenden Katalogder möglichen Vertragsarten und -inhalte. Wegen § 62 S. 2 gilt freilich die Vertragstypologie des BGB auch im öffentlich-rechtlichen Vertragsrecht. Die §§ 55 ff enthalten einige Sonderregelungen. Die Übernahme privatrechtlicher Institute kommt nur nach einer Prüfung im Einzelfall in Betracht; es muss festgestellt werden, ob der Anwendung des BGB keine öffentlich-rechtlichen Grundsätze entgegenstehen.
1. Subordinationsrechtliche und koordinationsrechtliche Verträge
740
Zu unterscheiden ist gemäß § 54 S. 1 und 2 insbes. zwischen subordinationsrechtlichen und koordinationsrechtlichen Verträgen. § 54 S. 2 umschreibt den subordinationsrechtlichen Vertrag als einen solchen, den eine Behörde abschließt, statt einen VA zu erlassen. Diese Unterscheidung ist zwar teilweise kritisiert worden[45]. Sie liegt jedoch den Bestimmungen der §§ 54 ff zugrunde und ist von erheblicher Bedeutung. Denn einige Regelungen kommen lediglich bei subordinationsrechtlichen Verträgen zur Anwendung, andere hingegen bei allen örVen. So ist etwa bei den Nichtigkeitsgründen nach § 59 zu differenzieren zwischen Abs. 1 und Abs. 2 (dazu ausf. Rn 785 ff). Die Nichtigkeitsgründe nach Abs. 1erfassen alle örVe, also subordinationsrechtliche und koordinationsrechtliche. Zum Ausdruck kommt dies in der Formulierung „ein öffentlich-rechtlicher Vertrag“ ohne einschränkenden Zusatz. Demgegenüber beschränken sich die Nichtigkeitsgründenach § 59 Abs. 2auf subordinationsrechtliche Verträge. Zum Ausdruck kommt dies in der Formulierung „ein Vertrag im Sinne des § 54 S. 2“. Aber auch bei den anderen Regelungen der §§ 54 ff ist genau darauf zu achten, ob alle örVe erfasst werden oder lediglich subordinationsrechtliche.
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