6. Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen
431
Die Unterscheidung zwischen Bedingung und Auflage war nach früher hMaus Rechtsschutzgründen bedeutsam. Die Bedingung war nicht selbstständig angreifbar, die Auflage als VA konnte eigenständig angefochten werden[243]. Ob im Zweifel eine Bedingung oder eine Auflage gegeben ist, musste durch Auslegung entschieden werden. Maßgebend war der objektive Erklärungsinhalt[244].
432
Das BVerwG[245], ihm folgend die untergerichtliche Rechtsprechung[246] und zum Teil die Literatur[247] haben diese Auffassung aufgegeben und sind nunmehr der Ansicht, dass für die Anfechtbarkeit einer Nebenbestimmung ihre Rechtsnatur irrelevant sei, weil eine isolierte Anfechtungsklage gegen jede Nebenbestimmung zulässigist[248]. Begründet ist eine solche Anfechtungsklage aber lediglich dann, wenn der verbleibende VA nach Aufhebung der Nebenbestimmung für sich genommen rechtmäßig wäre[249].
433
Lösung zu Fall 10 ( Rn 413):
Die Einbürgerung erfolgt nach §§ 8 Abs. 1, 16 Abs. 1 StAG durch Aushändigung einer Urkunde. Inhaltliche Beschränkungen sieht das Einbürgerungsrecht nicht vor. Sie können deshalb nicht in Form von Nebenbestimmungen in die Urkunde aufgenommen werden. Die Einbürgerung ist also nebenbestimmungsfeindlich. Ferner verstößt die Pflicht zur Wahl eines bestimmten Wohnsitzes gegen Art. 11 Abs. 1 GG, die Pflicht zur Änderung des Vornamens gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches Art. 2 Abs. 1 GG schützt.
434
Lösung zu Fall 11 ( Rn 414):
Bei der Maßgabe, einen bestimmten Lärmpegel nicht zu überschreiten, handelt es sich um eine sog. „modifizierende Auflage“ (BVerwG, DÖV 1974, 380). Denn U erhält die beantragte Genehmigung für das Werk nicht in vollem Umfange, vielmehr muss sie „gedrosselt“ produzieren. Die Rechtsfigur der „modifizierenden Auflage“ ist jedoch abzulehnen. Denn der Sache nach handelt es sich um eine einschränkende Regelung im Verhältnis zur beantragten Zulassung. Anders verhielte es sich, wenn der U bestimmte bauliche Vorkehrungen auferlegt worden wären, damit so die vom Werk ausgehenden Emissionen begrenzt werden (zB: Schallschutzwände). Dann würde es sich um eine echte Nebenbestimmung handeln, die entweder als Auflage oder als Bedingung ausgestaltet werden könnte.
VI. Die Bekanntgabe des Verwaltungsakts
435
Fall 12:
A hat bis zum 31.3. in der Bleibtreustraße 4 gewohnt und ist dann in die Meinekestraße 20 verzogen. Das Gewerbeaufsichtsamt, welchem die Adressenänderung entgangen ist, untersagt A am 1.5. in einem an die alte Adresse gerichteten Schreiben die Gewerbeausübung. Nachmieter des A ist B; dieser wirft den Brief in die Mülltonne. Ist die Gewerbeuntersagung wirksam geworden? Rn 453
1. Die Bedeutung der Bekanntgabe
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Die behördenintern getroffene Entscheidung muss wirksam werden: Das ist der Sinn eines VA, er soll schon definitionsgemäß Außenwirkung entfalten. § 43 Abs. 1 S. 1 stellt dazu fest, dass ein VA gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Die Bekanntgabe zählt zu den Essentialen eines VA und verfügt zugleich über ein rechtsstaatliches Fundament[250]. Die Bedeutung der Bekanntgabe liegt in einem Doppelten: Durch die Bekanntmachung erlangt der VA zum einem rechtliche Existenz[251] und damit Wirksamkeit (es sei denn, er ist nichtig, § 43 Abs. 3). Zum anderen beendet die Bekanntgabe des VA das Verwaltungsverfahren, welches auf die Erzeugung dieses VA ausgerichtet war.
a) Rechtliche Existenz und Wirksamkeit des Verwaltungsakts
437
Mit der Bekanntgabe verlässt der VA verwaltungsinternen Bereich und tritt gleichsam nach außen. Damit wird er rechtlich existent. Vor der Bekanntgabe existiert das, was später ein VA ist, noch nicht als VA, sondern lediglich als eine behördeninterne unverbindliche Entscheidung[252].
438
Mit der Bekanntgabe des VA an den Adressaten oder einen sonstigen Betroffenen entfaltet er diesen gegenüber seine äußere Wirksamkeit. Das bedeutet, er ist diesen Personen gegenüber jeweils verbindlich[253]. Dabei kann bei VAen mit Dritt- oder Mehrfachwirkung (s.o. Rn 367) die äußere Wirksamkeit individuell divergieren: Existent ist der VA bereits, wenn er einem Betroffenen bekanntgegeben wurde. Die äußere Wirksamkeit gegenüber den weiteren Betroffenen tritt hingegen nur dann ein, wenn der VA auch ihnen bekanntgegeben wurde. Relevant wird die äußere Wirksamkeit beim Rechtsschutz. Denn Rechtsmittelfristenwerden grundsätzlich durch die Bekanntgabe ausgelöst (vgl. § 70 Abs. 1 und § 74 Abs. 1 VwGO).
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Von der äußeren Wirksamkeit, die grundsätzlich mit der Bekanntgabe eintritt, zu unterscheiden ist die innere Wirksamkeit. Sie bezieht sich auf die Verbindlichkeit der getroffenen Regelung. Sie fällt zwar regelmäßig mit der äußeren Wirksamkeit zusammen, kann aber auch von dieser abweichen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn von einer Genehmigung erst ab einem bestimmten Zeitpunkt Gebrauch gemacht werden darf. Zudem tritt die innere Wirksamkeit gemäß § 43 Abs. 3 nicht ein, wenn ein Nichtigkeitsgrund nach § 44 vorliegt (dazu ausf. Rn 546 ff)[254].
Beispiel:
Dem Bauherrn wird am 10. Mai 2021 eine Baugenehmigung bekanntgeben, wonach er mit dem Bau ab dem 1. August 2021 beginnen darf. Dem Nachbarn, der im Baugenehmigungsverfahren gerügt hat, dass sich das Bauvorhaben zu dicht an der Grundstücksgrenze befinde, wird die Baugenehmigung erst am 15. Mai 2021 bekanntgegeben. Die Baugenehmigung als VA wird am 10. Mai 2021 mit der Bekanntgabe an den Bauherrn rechtlich existent. Zugleich tritt ihm gegenüber äußere Wirksamkeit ein, die Baugenehmigung „gilt“ also für ihn. Da er aber mit dem Bau erst am 1. August 2021 beginnen darf, tritt erst zu diesem späteren Zeitpunkt die innere Wirksamkeit ein. Die innere Wirksamkeit tritt hingegen nicht ein, wenn ein Nichtigkeitsgrund nach § 44 vorliegt, etwa weil die örtlich unzuständige Baubehörde gehandelt hat (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 3). Dem Nachbarn gegenüber tritt die äußere Wirksamkeit hingegen erst am 15. Mai 2021 ein. Erst ab diesem Zeitpunkt beginnt für ihn eine etwaige Rechtsmittelfrist zu laufen.
b) Die Beendigung des Verwaltungsverfahrens
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Nach § 9ist ein Verwaltungsverfahren iSd VwVfG die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines VA oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist. Das Verwaltungsverfahren schließt den Erlass des VA oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein. Auf die einzelnen Rechte und Pflichten des von einem Verwaltungsverfahren betroffenen Bürgers ist an späterer Stelle einzugehen (s.u. Rn 478 ff). Diese Rechte und Pflichten bestehen für den Bürger, solange ein VA noch nicht erlassen(bzw ein öffentlich-rechtlicher Vertrag noch nicht abgeschlossen) worden ist – weil vor Vornahme dieser Handlungen das Verwaltungsverfahren noch „läuft“. Mit dem Erlass des VA ist das Verwaltungsverfahren grundsätzlich beendet. Es kann allerdings unter gewissen Voraussetzungen später fortgeführt werden (sog. Wiederaufgreifen des Verfahrens, dazu Rn 660 ff).
2. Anforderungen an die Bekanntgabe
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Die Bekanntgabe des VA muss die erlassende Behörde amtlich veranlassen. Sie liegt nur vor, wenn sie mit Wissen und Wollen der zuständigen Behördeerfolgt[255]. Die zuständige Behörde muss aber nicht selbst handeln, sondern kann auch eine andere Behörde zur Vermittlung einschalten[256]. Erfährt der potenzielle Adressat des VA zufällig von einer ihn betreffenden Entscheidung einer Behörde, so liegt eine Bekanntgabe dieser Entscheidung nicht vor[257].
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