aa) Beteiligten- und Handlungsfähigkeit
486
Voraussetzung für eine jede Beteiligung im Verwaltungsverfahren sind die Beteiligten- und die Handlungsfähigkeit[28]. Die Beteiligtenfähigkeitals Fähigkeit, in einem Verwaltungsverfahren beteiligt zu sein, ist in § 11 geregelt und bildet die Parallele zur bereits aus dem Privatrecht bekannten Rechtsfähigkeit. Zudem enthält § 11 Nr. 3 eine bereichsspezifische Regelung für das Verwaltungsverfahren und spricht auch Behörden die Beteiligtenfähigkeit zu. Demgegenüber umschreibt die in § 12 normierte Handlungsfähigkeitdie Fähigkeit, Verfahrenshandlungen vornehmen zu können. Sie knüpft grundsätzlich an die – ebenfalls bereits aus dem Privatrecht bekannte – Geschäftsfähigkeitan und sieht zudem in Abs. 1 Nr. 4 eine bereichsspezifische Ergänzung für Behörden vor: Danach handeln Behörden durch ihre Leiter, Vertreter oder Beauftragte.
bb) Kreis der zu Beteiligenden
487
Die Beteiligtenstellung Dritter nach § 13 und die damit verbundenen Verfahrensrechte knüpfen nach § 13 Abs. 2 S. 1 an die Betroffenheit in rechtlichen Interessenan. Die damit verbundene Betroffenheit im engeren Sinneist zu unterscheiden von der Betroffenheit im weiteren Sinne, bei welcher eine Betroffenheit in eigenen, auch anderen als rechtlichen Interessen ausreichend ist. Eine solche ist etwa – außerhalb des nicht-förmlichen Verfahrens – im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens anzutreffen (vgl. § 73 Abs. 4 S. 3). Schließlich finden im Zuge der zunehmenden Europäisierung des Verwaltungsverfahrens (s.o. Rn 49) zunehmend Vorschriften zur Beteiligung der „betroffenen Öffentlichkeit“ Verbreitung, etwa im Rahmen des Verfahrens zur Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 18 Abs. 1 S. 2 UVPG. Zu dieser betroffenen Öffentlichkeit zählen insbes. die anerkannten Umweltvereinigungen[29]. Zur Abgrenzung von der nicht betroffenen Öffentlichkeit muss eine Person oder Vereinigung zumindest entfernt von einem Vorhaben berührt sein; schlicht daran „interessiert“ zu sein, genügt auch insoweit nicht[30].
488
Bei der Beteiligung Dritter, die vom Gesetzgeber als „Hinzuziehung“ umschrieben wird, ist nach § 13 Abs. 2 weiter zu unterscheiden zwischen der notwendigen Hinzuziehung nach Abs. 2 S. 2 und der einfachen Hinzuziehung nach Abs. 2 S. 1. Eine notwendige Hinzuziehung nach § 13 Abs. 2 S. 2liegt nur dann vor, wenn der Ausgang des Verfahrens eine rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten aufweist. Eine solche rechtsgestaltende Wirkung liegt dann vor, wenn ein Recht des Dritten unmittelbar begründet, geändert oder aufgehoben wird[31]. Liegen diese Voraussetzungen vor, so muss die zuständige Behörde den Dritten auf dessen Antrag hinzuziehen; sie hat also kein Ermessen[32].
Beispiel:
Auf Anregung eines Konkurrenten soll eine erteilte Gewerbeerlaubnis aufgehoben werden, weil der Inhaber nicht mehr die nach der GewO erforderliche Zuverlässigkeit aufweist. Dringt dieser Antrag durch, so entfaltet die Entscheidung für den Inhaber der Erlaubnis rechtsgestaltende Wirkung. Denn die Genehmigung würde aufhoben. Der Inhaber der Erlaubnis ist daher notwendig hinzuzuziehen.
489
Die einfache Hinzuziehungist in § 13 Abs. 2 S. 1geregelt. Sie setzt die Berührung in rechtlichen Interessen voraus. Rechtliche Interessen sind solche, die dem Dritten durch eine Rechtsnorm im individuellen (eigenen) Interesse eingeräumt worden sind[33]. Liegen diese Voraussetzungen vor, so liegt die Hinzuziehung des Dritten nach dem Wortlaut im Ermessen der Behörde („kann“). Die einfache Hinzuziehung wird deshalb oftmals auch als fakultativeHinzuziehung bezeichnet. Allerdings kann sich nach allgemeinen Grundsätzen das Hinzuziehungsermessen auf Null reduzieren (zur Ermessenreduzierung auf Null s.o. Rn 218). Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn Grundrechte des Dritten in nicht unerheblicher Weise tangiert sind. In einer solchen Konstellation kann – in Abgrenzung zur notwendigen Beteiligung nach § 13 Abs. 2 S. 2 – von einer obligatorischenBeteiligung gesprochen werden[34].
Beispiel:
Im Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung kann der in seinem Eigentum betroffene Nachbar seine Betroffenheit im Verwaltungsverfahren geltend machen[35].
490
Die Diskussion zur Verfahrensstellung der Beteiligten konzentriert sich häufig auf deren Mitwirkungsrechte (dazu nachf. Rn 491 ff). Allerdings darf nicht vergessen werden, dass ihnen auch gewisse Mitwirkungslastenobliegen[36]. Zum Ausdruck kommt dies bereits in der Pflicht zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts nach § 26 Abs. 2. Besonders stark ausgeprägt sind die Mitwirkungslasten dann, wenn ein nicht fristgerechtes Vorbringen eines Beteiligten zum Ausschluss des Vorbringens führt. Ein solcher Ausschluss wird als Präklusionbezeichnet.
Zu unterscheiden sind die formelle und die materielle Präklusion: Bei der formellenPräklusion darf das Verfahren nach Ablauf der Frist fortgesetzt werden. Erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt ein inhaltlich für die Entscheidung relevanter Vortrag, so ist er gleichwohl zu berücksichtigen. Im Gegensatz dazu wird bei der materiellenPräklusion der Inhalt ausgeschlossen: Späterer Vortrag bleibt unberücksichtigt, sofern keine Ausnahme vorliegt. Dies gilt insbes. für nachfolgende gerichtliche Verfahren. Die materielle Präklusion ist häufig in den komplexen Verwaltungsverfahren des Umwelt- und Planungsrechts anzutreffen[37]. Hier hat der EuGH die unionsrechtlichen Grenzen einer zulässigen materiellen Präklusion aufgezeigt[38]. Die materielle Präklusion ist teilweise aber auch in den zum klassischen Examensstoff gehörenden Kernmaterien des Besonderen Verwaltungsrechts anzutreffen.
Beispiel:
Nach § 70 Abs. 1 S. 3 BauO Bln sind alle benachrichtigten Nachbarn mit ihren nicht fristgerecht vorgebrachten Einwendungen ausgeschlossen. Dabei handelt es sich um eine materielle Präklusion[39].
dd) Die Anhörung Beteiligter
491
Die bedeutsamste Rechtsfolge der Beteiligtenstellung ist das Recht auf Anhörung[40]. Es folgt zwar nicht bereits aus Art. 103 Abs. 1 GG, da dieses grundrechtsgleiche Recht auf die Anhörung „vor Gericht“ begrenzt ist; es ist jedoch anerkannt, dass das Anhörungsrecht im Verwaltungsverfahren im Rechtstaatsprinzipverankert ist[41]. § 28 Abs. 1 stellt fest, dass dann, wenn ein VA erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Beteiligten Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern[42]. Daraus könnte geschlossen werden, ein Anhörungsrecht existiere nur im Falle des Erlasses eines belastendenVA. Allerdings kann es auch beim begünstigendenVA geboten sein, den Adressaten vor der endgültigen Entscheidung anzuhören. Dieses ist insbes. deshalb der Fall, weil ein Zurückbleiben hinter dem Antrag für den Antragsteller eine Belastung darstellt; deshalb kann es für das Anhörungsrecht nicht darauf ankommen, ob der zu erlassende VA ein begünstigender oder belastender ist[43]. Nur wenn die Behörde dem Antrag in vollem Umfang entsprechen und dem begünstigenden VA auch keine einschränkende Nebenbestimmung hinzufügen möchte, kommt § 28 nicht zur Anwendung[44].
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Weder der Grundsatz des rechtlichen Gehörs noch § 28 gewähren mehr als die Gelegenheit zur Stellungnahme[45]. Die betroffene Person muss aber in die Lage versetzt werden, vor dem Erlass der Entscheidung sachdienlich Stellung zu nehmen[46]. Es besteht deshalb für die Behörde keine Verpflichtung, den Einzelnen mit allen erlaubten Mitteln dazu zu bringen, sich zu äußern. Denkbar ist freilich, dass eine Fürsorgepflicht der Behörde für den schweigenden Beteiligten besteht, die bis zur Bestellung eines verantwortlichen Vertreters von Amts wegen gehen kann (vgl. § 16).
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