702
Nach § 13 Abs. 1 VwVG müssen die Zwangsmittel, wenn sie nicht sofort angewendet werden können, schriftlich angedroht werden. Die Androhung hat den Zweck, auf die Folgen der Nichterfüllung der titulierten Pflichten hinzuweisen. Für die Erfüllung der Verpflichtung ist eine Frist zu bestimmen, innerhalb der der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise zugemutet werden kann. Nach § 13 Abs. 2 VwVG darf die Androhung mit dem Grund-VA verbunden werden. Gemäß § 13 Abs. 3 VwVG muss sich die Androhung auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen; unzulässig ist daher die gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel und die Androhung, mit der sich die Vollzugsbehörde die Wahl zwischen mehreren Zwangsmitteln vorbehält. Wenn ein Zwangsgeld angedroht wird, muss die Höhe des Zwangsgelds bestimmt sein[44]; die Androhung der Ersatzvornahme muss mit einem Kostenvoranschlag verbunden sein, § 13 Abs. 4, 5 VwVG. Ihrer Rechtsnatur nach ist die Androhung selbst ein VA[45].
703
Die zweite Phase des Zwangsverfahrens bildet die Festsetzung des Zwangsmittels nach § 14 VwVG. Mit ihr soll verdeutlicht werden, dass die Voraussetzungen des Zwangsmittels nunmehr vorliegen und dieses alsbald zur Anwendung kommt[46]. Die Festsetzung ist ein selbstständiger VA, der als solcher dem Betroffenen bekannt zu geben ist[47], weil die Festsetzung Konkretisierungs-, Warn- und Schutzfunktion besitzt[48]. Wird die Verpflichtung innerhalb der Frist, die in der Androhung bestimmt ist, nicht erfüllt, so setzt die Vollzugsbehörde das Zwangsmittel fest. Die Festsetzung entfällt bei sofortigem Vollzug. Die Androhung des Zwangsmittels und ihre Festsetzung müssen einander inhaltlich entsprechen. Eine von der Androhung abweichende Festsetzung ist daher rechtswidrig.
704
Die Anwendung des Zwangsmittels nach § 15 Abs. 1 VwVG bildet die dritte Stufe des Zwangsverfahrens. Mit ihr gelangt das Zwangsmittel zur Ausführung. Richtigerweise handelt es sich mangels Regelungswirkung um einen Realakt[49]. Ein Widerstand des Pflichtigen kann mit Gewalt gebrochen werden. Die Polizei hat auf Verlangen der Vollzugsbehörde Vollzugshilfe zu leisten (zum Begriff s.o. Rn 484). Allerdings kann es erforderlich sein, dass gegenüber Dritten eine Duldungsverfügung erlassen werden muss, insbes. um etwaige Vollstreckungshindernisse zu beseitigen[50].
e) Verhältnis der Stufen zueinander
705
Da im gestreckten Vollstreckungsverfahren grundsätzlich gegen jede Stufe gesonderter Rechtsschutz erlangt werden kann, reicht jeweils die Wirksamkeit– in Abgrenzung zur Rechtmäßigkeit – der jeweiligen Vorstufeaus, um auf die nachfolgenden Stufen überzugehen. Es wird also – anders ausgedrückt – nicht auf jeder Stufe die vollständige Rechtmäßigkeit auch der vorausgegangenen Stufen überprüft. Dies gilt nicht nur für die Grundverfügung als Basis der Vollstreckung, sondern auch für die folgenden Stufen[51]. Innerhalb der einzelnen Stufen sowie beim Übergang auf die nächste Stufe ist stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatzzu beachten. Dies gilt insbes. im Falle des Einlenkens des Pflichtigen, das weitere Vollstreckungsmaßnahmen entbehrlich macht. Darüber hinaus sind nachträglich eingetretene Vollstreckungshindernisse zu berücksichtigen. Deshalb steht etwa der Eintritt einer Baugenehmigungsfiktion der Fortsetzung der Vollstreckung einer Beseitigungsanordnung entgegen[52]. Schließlich müssen die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 VwVG (s.o. Rn 700 f) auch zum Zeitpunkt der jeweiligen Vollstreckungshandlung noch vorliegen. Daher ist die Vollstreckung einzustellen, wenn die Nichtigkeit des Grund-VA festgestellt wird[53].
3. Rechtsschutz im gestreckten Vollstreckungsverfahren
706
Der Rechtsschutz gestaltet sich nach allgemeinen Grundsätzen jeweils akzessorisch zur Handlungsform. Deshalb sind nicht nur beim Rechtsschutz gegen die Grundverfügung, sondern auch gegen die Androhung und die Festsetzung Widerspruch und Anfechtungsklage statthaft. Dies wird für die Androhung in § 18 Abs. 1 S. 1 VwVG klargestellt und ergibt sich für die Festsetzung aus deren Rechtsnatur[54]. Zu beachten ist, dass Landesrecht oftmals vorsieht, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen in der Vollstreckung keine aufschiebende Wirkung entfalten[55]. Aus der Rechtsnatur der Anwendungals Realakt folgt konsequenterweise, dass die allgemeine Leistungsklage statthaft ist, wenn und soweit die Vollstreckung noch rückgängig gemacht werden kann. Anderenfalls verbleibt die Möglichkeit zur Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO.
4. Sofortiger Vollzug, unmittelbare Ausführung
707
Der sofortige Vollzug ist geregelt in § 6 Abs. 2 VwVG. Im Falle einer aktuellen Gefahrenlage kann der Erlass eines VA mit anschließendem Vollstreckungsverfahren nicht abgewartet werden, sondern es muss sofort gehandelt werden. In diesem Fall und in vergleichbaren Fällen kann die Behörde – in aller Regel der vor Ort anwesende Polizist – sofort und unmittelbar die erforderlichen Zwangsmaßnahmen vornehmen; auf den Erlass eines VA kommt es nicht an. Die Rechtsnatur des Sofortvollzugs nach § 6 Abs. 2 VwVG ist umstritten. Nach einer früher häufig vertretenen Ansicht ist er ein VA, da mit ihm die Grundverfügung und/oder die Verwaltungsakte des Vollstreckungsverfahrens gleichsam ersetzt werden[56]. Richtigerweise handelt es sich aber mangels Regelungswirkung um einen Realakt[57].
708
Der sofortige Vollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG ist zunächst abzugrenzen vonder Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr 4 VwGO, welche sich auch hinter dem Begriff des „sofortigen Vollzugs“ nach § 6 Abs. 1 VwVG verbirgt. In § 80 Abs. 2 S. 1 Nr 4 VwGO und § 6 Abs. 1 VwVG geht es um die sofortige Vollziehung einer bestehenden Grundverfügung, während § 6 Abs. 2 VwVG die Vollziehung ohne Grundverfügung zum Gegenstand hat[58].
709
Der sofortige Vollzug ist darüber hinaus abzugrenzen von der unmittelbaren Ausführung, die in § 19 BPolGsowie in einigen Landespolizeigesetzen anzutreffen ist[59]. Das gemeinsame Wesen beider Maßnahmen liegt darin, dass aufgrund der Eilbedürftigkeit eine Vollstreckung ohne vorausgehenden Grundverwaltungsakt möglich ist. Nach einer lange überwiegenden Ansicht wurde danach differenziert, ob der hypothetische Wille des Betroffenen gebrochen werden muss (sofortiger Vollzug) oder die behördliche Tätigkeit dem (mutmaßlichen) Willen des Betroffenen entsprach (unmittelbare Ausführung)[60]. Letzteres ist etwa anzunehmen, wenn es um die Rettung eines Bewusstlosen vor dem Ertrinken geht. Inzwischen häufen sich aber diejenigen Stimmen, welche die unmittelbare Ausführung als speziellere Normfür das Polizeirecht einstufen[61]. Nach der erstgenannten Ansicht wäre im Überschneidungsbereich der sofortige Vollzug der praktische Regelfall, nach der zweiten Ansicht die unmittelbare Ausführung. Allerdings entsprechen die Voraussetzungen der unmittelbaren Ausführung denjenigen beim sofortigen Vollzug[62]. Da sich die Überschneidung regelmäßig auf das Polizei- und Ordnungsrecht beschränkt und auch nicht in allen Bundesländern die unmittelbare Ausführung anzutreffen ist, konzentrieren sich die folgenden Aussagen auf den sofortigen Vollzug.
b) Voraussetzungen für den sofortigen Vollzug
Читать дальше