Beispiel:
Nach § 18 Abs. 1 WHG ist die Erlaubnis für eine Gewässernutzung widerruflich[91].
637
Für den im VA vorbehaltenen Widerruf ist entscheidend, ob die Beifügung des Widerrufsvorbehaltsrechtmäßig ist. Das ist insbes. dann nicht der Fall, wenn ein Gesetz die Widerrufsgründe abschließend aufführt oder wenn ein Rechtsanspruch auf den VA ohne Widerrufsvorbehalt bestand[92]. Im Übrigen ist ein Widerrufsvorbehalt als Nebenbestimmungzu einem VA nur unter den in § 36 normierten Anforderungen zulässig (s.o. Rn 429). Insbes. darf ein Widerrufsvorbehalt nicht gleichsam „automatisch“ einem VA hinzugefügt werden, da dies den Vertrauensschutz aushöhlen würde[93]. Enthält der Widerrufsvorbehalt besondere Gründe, so müssen diese erfüllt sein. Wenn solche Gründe im Einzelfall fehlen, müssen besondere Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen, die den Widerruf erfordern. In der Begründung des Widerrufsbescheids muss die Behörde diese Gründe darlegen.
638
§ 49 Abs. 2 Nr 2erlaubt den Widerruf, wenn mit dem VA eine Auflage verbundenist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Mit „Auflage“ ist die Nebenbestimmung iSd § 36 Abs. 2 Nr 4 gemeint (s.o. Rn 422). Inhaltliche Beschränkungen des VA fallen nicht unter Nr 2. Ein Verschulden für die Nichterfüllung der Auflage fordert das Gesetz nicht[94]. Bedeutsam ist allein das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des mit der Auflage verbundenen Zwecks. Für die Ausübung des Widerrufs verlangt das Gesetz nicht, dass zur Erfüllung der Auflage eine erneute Frist gesetzt und der Widerruf angedroht wird. Die Frist ergibt sich normalerweise aus dem VA oder der Auflage selbst. Anderenfalls muss eine Frist gesetzt werden[95]. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann zudem erfordern, dass vor dem Widerruf die Vollstreckung der Auflage versucht werden muss. Das Übermaßverbot steht einem Widerruf ferner entgegen, wenn eine unwesentliche Auflage unerfüllt geblieben ist.
639
Nach § 49 Abs. 2 Nr 3ist der Widerruf zulässig, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt war, den VA nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Die nachträglich eingetretenen Tatsachenmüssen Veränderungen in den sachlichen Voraussetzungen des VA ergeben; ein nachträgliches Bekanntwerden unverändert gebliebener Umstände genügt für den Widerruf nicht. Entscheidend ist, dass die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen, wären sie bei Erlass des VA bekannt gewesen, die Behörde berechtigt hätten, den VA nicht zu erlassen. Dabei müssen die neuen Tatsachen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überwinden: In technischen Fragen genügt daher nicht der Hinweis auf eine Einzelmeinung, die sich bislang noch nicht durchgesetzt hat[96]. „Berechtigt“ ist eine weite Formulierung; sie erfasst auch Tatsachen, die für Zweckmäßigkeitserwägungen bedeutsam gewesen wären. Ein Widerruf nach Nr 3 (und nach Nr 4) entfällt freilich, wenn die Bindungswirkung des VA darauf abzielt, vor nachträglichen Änderungen der Sach- und Rechtslage zu schützen.
Beispiel:
Die Baugenehmigung erlaubt, ein ihr entsprechendes Haus zu nutzen; eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage führt nicht dazu, dass dieses Nutzungsrecht entfällt.
640
Eine Gefährdung des öffentlichen Interessesliegt vor, wenn der Bestand des VA das öffentliche Interesse konkret gefährdet[97]. Die Gefährdung öffentlicher Interessen und die Änderung der Tatsachen müssen in einem Zusammenhang stehen. Die Behörde darf nur das öffentliche Interesse berücksichtigen, dessen Wahrung zu ihrem Aufgabenbereich gehört. Diese Begrenzung ergibt sich daraus, dass die Befugnis der Behörde bei einem Widerruf nicht weitergehen kann als beim Erlass eines VA. Nicht entscheidend ist, ob der Begünstigte von dem VA schon Gebrauch gemacht hat. Hat er von dem VA schon Gebrauch gemacht, ist dieser Umstand bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.
641
Nach § 49 Abs. 2 Nr 4ist der Widerruf erlaubt, wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den VA nicht zu erlassen, sobald der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des VA noch keine Leistungen empfangen hat und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Nr 4 erfasst die nachträgliche Änderung der Rechtslageim Gegensatz zu Nr 3, die die nachträgliche Änderung der Sachlage (Tatsachenlage) zum Gegenstand hat. Um keine Änderung der Rechtslage handelt es sich, wenn sich lediglich die Rechtsprechung ändert[98]. Anders als bei Nr 3 muss hinzukommen, dass der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des VA noch keine Leistungen empfangen hat. Schließlich muss – ebenso wie bei Nr 3 – ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet sein (s.o. Rn 640).
642
Nach § 49 Abs. 2 Nr 5ist schließlich ein Widerruf des VA erlaubt, um schwere Nachteile für das Gemeinwohlzu verhüten oder zu beseitigen. „Schwere Nachteile für das Gemeinwohl“ liegen vor, wenn besondere, erhebliche, überragende Interessen der Allgemeinheit den Widerruf des VA gebieten. Als Auffangtatbestand ist Nr 5 eng auszulegen[99]. Eine bloße Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses ist daher nicht ausreichend.
4. Widerrufsgründe nach § 49 Abs. 3 VwVfG
643
Die Vorschrift des § 49 Abs. 3 enthält besondere Widerrufsgründe für begünstigende VAe, die eine Geldleistung oder eine teilbare Sachleistung zum Gegenstand haben. Mit dieser Ersetzung des vormaligen § 44a BHO (s.o. Rn 635) sollten die Widerrufsmöglichkeitennach Abs. 2 erweitertwerden. Daraus folgt einerseits, dass auch bei den von Abs. 3 erfassten VAen ein Rückgriff auf die Widerrufsgründe des Abs. 2 nicht schlechthin ausgeschlossen werden soll; andererseits wäre ein solcher Rückgriff praktisch wenig bedeutsam, da nach Abs. 2 lediglich mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann[100].
644
§ 49 Abs. 3 S. 1 erlaubt es der zuständigen Behörde, einen rechtmäßigen VA, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistungzur Erfüllung eines bestimmten Zweckes gewährt[101] oder hierfür Voraussetzung ist, zu widerrufen. Die Norm hat ersichtlich die Subventionzum Gegenstand und dient der Korrektur fehlgeschlagener Subventionsverhältnisse. Die Widerrufsmöglichkeit gilt mit Wirkung für die Vergangenheit(darin liegt ein Unterschied zu Abs. 2); die Unanfechtbarkeit des VA ist bedeutungslos. Voraussetzung für den rechtmäßigen Widerruf ist das Vorliegen eines der beiden Fälle:
• |
entweder: wenn die Leistung nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem VA bestimmten Zweck verwendetwird (Nr. 1)[102]; |
• |
oder: wenn mit dem VA eine Auflageverbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (Nr. 2). |
5. Ausübung des Widerrufs
645
Liegt ein Widerrufsgrund nach Abs. 2 oder Abs. 3 vor, so steht der Widerruf grundsätzlich im Ermessender zuständigen Behörde („kann“). Das Ermessen kann jedoch in zweierlei Hinsicht eingeschränktsein: Zum einen kann bei Vorliegen eines Widerrufsgrundes der Widerruf als Regelfolge angezeigt sein. Dies ist etwa bei einer Zweckverfehlung bei einem geldwerten VA nach Abs. 3 Nr 1 der Fall: Hier folgt aus den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit, dass der Widerruf im Regelfall erfolgen muss[103]. Umgekehrt kann in bestimmten Konstellationen der Widerruf die ultima ratio bilden: Dies ist etwa bei einem Planfeststellungsbeschluss der Fall, wenn als weniger intensive Maßnahmen nachträgliche Schutzauflagen in Betracht kommen[104]. Wie sich aus § 49 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1 ergibt, kommt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch ein teilweiser Widerruf in Betracht. Schließlich kann der Widerruf nur innerhalb eines Jahresausgeübt werden. §§ 49 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 2 verweisen hier jeweils auf § 48 Abs. 4 (s.o. Rn 626 ff). § 49 Abs. 5 trifft eine Regelung zur zuständigen Behörde, welche § 48 Abs. 5 entspricht (s.o. Rn 629).
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