468
Zudem muss die Ermächtigungsgrundlage ihrerseits mit höherrangigem Recht in Einklangstehen. Denn eine verfassungswidrige Ermächtigungsgrundlage vermag keinen Eingriff in Grundrechte zu rechtfertigen. Allerdings sollte auf die Vereinbarkeit einer Ermächtigungsgrundlage mit höherrangigem Recht nur dann eingegangen werden, wenn diese Frage im (Klausur-)Sachverhalt aufgeworfen wird oder ernsthafte Zweifel an der Verfassungskonformität bestehen[2].
469
Auch die Frage der VA-Befugnis ist mit dem Vorbehalt des Gesetzes verwoben. Sie bezieht sich auf die Frage, ob die zuständige Behörde nicht nur allgemein handeln, sondern gerade auch die Handlungsform des VA nutzen darf[3]. Denn es geht insoweit um eine Handlungsform, die in Bestandskraft erwachsen und unter gewissen Voraussetzungen auch vollstreckt werden kann (s.o. Rn 460und 461)[4]. Teilweise wird die öffentliche Verwaltung ausdrücklich ermächtigt, die Handlungsform des VA zu nutzen. Dies gilt etwa für die Erstattung der Leistung einer Behörde nach rückwirkender Aufhebung des zugrundeliegenden Leistungsbescheids (§ 49a Abs. 1 S. 2; s.u. Rn 922). Im Übrigen genügt es jedoch, wenn sich die VA-Befugnis durch (sonstige) Auslegung ermitteln lässt[5]. Unzulässig ist die Handlungsform des VA hingegen bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag: Denn die Behörde hat sich durch den Vertragsschluss auf die Ebene der Gleichordnung begeben. Hierzu stünde es in Widerspruch, wenn sie wieder einseitig zu hoheitlichen Maßnahmen zurückkehren dürfte (s.u. Rn 800)[6].
II. Die formelle Rechtmäßigkeit
1. Die Einhaltung von Zuständigkeitsvorschriften
470
Der VA muss von der sachlich, instanziell und örtlich zuständigen Behörde erlassen worden sein. Dass die Wahrnehmung einer Verwaltungsaufgabe durch die zuständige Behörde erfolgen muss, ist mehr als eine bloße Formvorschrift. Der Sinnbesteht darin, die Tätigkeit der handelnden Behörde mit der zahlreicher anderer Behörden zu koordinieren und Reibungsverluste zu vermeiden. Zugleich wird ihr mit der Zuständigkeitsübertragung auch die materielle Verantwortung für die betreffende Aufgabe zugewiesen. Ferner ist es für den Bürger wichtig, nur mit Entscheidungen konfrontiert zu werden, welche die zuständigen Behörden erlassen haben; er muss wissen, mit wem er es zu tun hat[7].
a) Die sachliche Zuständigkeit
471
Die sachlichenZuständigkeitsvorschriften bestimmen die einer Behörde zur Erledigung zugewiesenen Verwaltungsaufgaben. Sachliche Zuständigkeitsregeln finden sich in der Regel in Normen des Landesrechts.
Beispiele:
§§ 58 BbgBO regelt die Aufgaben, Befugnisse und sachlichen Zuständigkeiten der Bauaufsichtsbehörden; in Berlin ist die allgemeine Zuständigkeit festgelegt in dem „Gesetz über die Zuständigkeit in der allgemeinen Berliner Verwaltung (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz – AZG)“, dieses Gesetz wird ergänzt durch die Anlage zum Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz (ZustKat).
472
Wird einer Behörde die sachliche Zuständigkeit zugewiesen, so wird ihr die Erledigung der ihr zugewiesenen Aufgabe übertragen. Die Erledigung der Aufgabe kann ihr zur Pflicht gemacht werden oder ihr kann Ermessen eingeräumt werden. Die Übertragung von Aufgaben ist strikt zu trennen von der Einräumung von Befugnissen, die notwendig sind, um die Aufgabe erfüllen zu können. Befugnisse sind die Mittel, die die Behörde zur Aufgabenerfüllung benötigt.
Beispiel:
Die in den allgemeinen Polizeigesetzen enthaltene Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, geben der zuständigen Behörde nicht das Recht, gegen Personen individuell einzugreifen. Dazu gibt es die polizeilichen Befugnisnormen[8].
b) Die instanzielle Zuständigkeit
473
Die instanzielle Zuständigkeit betrifft die Frage, wer in einem hierarchisch gegliederten Behördenaufbaufür die Erfüllung einer Aufgabe zuständig ist. Sie ist ein Sonderfall der sachlichen Zuständigkeit und spielt dort eine Rolle, wo die Erledigung einer Verwaltungsaufgabe Behörden verschiedener Instanzen zugewiesen ist. Einen Fall der instanziellen Zuständigkeit regelt § 73 Abs. 1 S. 2 Nr 1 VwGO; grundsätzlich erlässt die nächsthöhere Behörde den Widerspruchsbescheid, soweit nicht durch Gesetz eine andere Behörde bestimmt wird. Unabhängig von der sorgfältigen Zuordnung in Einzelfall ist im praktischen Regelfall die jeweils unterste Instanz zuständig; je komplexer und schwieriger eine Aufgabe ausgestaltet ist, umso eher weist der Gesetzgeber eine Aufgabe der (sofern vorhanden) mittleren oder oberen Instanz zu (zum Behördenaufbau s.o. Rn 131 ff).
474
Problematisch ist, ob und unter welchen Voraussetzungen übergeordnete Behörden oder Aufsichtsbehörden Aufgaben und Befugnisse wahrnehmen dürfen, welche der nachgeordneten oder zu beaufsichtigenden Stelle zugewiesen sind. Diesen Fall nennt man das Selbsteintrittsrecht der übergeordneten Behörde – vertikales Selbsteintrittsrecht. Dieses Selbsteintrittsrecht ist anzuerkennen, wenn Gesetze die übergeordnete Behörde ausdrücklich dazu ermächtigen. Nicht hinreichend ist die gesetzlich eingeräumte Weisungsbefugnis der übergeordneten Behörde. Reichte dieses aus, würde die auch für das Außenverhältnis maßgebende Zuständigkeitsordnung beschränkt.
Beispiel
für ein vertikales Selbsteintrittsrecht: Das Kommunalrecht erlaubt die aufsichtliche „Ersatzvornahme“, s. § 116 BbgKVerf. Es ist deshalb der Aufsichtsbehörde unter gewissen Voraussetzungen erlaubt, Bauleitpläne aufzustellen, wenn die Gemeinde ihrer Pflicht nach § 1 Abs. 3 BauGB nicht nachkommt, Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.
c) Die örtliche Zuständigkeit
475
Die örtlichen Zuständigkeitsvorschriften regeln den räumlichen Tätigkeitsbereicheiner Behörde. Relevant wird die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit dann, wann nach Bejahung der sachlichen Zuständigkeit auf einer instanziellen Ebene mehrere Behörden existieren. Die Abgrenzung geschieht durch die gesetzliche Bildung bestimmter Zuständigkeitsbezirke.
Beispiel:
§ 10 LOG NW: Der Ministerpräsident gibt die Bezirke der Landesmittelbehörden und der unteren Landesbehörden (…) im Gesetz- und Verordnungsblatt nachrichtlich bekannt.
476
Eine – auch für die Klausurpraxisrelevante – Regelung zur Zuständigkeit trifft § 3. Nach dessen Abs. 1 Nr. 1 ist in Angelegenheiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht beziehen, diejenige Behörde zuständig, in deren Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt[9]. Von Bedeutung ist insbes. § 3 Abs. 1 Nr. 1für das öffentliche Baurecht. Denn die Landesbauordnungen beschränken sich typischerweise auf die Zuordnung der sachlichen Zuständigkeit zu den Bauaufsichtsbehörden[10]. Deshalb ist beim Erlass eines VA nach den Landesbauordnungen (etwa einer Baugenehmigung) auf das subsidiär anwendbare VwVfG zurückzugreifen (s.o. Rn 104 f).
477
Regelungen zur Lösung von Kompetenzkonfliktenbei örtlichen Zuständigkeitsproblemen enthält § 3 Abs. 2. Wenn mehrere Behörden nebeneinander zuständig sind, spricht man von einem positiven Kompetenzkonflikt. Er wird nach dem Prioritätsprinzip gelöst. Grundsätzlich zuständig ist die Behörde, die zuerst mit der Sache befasst war. Nach § 3 Abs. 3 kann die Aufsichtsbehörde entsprechend dem Grundsatz „perpetuatio fori“ eine bisher örtlich zuständige Behörde für weiterhin zuständig erklären. § 3 Abs. 4 erklärt bei Gefahr im Verzug für unaufschiebbare Maßnahmen jede Behörde für örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt; die handelnde Behörde muss die nach § 3 Abs. 1 Nr 1–3 örtlich zuständige Behörde unverzüglich unterrichten. In seltenen, gesetzlich bestimmten Fällen darf im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit eine Durchbrechung der Zuständigkeitsordnung durch das Selbsteintrittsrecht der örtlich nicht primär zuständigen Behörde erfolgen; diesen Fall nennt man horizontales Selbsteintrittsrecht.
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