Beispiel:
Herr A und Frau B beantragen Hartz IV. Herr A erfährt auf dem Amt, dass alle Anträge abgelehnt worden seien. Er berichtet dieses Frau B. Bekannt gegeben ist die ablehnende Entscheidung der Behörde Frau B erst dann, wenn sie eine entsprechende Entscheidung von der Behörde erhält.
442
Das allgemeine Verwaltungsrecht kennt unterschiedliche Artender Bekanntgabe. Dabei bildet die individuelle Bekanntgabe den Regelfall. Hinzu kommen als besondere Formen der Bekanntgabe die öffentliche Bekanntgabe, die Bekanntgabe von Verkehrszeichen sowie die Zustellung.
a) Die individuelle Bekanntgabe
443
Nach § 41 Abs. 1ist ein VA demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden (§ 41 Abs. 1 S. 2). Daraus ergibt sich für die Behörde die Pflicht, den VA individuell, also dem Betroffenen oder seinem Bevollmächtigten selbst bekannt zu geben. Dazu muss der VA in Entsprechung zu § 130 BGB derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt sein, dass bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist[258]. Entscheidend ist also die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme, nicht hingegen die tatsächliche Kenntniserlangung.
444
Betrifft ein VA mehrere Personen, so ist er allen Personen bekannt zu geben. Für die einzelnen Personen erlangt der VA erst dann (äußere) Wirksamkeit, wenn er ihnen bekannt gegeben wird. Das kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschehen. Es ist auch möglich, dass der VA nur für einen Teil der gedachten Adressaten wirksam wird.
Beispiele:
• |
VA mit Drittwirkung (s.o. Rn 439); |
• |
Eigentümerin eines Grundstücks ist eine Erbengemeinschaft. |
445
§ 41 Abs. 2 enthält eine Fiktion der Bekanntgabedes VA bei seiner Übermittlung auf elektronischem Wege oder durch die Post. Unter „Post“ sind externe Dienstleister wie die „Post-AG“ zu verstehen, nicht eine interne „Dienstpost“. Zudem kann die Bekanntgabefiktion auch bei der Einschaltung eines privaten Postdienstleisters eingreifen; Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass dieser Dienstleister nach seinen organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen regelmäßig einen Zugang innerhalb von drei Tagen gewährleisten kann[259]. Die Norm verkörpert allerdings keinen allgemeinen Rechtsgedanken. Die Drei-Tages-Frist – der dritte Tag kann ein Samstag, Sonntag oder Feiertag sein – gilt auch dann, wenn der tatsächliche Zugang vor Ablauf der drei Tage erfolgt ist[260]. Auf den tatsächlichen Zugang kommt es gemäß § 41 Abs. 2 S. 3 nur nach Ablauf der drei Tage an. Die Frist ist nach § 31 Abs. 1 iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB zu berechnen. § 31 Abs. 3 kommt zur Anwendung. In Zweifelsfällen hat die Behörde gemäß § 41 Abs. 2 S. 3, 2. Hs. den Zugang und seinen Zeitpunkt zu beweisen. Ein substantiierter Vortrag des VA-Adressaten, den VA nicht erhalten zu haben, bewirkt berechtigte Zweifel am Zugang[261].
446
§ 41 Abs. 2a ermöglicht seit dem 2017 auch die Bekanntgabe durch Abruf über öffentlich zugängliche Netze. Diese Neuregelung ist allerdings nur einschlägig bei einem tatsächlichen Abruf; die bloße Abrufmöglichkeit genügt also nicht. Darüber hinaus muss die Einwilligung des Beteiligten vorliegen, und der VA muss speicherbar sein. Diesen Anforderungen genügen Systeme mit reiner Lesefunktion nicht[262]. Vom Abruf nach § 41 Abs. 2a zu unterscheiden und nach den allgemeinen Anforderungen des § 41 Abs. 1 zu bewerten ist die Konstellation, dass die Kommunikation über ein Benutzerkonto erfolgen soll, zu dem der Betroffene einen ausschließlichen Zugang hat[263]. Die stetig zunehmende Ausweitung der „modernen“ Bekanntgabemöglichkeiten hat zur Folge, dass die zuständige Behörde im Rahmens ihres Verfahrensermessens die Vor- und Nachteile der einzelnen Bekanntmachungsformen abzuwägen hat[264].
b) Die öffentliche Bekanntgabe
447
§ 41 Abs. 3 sieht die öffentliche Bekanntgabevon VAen in zwei Fällen vor: bei Zulassung durch Rechtsvorschrift und bei Allgemeinverfügungen, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Die öffentliche Bekanntgabe kann erfolgen durch Radio, Fernsehen, Presse, Lautsprecher oder auch im Internet.
Beispiele:
• |
Bekanntgabe eines Planfeststellungsbeschlusses in der Lokalzeitung; |
• |
die durch Lautsprecher erfolgende Bekanntgabe der Auflösung einer Versammlung; |
• |
Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote im Zuge der Corona-Pandemie[265]. |
448
Rechtsvorschriften, die die öffentliche Bekanntgabe erlauben, sind zB § 74 Abs. 5 oder § 10 Abs. 8 BImSchG[266]. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Untunlichkeitist nach den Umständen des Einzelfalls auszulegen. Wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes ist jedoch eine restriktive Auslegung geboten und in Zweifelsfällen eine individuelle Bekanntgabe vorrangig[267]. Eine öffentliche Bekanntgabe kommt insbesondere in Betracht, wenn der Adressatenkreis aufgrund des Regelungsgehalts der Verfügung nicht feststeht[268]. Da es auf die Unzumutbarkeit der individuellen Bekanntgabe im Einzelfall ankommt, darf jedoch nicht alleine auf eine bestimmte Adressatenzahl abgestellt werden[269]. Erst recht nicht ausreichend sind Aspekte der Verfahrenserleichterung.
c) Die Bekanntgabe von Verkehrszeichen
449
§ 45 Abs. 4 StVO verdrängt als bundesrechtliche Spezialvorschrift die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen über die öffentliche Bekanntgabe von Allgemeinverfügungen (zur Einordnung der Verkehrszeichen als Allgemeinverfügung s.o. Rn 360)[270]. Damit erlangt ein Verkehrsschild mit der Aufstellung zunächst (äußere) Wirksamkeit[271]. Die gleichzeitige Einordnung der Aufstellung von Verkehrszeichen als besondere Form der öffentlichen Bekanntmachung durch das BVerwG[272] hat sodann zur – keineswegs fernliegenden – Schlussfolgerung geführt, dass mit dem Aufstellen die Widerspruchs- bzw. Anfechtungsfrist in Gang gesetzt wird[273]. Nach einem berechtigten Hinweis des BVerfG, dass eine solche Auslegung nur schwerlich mit Art. 19 Abs. 4 GG in Einklang zu bringen ist[274], hat das BVerwG „klargestellt“[275], dass die Frist erst mit der erstmaligen Annäherung eines Verkehrsteilnehmers an das Verkehrszeichenbeginnt[276]. Bei Verkehrszeichen für den ruhenden Verkehr gelten jedoch weniger strenge Anforderungen an die Wahrnehmbarkeit als für den fließenden Verkehr: Hier erachtet das BVerwG eine einfache Umschau nach dem Abstellen des Fahrzeugs als zumutbar[277].
d) Die Zustellung als „formalisierte“ Bekanntgabe
450
Eine spezielle Form der Bekanntgabe ist die Zustellung[278]. Sie ist im Verwaltungszustellungsgesetzdes Bundes[279] bzw in entsprechenden Landesgesetzen geregelt. Die Zustellung besteht in einer besonderen Übergabe des Schriftstücks; die Übergabe wird beurkundet. Die Urkunde soll den Zeitpunkt der Bekanntgabe zweifelsfrei festhalten. Als geeignete Zustellungsarten sieht das Gesetz die Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde oder per Einschreiben vor. Wegen der strengen Formanforderungen reicht hier ein „Einwurf-Einschreiben“ nicht aus[280]. Auch kommt die Zustellung durch die Behörde selbst gegen Empfangsbestätigung in Betracht. Die Zustellung kann in zwei Konstellationenzur Anwendung kommen: Die Bekanntgabe eines VA in Form der Zustellung ist vorzunehmen bei ihrer gesetzlichen Anordnung. Dies ist durch § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO für Widerspruchsbescheide vorgesehen[281]. Die Zustellung kommt darüber hinaus auch dann in Betracht, wenn die Behörde sie anordnet (vgl. § 1 Abs. 2 VwZG).
Читать дальше