572
All dies steht einer allzu großzügigen Auslegung der Heilungsmöglichkeiten entgegen. Bereits nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 1 ist eine Heilung ausgeschlossen, wenn ein Verfahrensfehler zur Nichtigkeit führt (s.o. Rn 548 ff). Zudem gilt das Gebot der realen Fehlerheilung: Der Betroffene ist durch die Heilung so zu stellen, wie er bei einem korrekten Ausgangsverfahren gestanden hätte. Dies bedeutet für die praktisch besonders bedeutsame Heilung eines Anhörungsfehlers, dass die Behörde das Vorbringen erkennbar zum Anlass nehmen muss, ihre Entscheidung kritisch zu überdenken[55].
2. Heilungsmöglichkeiten im Einzelnen
573
Die Heilung nach § 45 kann wichtige Gruppen von Verfahrensfehlern kompensieren, doch erfasst sie auch nur diese. Die Aufzählung ist nach der Konzeption des Gesetzes abschließend(„unbeachtlich, wenn“) und kann daher zumindest grundsätzlich nicht auf weitere Verfahrensfehler erstreckt werden[56]. Nicht im Gesetz genannt ist zwar die Heilung der fehlerhaften Nichtbeteiligung von Umweltvereinigungen (s.o. Rn 508). Hier ist nach der Rechtsprechung allerdings grundsätzlich eine Heilung analog § 45 Abs. 1 Nr 3 möglich[57]. Jenseits der Regelung liegt eine Heilung durch ein sog. „ergänzendes Verfahren“. Dieses Instrument wurde im Planungsrecht entwickelt und dient ebenfalls der nachträglichen Behebung von Verfahrensfehlern. Es kann daher als Heilung i.w.S.bezeichnet werden[58].
574
Grundsätzlich heilbar ist zunächst gemäß § 45 Abs. 1 Nr 1das Fehlen eines Antragsbei einem antragsbedingten VA. Das Nachholen des Antrags ist möglich bis zum Abschluss der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz. Er kann ausdrücklich oder konkludent gestellt werden. Der Antrag kann deshalb konkludent in der Klageschrift gegen den erlassenen VA gesehen werden[59]. Nr 1 verdrängt Antragsfristen, zB zur Erlangung von Subventionen, die Ausschlussfristen sind, nicht. Die Versäumung einer solchen Frist ist nach Nr 1 nicht heilbar.
575
Auch die erforderliche Begründung eines VAkann gemäß § 45 Abs. 1 Nr 2nachgeholt werden. Heilung tritt nur ein, wenn die nachträglich gegebene Begründung den Voraussetzungen des § 39 entspricht. Kein unmittelbarer Anwendungsfall der Nr 2 liegt vor, wenn eine Begründung, die den verfahrensrechtlichen Anforderungen des § 39 genügt, die zutreffenden Rechtsgründe verfehlt, die die getroffene Entscheidung sachlich rechtfertigen (sog. „Nachschieben von Gründen“)[60].
576
Weiterhin kann die nach § 28 gebotene Anhörung eines Beteiligtengemäß § 45 Abs. 1 Nr 3nachgeholt werden[61]. Das Nachholen führt freilich nur dann zur Heilung des VA, wenn die Funktion der Anhörung noch erreichbar ist. Wird die Anhörung erst im gerichtlichen Verfahren nachgeholt, so kann der Zweck der Anhörung grds. nicht mehr erfüllt werden[62]. In der Einlegung des Widerspruchs liegt die Nachholung der Anhörung jedoch nicht; läge in dem Gebrauchmachen von diesem Rechtsbehelf bereits die Heilung, liefe § 45 Abs. 1 Nr 3 leer. Ebenso wenig liegt in der Widerspruchsbegründung eine Fehlerheilung[63].
577
Auch die fehlende Mitwirkung eines Ausschusseskann gemäß § 45 Abs. 1 Nr 4nachgeholt werden; dieses gilt auch für solche Beschlüsse von Ausschüssen, die rechtswidrig sind[64]. Eine Heilung entfällt, wenn nach einer spezialgesetzlichen Regelung der Zweck der Mitwirkung nur durch vorherige Mitwirkung zu erreichen ist.
Beispiel:
Nach § 69 Abs. 1 BPersVG (Sa. I Nr 240) kann eine Maßnahme, die der Mitbestimmung des Personalrates unterliegt, nur mit seiner Zustimmung getroffen werden; aus der Gesamtregelung des § 69 BPersVG, insbes. seinem Abs. 5, ergibt sich, dass die Zustimmung vor Erlass der Maßnahme erteilt sein muss.
578
Das zur fehlenden Mitwirkung eines Ausschusses Gesagte gilt schließlich entsprechend für die Heilung der mangelnden Mitwirkung einer anderen Behörde. § 45 Abs. 1 Nr 5 erfasst die Mitwirkung im Rahmen des Erlasses eines mehrstufigen VA. Die Heilung entfällt, wenn nach einer spezialgesetzlichen Regelung der Zweck der Mitwirkung nur durch vorherige Mitwirkung erreicht werden kann;
Beispiel:
Nach § 36 BauGB benötigt die Baugenehmigungsbehörde für den Erlass bestimmter Baugenehmigungen das Einvernehmen der Gemeinde; Einvernehmen bedeutet Willensübereinstimmung; aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass die Willensübereinstimmung vor Erlass der Baugenehmigung hergestellt sein muss; eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr 5 entfällt deshalb, wenn das gemeindliche Einvernehmen nicht erteilt worden ist[65].
579
§ 45 Abs. 2 enthält eine zeitliche Schranke der Heilungsmöglichkeit. Handlungen nach Abs. 1 können in der seit dem Jahr 2003 gültigen Fassung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrensnachgeholt werden[66]. Allerdings ist auch das Gebot der realen Fehlerheilung zu beachten, insbes. bei der praktisch besonders bedeutsamen Nachholung einer Anhörung. Denn während das Verwaltungsverfahren typischerweise ergebnisoffen ist (oder zumindest sein sollte), ist das gerichtliche Verfahren aus Sicht der Behörde oftmals nur auf die Verteidigung der bereits getroffenen Entscheidung beschränkt. Daraus folgt, dass eine reale Fehlerheilung regelmäßig nur im Verwaltungsverfahren möglich ist[67]. Demgegenüber kann eine Heilung im weiteren Sinne durch ein ergänzendes Verfahren (s.o. Rn 573) oftmals erst während eines gerichtlichen Verfahrens erfolgen, da es eine spezifische Reaktion auf die gerichtliche Feststellung eines Fehlers bildet[68].
4. Rechtsfolgen der Heilung
580
Wird die Verfahrenshandlung, insbes. die Anhörung, nach dem zuvor Gesagten ordnungsgemäß nachgeholt, so tritt die Heilung mit ex-nunc-Wirkungein[69]. Tritt die Heilung ein, so bleibt ein wegen des Verfahrensfehlers eingelegter Rechtsbehelf erfolglos[70]: Die Behördenentscheidung darf wegen dieses Verfahrensfehlers nicht aufgehoben werden. Er kann aber aus anderen, insbes. inhaltlichen Gründen erfolgreich sein. Hinzuweisen ist zudem auf die besondere Bestimmung des § 45 Abs. 3, die inhaltlich in den Zusammenhang der Widerspruchsfrist – § 70 VwGO – und Vorschriften zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gehört. Nach ihr gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet, wenn beim Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehlt oder die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass unterblieben ist und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt wurde[71].
V. Die Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern
1. Zweck und Reichweite des § 46 VwVfG
581
Nach § 46 kann die Aufhebung eines VA, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Bestimmung des § 46 liegt daher – ebenso wie bei § 45 (s.o. Rn 571) die Vorstellung von der rein dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrenszugrunde.
582
Auch hier ist jedoch auf den Gegentrend einer Aufwertung des Verfahrensgedankenshinzuweisen, der insbes. durch das Unionsrecht gestärkt wird. Auch hier besteht – ebenso wie auch bei § 45 VwVfG – ein Spannungsverhältnis zwischen der möglichen Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG und dem Gebot einer effektiven Wahrnehmung der durch Unionsrecht begründeten Verfahrensrechte. Die Grenzen der Unbeachtlichkeit von Verfahrensverstößen in unionsrechtlich relevanten Verfahren (also solche nach den Richtlinien zur Umweltverträglichkeit über Industrie-Emissionen) hat der Europäische Gerichtshofin seiner Grundsatzentscheidung vom 7.11.2013 aufgezeigt[72]: Danach können zwar auch Verfahrensfehler unbeachtlich sein. Dies muss jedoch die Ausnahme bleiben, und dem Kläger darf nicht die Beweislast für die Auswirkungen des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung aufgebürdet werden. Kriterien zur Bestimmung der Beachtlichkeit sind dabei die Schwere eines Fehlers sowie die Zielsetzungen der betreffenden Richtlinie[73]. Dies hat zu einer Neuregelung in § 4 Abs. 1a UmwRG geführt. Da sich die Judikatur des EuGH jedoch auf unionsrechtlich relevante Verfahren beschränkt, verbleibt es im Übrigen – zumindest vorläufig – bei der Regelung des § 46.
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