2. Anwendungsbereich des § 46 VwVfG
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Nach der lange gültigen Fassung des § 46 konnte die Aufhebung nicht begehrt werden, „wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können“. Daraus wurde abgeleitet, dass sich der Anwendungsbereich des § 46 auf gebundene Entscheidungenbeschränkt (zum Begriff s.o. Rn 395). Mit der Neufassung des Jahres 1996 wollte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Norm auf Ermessensentscheidungen ausdehnen, wenn die Behörde ohne den Fehler keine andere Entscheidung getroffen hätte[74]. Gleichwohl wird zu Recht nach wie vor angenommen, dass bei Entscheidungen mit einem Beurteilungs-, Ermessens- oder Abwägungsspielraumeine Unbeachtlichkeit zumindest grundsätzlich nicht in Betracht kommt[75]. Hier ist es im Grunde kaum jemals „offensichtlich“, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, weil Verfahrensrechte gerade dazu da sind, die Entscheidung zu beeinflussen[76]. Etwas anderes – also eine Anwendbarkeit des § 46 – ist lediglich bei einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen. Denn diese steht im Ergebnis einer gebundenen Entscheidung gleich (zum Begriff s.o. Rn 218).
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Nicht zur Anwendung kommt § 46 zudem bei absoluten Verfahrensfehlern[77]. Die Absolutheit dieser zugrundeliegenden Rechte äußert sich darin, dass eine Klage bei einer Verletzung dieser Rechte selbst dann erfolgreich ist, wenn bei Einhaltung der Bestimmung das materielle Entscheidungsergebnis unverändert bliebe[78]. Von einem absoluten Verfahrensfehler sollte daher lediglich dann gesprochen werden, wenn nach der expliziten Wertung des Gesetzgebers oder Anerkennung durch die Gerichte keine Auswirkungen eines Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung zu prüfen sind. Dies ist etwa bei den in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten, besonders schwerwiegenden Verfahrensverstößen der Fall[79].
3. Voraussetzungen des § 46 VwVfG
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§ 46 nennt drei Fehlerquellen:
• |
das Verfahren, |
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die Form oder |
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die örtliche Zuständigkeit. |
Verstöße gegen die sachliche oder instanzielle Zuständigkeit einer Behörde sind nicht erfasst und deshalb beachtlich; sie können aber möglicherweise nach § 45 geheilt werden (s.o. Rn 568). Auch materiell-rechtliche Fehler erfasst § 46 nicht[80]. Aber auch die erfassten Verstöße dürfen nicht zur Nichtigkeit geführt haben, wie sich aus dem Wortlaut des § 46 ergibt.
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Zudem muss offensichtlichsein, dass der Fehler die Sachentscheidung nicht beeinflussthat. Nach der Rechtsprechung besteht die Offensichtlichkeit dann nicht, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den angenommenen Verfahrensmangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre[81]. § 46 greift allerdings nur bei Alternativlosigkeit der Sachentscheidung ein[82]. Dies ist bei gebundenen Entscheidungen dann der Fall, wenn die materiellen Voraussetzungen vorliegen[83]. Bei Entscheidungen mit einem Beurteilungs-, Ermessens- oder Abwägungsspielraum scheidet eine Unbeachtlichkeit nach § 46 hingegen regelmäßig aus; denn dann besteht in der Regel eine Entscheidungsalternative, oder ihr Fehlen ist zumindest nicht offensichtlich. Etwas anderes gilt lediglich für den besonderen Fall einer Ermessensreduzierung auf Null (s.o. Rn 583). Auch bei der Mitwirkung eines nicht mitwirkungsberechtigten Mitglieds an einer Gremiensitzung besteht die Möglichkeit einer Beeinflussung der anderen Gremienmitglieder und damit einer abweichenden Entscheidung[84].
4. Rechtsfolgen der Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG
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Die Rechtsfolgen werden in § 46 unmittelbar benannt. Danach kann bei einer Unbeachtlichkeit „die Aufhebung nicht beansprucht werden“. Eine alleine auf den nach § 46 unbeachtlichen Verstoß gestützte Klageist daher unbegründet[85].
VI. Die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts
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Nach Maßgabe des § 47 kann ein fehlerhafter VA in einen anderen umgedeutet werden. Diesen Fall nennt man auch Konversion. Das Gesetz stellt dabei auf die erlassende Behördeab. Gleichwohl wird in der Rechtsprechung auch eine Umdeutung durch die Gerichte als zulässig erachtet[86]. § 47 spielt in der Praxis kaum eine Rolle. Auch in der verwaltungsrechtlichen Literatur hat er keine Bedeutung erlangt[87]. In der Rechtsprechung anerkannt wurde etwa die Umdeutung eines Zinsanspruchs nach § 49a Abs. 4 in einen solchen nach § 49a Abs. 3[88].
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Die Voraussetzungen für eine Umdeutung sind in § 47 Abs. 1 geregelt. Danach kann ein fehlerhafter VA in einen anderen VA umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
§ 47 Abs. 2 schließt die Umdeutung in drei Fällen aus:
• |
der umgedeutete VA widerspricht der erkennbaren Absicht der Behörde; |
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die Rechtsfolgen des umgedeuteten VA sind für den Betroffenen ungünstiger als die des fehlerhaften VA; |
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der fehlerhafte VA hätte nicht zurückgenommen werden dürfen. |
Nach § 47 Abs. 3 ist die Konversion ausgeschlossen, wenn eine gebundene Entscheidung in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden soll. Vor der Umdeutung ist dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn der neue VA in seine Rechte eingreift, § 47 Abs. 4 iVm § 28.
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Die Wirkung der Umdeutung besteht darin, dass der fehlerhafte VA durch Behörde oder Gericht in einen anderen, der gleichen Zielsetzung entsprechenden VA umgewandelt wird. Bei Vorliegen der Voraussetzungen gilt der ursprünglich fehlerhafte VA als mit der rechtmäßigen umgedeuteten Regelung erlassen[89]. Die Umdeutung tritt also kraft Gesetzesein. Die Umdeutungshandlung ist damit selbst nicht VA, wenn auch mit § 28 eine der wichtigsten Verfahrensbestimmungen vor Erlass eines VA sinngemäß Anwendung findet (§ 47 Abs. 4)[90].
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Bild 5: Der fehlerhafte Verwaltungsakt und die Beseitigung des Fehlers
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Lösung zu Fall 18 ( Rn 541):
Die Erteilung der Erlaubnis zum Betreiben der Diskothek enthält einen Formfehler, da sie nach § 3 Abs. 1 GastG, in Form einer „Urkunde“, das heißt schriftlich zu ergehen hat. Daher ist die „Erlaubnis“ insoweit rechtswidrig. Ferner ist die „Sicherstellung“ der Lärmvermeidung, sachlich eine Auflage nach § 5 Abs. 1 Nr 3 GastG, rechtswidrig, da die Einhaltung der Verkehrsvorschriften und entsprechende Vollzugsmaßnahmen (Verbote, Abschleppen der PKW) Sache der zuständigen Behörde ist. Von A wird etwas rechtlich Unmögliches verlangt.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die „Erlaubnis“ auch nichtig ist. Im Hinblick auf den Formfehler käme eine Nichtigkeit nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 (Unterlassen der Aushändigung einer Urkunde). Zwar ist in § 3 Abs. 1 S. 2 GastG von einer „Erlaubnisurkunde“ die Rede. Von § 44 Abs. 2 Nr. 2 erfasst werden jedoch nur solche Urkunden, deren Aushändigung für den VA konstitutiv ist. Nicht erfasst werden Urkunden, die lediglich zu Beweis- oder Legitimationsgründen dienen, und damit auch die Erlaubnisurkunde nach § 3 Abs. 1 S. 2 GastG[91]. Für eine Nichtigkeit nach § 44 Abs. 1 sind keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich.
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