691
Die behördliche Beauftragung des Dritten lässt eine Rechtsbeziehung zwischen dem durch den VA Verpflichteten und dem Dritten nicht entstehen. Der Pflichtige muss lediglich die Ersatzvornahme durch den Dritten dulden; zu dulden hat er ferner alle mit der Ersatzvornahme verbundenen tatsächlichen Handlungen, so zB das Betreten des Grundstücks. § 10 VwVGenthält auch eine Regelung zur Kostentragungbei der Durchführung der Ersatzvornahmen, zB einer Bodensanierung[21] („auf Kosten des Pflichtigen“). Anspruchsinhaber ist die Behörde bzw. der Verwaltungsträger, dem die Behörde angehört. Es lässt die Kostentragung unberührt, wenn während der Durchführung der Ersatzvornahme der Störer auf sein Eigentum verzichtet[22]. Die Anforderung einer Vorauszahlung auf Kosten der Ersatzvornahme ist hingegen keine Maßnahme der Zwangsvollstreckung[23].
692
Ein Spezialfall der Ersatzvornahme ist die Selbstvornahme durch die Behörde. In diesem Fall beauftragt die Behördenicht einen Dritten, sondern handelt selbst. Die meisten Landesverwaltungsvollstreckungsgesetze sehen die Einordnung der Selbstvornahme als Ersatzvornahme vor[24]; die für die Verwaltung positive Folge liegt darin, dass sie die Kosten für die Selbstvornahme dem Pflichtigen auferlegen kann[25]. Fehlt eine entsprechende Landesvorschrift, so fällt die Selbstvornahme unter den unmittelbaren Zwang, wie sich aus § 12 VwVGergibt („… oder selbst vornehmen“)[26].
Beispiel:
Die Behörde beauftragt nicht einen Bauunternehmer mit dem Abriss des Hauses, sondern nimmt den Abriss durch Mitarbeiter selbst vor.
b) Das Zwangsgeld und die Zwangshaft
693
Zwangsgeld und Zwangshaft kommen in zwei Konstellationen in Betracht: In erster Linie erfasst sind unvertretbare Handlungen, die nicht von einem anderen vorgenommen werden können und die nur vom Willen des Pflichtigen abhängen. In solchen Situationen unvertretbarer Handlungensoll auf den Willen des Pflichtigen eingewirkt werden. Darüber hinaus kommt ein Zwangsgeld aber auch bei vertretbaren Handlungenin Betracht. Zwar besteht insoweit ein grundsätzlicher Vorrang der Ersatzvornahme[27]. Nach § 11 Abs. 1 S. 2 VwVG kann ein Zwangsgeld jedoch auch dann verhängt werden, wenn eine eigentlich statthafte Ersatzvornahme „untunlich“ wäre. Das Merkmal der Untunlichkeit ist eng auszulegenund nur dann erfüllt, wenn eine Ersatzvornahme in besonders hohem Maße unangemessen oder unzweckmäßig ist[28]. Als Regelbeispiel benennt § 11 Abs. 1 S. 2 VwVG, dass der Pflichtige außerstande ist, die bei der Ausführung durch einen anderen entstehenden Kosten zu tragen[29]. Gemäß § 11 Abs. 2 VwVG ist das Zwangsgeld schließlich auch dann statthaft, wenn der Pflichtige gegen eine Pflicht zur Duldung oder Unterlassung verstößt.
bb) Grund und Höhe des Zwangsgelds
694
Mit einem Zwangsgeld soll der Verpflichtung Nachdruck verliehen werden. Das Zwangsgeld ist ein Beugemittel; es dient der Erzwingung künftigen Verhaltens[30]. Dieser Charakter des Zwangsgelds bedingt:
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es kann wiederholt und in seiner Höhe gesteigert werden, wenn der Pflichtige nicht nachgibt[31]; |
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es darf nicht vollstreckt werden, wenn der Pflichtige den Anspruch erfüllt; |
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es ist nicht verschuldensabhängig[32]; |
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es ist neben Strafen oder Geldbußen zulässig. |
Die Höhe des Zwangsgeldsrichtet sich im Ausgangspunkt nach § 11 Abs. 3 VwVG und beträgt € 25 000. Teilweise sehen die einschlägigen Landesgesetze einen höheren Rahmen vor[33].
695
Wenn das Zwangsgeld nicht beigetrieben werden kann, ist die Zwangshaft zulässig; die Zwangshaft ist kein selbstständiges Zwangsmittel, sondern eine Steigerung des Zwangsgelds[34]. § 16 VwVGspricht deshalb von einer „Ersatzzwangshaft“. Ihre Anordnung erfolgt durch den Richter; nach § 16 Abs. 1 VwVG ordnet die Zwangshaft das Verwaltungsgericht an.
c) Der unmittelbare Zwang
696
Der unmittelbare Zwang ist in § 12 VwVGgeregelt. Er ist zulässig, wenn die Ersatzvornahme oder das Zwangsgeld nicht zum Ziel führen oder untunlich sind. Die Begriffsbestimmung für den unmittelbaren Zwang enthält § 2 UZwG. Nach § 2 Abs. 2 UZwG ist körperliche Gewalt jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen; nach § 2 Abs. 3 UZwG sind Hilfsmittel der körperlichen Gewalt insbes. Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde und Dienstfahrzeuge; nach § 2 Abs. 4 UZwG sind Waffen dienstlich zugelassene Hieb- und Schusswaffen, Reizstoffe und Explosivmittel. Ein Beispielfür eine Einwirkung auf Sachen bildet die Versiegelung von Geschäftsräumen zur Vollstreckung einer Gewerbeuntersagung[35].
Beispiele:
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das Aufbrechen einer Wohnung[36]; |
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die Auflösung einer Demonstration mit Schlagstöcken, Wasserwerfern[37]; |
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der Einsatz von Reizstoffen; der Einsatz von Schusswaffen gegen Geiselnehmer; |
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die Versiegelung einer baulichen Anlage[38]. |
697
Weil der unmittelbare Zwang das schärfste Zwangsmittel ist, kommt er nur als letzte Möglichkeitin Betracht. §§ 8 ff UZwG enthalten spezielle Vorschriften für die Fesselung von Personen, den Schusswaffengebrauch und den Einsatz von Explosivmitteln[39]. Stets ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
698
Der unmittelbare Zwang ist von der Ersatzvornahme abzugrenzen. Unmittelbarer Zwang liegt vor, wenn die Behörde selbst tätig wird; bei der Ersatzvornahme handelt ein Dritter im Auftrag der Behörde. Teilweise ist, wie dargestellt, die Ersatzvornahme durch die „Selbstvornahme“ erweitert worden (s.o. Rn 692). In diesem Fall ist die Abgrenzung wie folgt vorzunehmen: Ersatzvornahme/Selbstvornahme liegt vor, wenn die Behörde an Stelle des Pflichtigen eine ihm obliegende vertretbare Handlung durchführt; unmittelbarer Zwang ist anzunehmen, wenn die Behörde durch ihr Handeln ein bestimmtes Verhalten des Pflichtigen erreichen will.
2. Das „gestreckte“ Vollstreckungsverfahren
699
Die Anwendung von Zwangsmitteln darf nur unter Beachtung strenger Verfahrensvorschriften erfolgen. Das sog. gestreckte Vollstreckungsverfahren erfolgt auf Basis eines vollstreckungsfähigen VAund ist durch drei Phasen gekennzeichnet:
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Androhung, |
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Festsetzung und |
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Anwendung des Zwangsmittels. |
a) Vollstreckungsfähiger Verwaltungsakt als Ausgangspunkt
700
Die allgemeinen Voraussetzungen für das gestreckte Vollstreckungsverfahren sind in § 6 Abs. 1 VwVG geregelt. Auch hier kommt eine Vollstreckung nur bei einem VA mit befehlendem Regelungsgehaltin Betracht (s.o. Rn 679). Darüber hinaus muss der Grundverwaltungsakt unanfechtbarsein, oder es muss die aufschiebende Wirkungeines Rechtsbehelfs kraft Gesetzes oder infolge der Anordnung des sofortigen Vollzugs entfallen. Die Unanfechtbarkeit richtet sich nach den allgemeinen Grundätzen zum Eintritt der formellen Bestandskraft[40], das Entfallen der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 2 VwGO[41].
701
Für die Vollstreckung nach § 6 Abs. 1 VwVG ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass der VA wirksamist. Auch rechtswidrige, aber rechtswirksame VAe bilden daher eine tragfähige Vollstreckungsgrundlage. Diese Erkenntnis ist darauf zurückzuführen, dass im gestreckten Vollstreckungsverfahren gegen den Grundverwaltungsakt gesonderte Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen[42]. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn das Gebot effektiven Rechtsschutzes auch eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit erfordert[43]. Für Prüfungsarbeitenhat dies zur Folge, dass neben der Bekanntgabe nach § 41 (s.o. Rn 435 ff) inzident die etwaige Unwirksamkeit nach § 44 (s.o. Rn 546 ff) zu prüfen ist.
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