2. Der Geld- oder Sachleistungen betreffende Verwaltungsakt
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§ 48 Abs. 2 betrifft den rechtswidrigen VA, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist. Für die Geldleistungenist zB an Subventionen (vgl. Fall 19)[37] und an die zahlreichen Fälle der Sozialleistungen im weitesten Sinne zu denken[38]. Erfasst werden alle Geldleistungen dem Grunde und/oder der Höhe nach. Das Tatbestandsmerkmal „Voraussetzung für eine Geldleistung“ erfasst zB den Feststellungsbescheid oder einen anderen Bescheid, der die Grundlage für eine Geldleistung schafft. Der VA muss aber die Geldleistung bzw seine Feststellung als unmittelbaren Regelungsgehalt enthalten; betrifft der Regelungsgehalt nur mittelbar eine Geldleistung oder die Voraussetzung für eine Geldleistung, so richtet sich die Rücknehmbarkeit des VA nach § 48 Abs. 3.
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Sachleistungenbetreffen Sachen als körperliche Gegenstände iSv § 90 BGB. Dienstleistungen erfasst § 48 Abs. 2 nicht. Teilbarkeit der Sachen ist in tatsächlicher oder zeitlicher Hinsicht vorstellbar, zB die Überlassung von Wohnraum. Eine unteilbare Sachleistung erfasst § 48 Abs. 2 nicht; sie kann nach § 48 Abs. 3 zurückgenommen werden.
b) Vertrauensschutz
aa) Elemente des Vertrauensschutzes
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Nach § 48 Abs. 2 S. 1 dürfen die gerade dargelegten VAe nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des VA vertrauthat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdigist. Mit anderen Worten: Subjektiv muss der Betroffene auf den Bestand des VA vertraut und dieses Vertrauen auch betätigt, also „ins Werk gesetzt“ haben[39], objektiv muss das Vertrauen schutzwürdig sein[40]. Im Falle einer Universalsukzession scheidet eine Berufung auf den Vertrauensschutz konsequenterweise aus[41]. Ist das Vertrauen danach schutzwürdig, so steht es einer Aufhebung entgegen („darf nicht zurückgenommen werden“). Der Vertrauensschutz gestaltet sich insoweit zum Bestandsschutzaus[42]. Allerdings kann sich der Vertrauensschutz auf einen Teil des VA beschränken („soweit“). Ist das Vertrauen hingegen nicht schutzwürdig, entfällt die Sperrwirkung, und die Rücknahmeentscheidung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Frist des § 48 Abs. 4[43].
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In § 48 Abs. 2 S. 2 und 3 werden sodann Konstellationen benannt, in denen das Vertrauen nach Einschätzung des Gesetzgebers schutzwürdig (S. 2) oder nicht schutzwürdig (S. 3) ist. Die dort genannten Regelbeispielesind jedoch nicht abschließend. Allerdings müssen ungenannte Konstellationen eine mit den genannten Konstellationen vergleichbare Schutzwürdigkeit aufweisen[44]. In Prüfungsarbeitenempfiehlt es sich, zunächst auf die Ausschlussgründe nach § 48 Abs. 2 S. 3 einzugehen[45].
bb) Regelbeispiele für nicht schutzwürdiges Vertrauen
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§ 48 Abs. 2 S. 3 enthält Beispiele, wann Vertrauen nicht schutzwürdig ist. Die in S. 3 genannten Ausschlusstatbestände sind nicht abschließend. Zwar fehlt es im Unterschied zu Abs. 2 S. 2 am Zusatz „in der Regel“. Maßgebende Kriterien sind jedoch auch hier die Betätigung des Vertrauens und dessen Schutzwürdigkeit nach Abs. 2 S. 1[46]. Der Vertrauensschutz entfällt bspw. dann, wenn ein Begünstigter einen VA mit dem Ziel anficht, eine größere Begünstigung zu erhalten[47]. Nach § 48 Abs. 2 S. 4 ist der VA in den Fällen des S. 3 in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Eine Ausnahme von dieser Regel darf für Nr 3 angenommen werden; in diesen Fällen kann auf den Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des VA abgestellt werden.
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Nach Nr 1entfällt Vertrauensschutz für den Begünstigten, wenn er den VA durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkthat. Die Norm ist verfassungsrechtlich unbedenklich[48]. „Erwirken“ fordert ein zweck- und zielgerichtetes Handeln, das auf den Erlass eines VA gerichtet ist[49]. Hinreichend ist, dass der Begünstigte durch Anstiftung oder Beihilfe den Erlass des VA erwirkt hat. Arglist liegt bereits dann vor, wenn sich der Betreffende der Unrichtigkeit bewusst ist oder sie zumindest für möglich hält, jedoch billigend in Kauf nimmt[50]. Das Merkmale des Erwirkens beinhaltet eine Kausalität: Die Täuschung muss kausalnicht für den Erlass des VA, sondern für seine Fehlerhaftigkeitgewesen sein[51]. Wenn sich eine durch Nr 1 erfasste Handlung zwar auf die Willensbildung der Behörde, nicht aber auf die Rechtmäßigkeit des VA ausgewirkt hat, ist Nr 1 daher unanwendbar.
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Nach Nr 2entfällt ein Vertrauenstatbestand ferner, wenn der Begünstigte den VA durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständigwaren. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an[52]. Die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben müssen für den Erlass des VA kausal sein[53]. Geringfügige Unstimmigkeiten sind bedeutungslos. Zur Kausalität muss daher hinzutreten, dass die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben für den Erlass des VA von wesentlicher Bedeutung sind. Davon ist auszugehen, wenn die Behörde bei Kenntnis der vollständigen Angaben den VA nicht erlassen hätte. Im Hinblick auf das Erwirken gilt das zu Nr 1 Gesagte.
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Ein Vertrauenstatbestand entfällt nach Nr 3schließlich dann, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des VA kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Es kommt auf den Zeitpunkt des Erlasses des VA an; bei VAen mit Dauerwirkung kann auch ein späterer Zeitpunkt in Betracht kommen. Grobe Fahrlässigkeit ist wie in § 277 BGB zu interpretieren: Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt muss in besonders schwerem Maße verletzt werden[54]. Die Rechtswidrigkeit des VA muss sich auf Grund einer Parallelwertung in der Laiensphäre ergeben. Davon ist zB auszugehen, wenn ein deutlich überhöhter Geldbetrag gewährt wird. Ob grobe Fahrlässigkeit anzunehmen ist, ist nach den Fähigkeiten des Betroffenen zu beurteilen: Ein promovierter Diplom-Volkswirt handelt deshalb eher grob fahrlässig als ein „Normalbürger“[55]; bei einem Volljuristen grobe Fahrlässigkeit zu verneinen, ist wohl nur schwer möglich. Die Behörde ist beweispflichtig für das Vorliegen der Voraussetzungen der Nr 3[56].
cc) Regelbeispiele für schutzwürdiges Vertrauen
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Ein Vertrauenstatbestand ist nach § 48 Abs. 2 S. 2 in der Regel vorhanden, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Vom Leistungsverbrauchist in der Regel bei geringfügigen Leistungen grundsätzlich auszugehen[57]. Eine von S. 2 erfasste Vermögensdisposition liegt bspw. beim Abschluss eines Exportvertrags im Hinblick auf Subventionen oder bei der Übernahme von Abzahlungsverpflichtungen vor[58]. Ein Leistungsverbrauch fehlt, wenn eine Geldleistung zur Schuldentilgung oder zur Zahlung von Anschaffungen verwendet wird, die wertmäßig im Vermögen des Begünstigten noch vorhanden sind[59]. Leistungsverbrauch und Vermögensdisposition müssen in ursächlichem Zusammenhangmit dem Vertrauen in den Bestand des VA stehen. Vermögensdisposition i.S.d. Gesetzes ist jedes Verhalten, welches Auswirkungen auf den Vermögensstand hat; dazu zählen auch Unterlassungen. Es ist im Einzelfall möglich, dass auch im Falle des Verbrauchs von Leistungen das Vertrauen entfällt; das öffentliche Interesse an der Rücknahme eines VA kann im Einzelfall das private Interesse am Bestand des VA überwiegen.
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