493
Für den Zeitpunkt der Anhörungfehlt eine gesetzliche Aussage. Als allgemeiner Grundsatz gilt jedoch, dass die Anhörung zu einem Zeitpunkt stattzufinden hat, in dem eine reale Chance auf Einflussnahme besteht[47]. Die Anhörung muss deshalb in der Regel im Vorbereitungsstadium der Entscheidung durchgeführt werden. Wenn sich im Laufe der Durchführung des Verwaltungsverfahrens eine weitere Anhörung als notwendig erweist, so muss diese durchgeführt werden. Eine solche Notwendigkeit liegt vor, wenn sich für die Rechtsstellung des Beteiligten erhebliche Veränderungen ergeben. Die Anhörung darf zudem erst dann vorgenommen werden, wenn dem Anzuhörenden bekannt ist, zu welchen Tatsachen er gehört werden soll; diese Tatsachen müssen ihm rechtzeitig mitgeteilt werden.
494
Über die Form der Anhörunggibt es keine allgemein geltenden Grundsätze. Es ist aber davon auszugehen, dass die dargestellten Funktionen der Anhörung die Behörde dazu zwingen, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen und dessen Argumenten zu verschaffen; in diesen Fällen reicht Schriftlichkeit nicht. Nach § 14 kann sich der Beteiligte in allen Phasen des Verfahrens eines Rechtsbeistands bedienen. Daneben bleibt der eigene Sachvortrag des Anzuhörenden möglich.
495
Notwendiger Inhalt und Reichweite der Anhörungrichten sich nach dem Einzelfall und nach den jeweils zur Anwendung gelangenden Rechtsnormen. § 28 Abs. 1 spricht von „erheblichen Tatsachen“. Bei verfassungskonformer Auslegung ist eine Tatsache „unerheblich“ iSv § 28, wenn auf Grund der Rechtslage nahezu ausgeschlossen ist, dass ein bestimmter Aspekt für das Verfahrensergebnis Bedeutung erlangt. Fehlt es an dieser Eindeutigkeit, muss die Behörde jede Ausführung zur Kenntnis nehmen. – Obwohl in § 28 Abs. 1 von einer Tatsachenanhörung die Rede ist, kann im Einzelfall ein Rechtsgespräch notwendig sein[48]. Das ist insbes. der Fall, wenn es um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, um die Zuordnung unterschiedlicher am Verfahren beteiligter Belange oder um die Erörterung milderer Mittel im Bereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips geht. Es kann dann dem Einzelnen nicht verboten sein, Rechts- und Tatsachenaspekte und deren Bedeutung füreinander vorzutragen.
496
Ausnahmen vom Anhörungsgebotergeben sich aus § 28 Abs. 2 und 3. Nicht zuletzt wegen der verfassungsrechtlichen Verankerung des Anhörungsrechts sind die Ausnahmetatbestände allerdings eng auszulegen[49]. Eine Ausnahme vom Anhörungsgebot muss insbes. bei grundrechtskonstituierenden oder -einschränkenden Verwaltungsverfahren entfallen. Nach § 28 Abs. 2 kann von einer Anhörung abgesehen werden, „wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist“. Die Nrn. 1-5 führen solche Umstände auf. Die Aufzählung ist nicht abschließend („insbesondere“). Es soll der Behörde vielmehr ermöglicht werden, auch in vergleichbaren Fällen von einer Anhörung abzusehen. Die Ausnahmetatbestände lassen sich in zwei Gruppentrennen: Die Nrn. 1, 2 und 5setzen beim Gesichtspunkt „Zeitablauf“ und „Gefahr im Verzug“[50] an, die Nrn. 3 und 4an fehlendem Interesse oder geringer Bedeutung der Anhörung. Ist ein Tatbestand erfüllt, so muss das noch nicht zum Ausschluss der Anhörung führen. Die Behörde hat zu prüfen, ob ein Ausnahmetatbestand vorliegt und ob nicht doch im Einzelfall eine Anhörung geboten ist.
ee) Die Beratung und Information Beteiligter
497
Beratungs- und Informationsansprüche Beteiligter gegen die Behörden ergeben sich insbes. aus dem Rechtsstaatsprinzip[51]. Der unberatene Bürger ist in besonderer Weise dem Informationsvorsprung der Verwaltung ausgesetzt. Er kann seine vom Grundgesetz intendierte Stellung im Verfahren nur wahrnehmen, wenn er hinreichend informiert wird. Die Pflicht ist zu erfüllen in einer Sprache, die dem Bürger verständlichist. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Verständlichkeit nicht überspannt werden. Denn es wäre angesichts der Komplexität der Sachverhalte, aber auch der notwendigen rechtsstaatlichen Klarheit eine Illusion, das Verwaltungsverfahren und die Begründung von Verwaltungsakten in einer stark reduzierten „leichten Sprache“ zu gestalten[52].
498
§ 23 Abs. 1 stellt fest, dass die Amtssprachedeutsch ist. Es ist aber zu bedenken, dass in der Bundesrepublik inzwischen mehr als 11 Millionen Menschen ausländischen Ursprungs leben. § 23 Abs. 2–4 enthält Vorschriften, die den nicht Deutsch sprechenden Menschen entgegenkommen. Die Pflicht zur Hinzuziehung eines Dolmetschers ist einzelfallbezogen zu beantworten. Sowohl unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes durch Verfahren als auch durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist die Hinzuziehung eines Dolmetschers bei nicht unerheblichen Verständigungsschwierigkeiten angezeigt[53].
499
Konkrete Beratungs- und Auskunftspflichtennormiert § 25 Abs. 1 und 2[54]. Solche Beratungs- und Auskunftspflichten können bereits im Vorfeld eines Verwaltungsverfahrens bestehen[55]. Die im Jahre 2013 angefügte frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 wird hingegen typischerweise nur in komplexen Planungsverfahren relevant[56].
Beispiel:
Die Behörde benachrichtigt die Betroffenen von der beabsichtigten Einleitung eines Verwaltungsverfahrens vom Amts wegen; die Behörde informiert einen Nachbarn darüber, dass ein seine rechtlichen Interessen berührender Bauantrag gestellt wurde.
500
Die Behörde kann nach § 25 Abs. 2 S. 1 die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Diese Beschleunigungsberatungist Ausdruck der allgemeinen Fürsorgepflicht der Verwaltung gegenüber den Beteiligten des Verwaltungsverfahrens. Nach § 25 Abs. 1 S. 2 erteilt die Behörde, soweit erforderlich, Auskunftüber die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten[57]. Diese Beratungspflicht ist nicht auf rein prozedurale Aspekte beschränkt[58]. Der Grundsatz der Chancengleichheit kann in einem Verfahren der Behörde gebieten, auch eine materiell-rechtliche Beratung vorzunehmen, insbes. zum Ausgleich bestehender Verständnisschwierigkeiten. Die materielle Rechtslage an sich ist nicht Gegenstand der Auskunftspflicht. Wenn freilich die Auskunftspflicht die Mitteilung eines möglichen Verfahrensergebnisses ausschließt, kann die Beratungspflicht gerade darin bestehen, den Betroffenen von nach der materiellen Rechtslage hoffnungslosen Anträgen abzuhalten.
ff) Das Recht auf Akteneinsicht
501
Nach § 29 Abs. 1 S. 1 hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gewähren, soweit deren Kenntnis für die Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Das Recht auf Akteneinsicht weist ebenfalls ein verfassungsrechtliches Fundamentauf[59]. Wie der Formulierung „hat“ zu entnehmen ist, besteht vorbehaltlich der Ausnahmen nach § 29 Abs. 2 eine Pflicht zur Gewährung der Akteneinsicht; die Behörde hat also kein Ermessen. Das Recht auf Akteneinsicht besteht allerdings nur für Verfahrensbeteiligtei.S.d. § 13 (s.o. Rn 487 ff). Freilich ist herauszustellen: Wenn ein tatsächlich Betroffener, der bisher noch nicht von der Behörde beteiligt worden ist, nur auf Grund der Aktenlage feststellen kann, ob eine Beteiligung in Betracht kommt, so wird man ihm ein Recht auf Akteneinsicht einräumen müssen.
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