412
Er kann allerdings nur unter zwei Einschränkungenzur Anwendung kommen: Zum einen muss er durch Rechtsvorschrift zugelassen sein (§ 35a alleine bildet also keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage); zum anderen darf weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum eröffnet sein (zu diesen Handlungsspielräumen s.o. Rn 189 ff). Unabhängig davon eignen sich auch im Geltungsbereich des VwVfG lediglich standardisierte Verfahren als geeignete Anwendungsfelder. Vor diesem Hintergrund müssen geeignete Anwendungsfelder hier zunächst noch ermittelt werden. Insbes. bildet das Baugenehmigungsverfahren kein geeignetes Anwendungsfeld[208].
Ausbildungsliteratur zu IV.:
Barczak, Typologie des Verwaltungsakts, JuS 2018, 238; Beaucamp, Zur Notwendigkeit vorläufiger Verwaltungsakte, JA 2010, 247; Bickenbach, Charakteristik, Unterarten und Unarten des Verwaltungsaktsbegriffs, JA 2015, 481; Eifert, Die Genehmigung im Verwaltungsrecht, JURA 2014, 1127; Nolte/Niestedt, Grundfälle zur Rechtsnachfolge im Öffentlichen Recht, JuS 2000, 1071 und 1172; Peine, Sonderformen des Verwaltungsakts, JA 2004, 417; Schröder, Der vorläufige Verwaltungsakts, JURA 2010, 255; Siegel, Elektronisches Verwaltungshandeln, JURA 2020, 920; Zacharias, Die Rechtsnachfolge im Öffentlichen Recht, JA 2001, 720 (s.a. die Ausbildungsliteratur zu § 12 I.-III.).
V. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
413
Fall 10:
Die Sizilianer Andrea Rossi und Gabriele Di Napoli erhalten auf ihre Anträge hin die deutsche Staatsbürgerschaft. In den Einbürgerungsurkunden sind folgende Bestimmungen enthalten: 1. Sie werden verpflichtet, Ihren ersten Wohnsitz in Berlin zu nehmen. 2. Sie sind verpflichtet, zu beantragen, Ihren nach deutschem Sprachgebrauch weiblichen Vornamen in einen nach deutschem Sprachgebrauch männlichen ändern zu lassen. Sind diese Bestimmungen zulässig? Rn 433
414
Fall 11:
Die engagierte Unternehmerin U möchte ein Transportbetonwerk errichten. Die Genehmigung wird ihr erteilt, allerdings mit der Maßgabe, dass sie einen bestimmten Lärmpegel nicht überschreiten darf. Welche Rechtsnatur weist diese Maßgabe auf? Rn 434
415
Zentrales Merkmal des VA ist die Regelung. Diese bildet die Hauptaussage, nämlich das primär von der Behörde Gewollte. Das Gewollte kann in bestimmter Weise begrenzt sein. Diese Begrenzung erfolgt durch eine Nebenaussage. Solche Nebenaussagennennt das VwVfG in § 36 „Nebenbestimmungen“. § 36 Abs. 2 kennt fünf Nebenbestimmungen: die Befristung, die Bedingung, den Widerrufsvorbehalt, die Auflage und den Auflagenvorbehalt.
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In der verwaltungsbehördlichen Praxisspielen Nebenbestimmungen eine wesentliche Rolle. Sie dienen dem Ausräumen von Gründen, die einem Bescheid zugunsten eines Antragstellers entgegenstehen.
Beispiel:
A beantragt eine Baugenehmigung. Da das Bauvorhaben aber mit einem Eingriff in Natur und Landschaft verbunden ist (vgl. § 14 Abs. 1 BNatSchG; Sat. I Nr. 880), wird die Genehmigung nur unter der Voraussetzung erteilt, dass A eine naturschutzrechtliche Ersatzabgabe zahlt (vgl. § 15 Abs. 6 BNatschG).
Im Beispielsfall hätte die Behörde die Genehmigung auch ablehnen können mit dem Hinweis, dass nicht alle Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. Sie gibt dem Gesuch aber statt und räumt den Versagungsgrund durch eine Nebenbestimmung aus. Zugleich wird damit dem VerhältnismäßigkeitsgrundsatzRechnung getragen; denn anderenfalls könnten auch geringfügige Teilaspekte die Genehmigung eines größeren Vorhabens vereiteln.
417
Die zentrale Rechtsgrundlagefür die Beifügung von Nebenbestimmungen bildet § 36. Diese Vorschrift greift die zuvor bei den Arten von VAen getroffene Unterscheidung von gebundenen und Ermessensakten (s.o. Rn 397) auf. Absatz 1 behandelt die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen bei gebundenen VAen, Absatz 2 bei Ermessensentscheidungen. – Diese Regelungen greifen nur dann, wenn keine Spezialregelungenvorliegen. So enthält etwa § 35 Abs. 5 S. 2 i.V.m. S. 3 BauGB eine besondere Rechtsgrundlage zur Sicherstellung der baurechtlichen Anforderungen einer Anlage im Außenbereich[209]. Sonderregelungen zu Nebenbestimmungen sind häufig auch im Umweltrecht (zB: § 12 BImSchG[210]) oder im öffentlichen Wirtschaftsrecht (zB § 5 GastG[211]) anzutreffen.
3. Die einzelnen Nebenbestimmungen
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§ 36 Abs. 2 Nr 1 definiert die Befristung als eine „Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt“. Die Rechtswirkungen des VA hängen von einem zukünftigen gewissen Ereignisab, nämlich von einem Anfangstermin – aufschiebendeBefristung – oder von einem Endtermin – auflösendeBefristung[212]. Ein ungewisser Termin ist keine Befristung, sondern eine Bedingung (dazu unter Rn 419). Ein Zeitpunkt ist auch dann bestimmt, wenn er bestimmbar ist, zB der Beginn der Sommerferien in einem bestimmten Bundesland. Das Merkmal „bestimmter Zeitraum“ ist im Normalfall bedeutungslos. Ausnahmsweise kann es Relevanz besitzen, wenn die Zeiträume der Befristung nicht zusammenhängen. Eine kraft Gesetzes bestehende Befristung braucht nicht in den VA aufgenommen zu werden.
Beispiel:
Die wasserrechtliche Bewilligung wird nach § 14 Abs. 2 WHG für eine bestimmte angemessene Frist erteilt, die in besonderen Fällen 30 Jahre überschreiten darf. Der Normalfall der Befristung ist deshalb 30 Jahre. Diese Frist muss nicht in den Bewilligungsbescheid aufgenommen werden.
419
Die Bedingung ist nach § 36 Abs. 2 Nr 2 eine „Bestimmung, nach welcher der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignissesabhängt“. Ebenso wie bei der Befristung gibt es bei der Bedingung zwei Fälle: die aufschiebendeund die auflösendeBedingung. Die bedingten Rechtswirkungen bleiben bis zum Eintritt der Bedingung in der Schwebe[213]. Gegenwärtige oder vergangene Umstände, die den Beteiligten oder der Behörde aber ungewiss sind, unterfallen nicht der Definition des § 36 Abs. 2 Nr 2. Zulässig ist es jedoch, durch eine Bedingung die zukünftige Beseitigung einer gegenwärtigen Ungewissheit zu regeln.
Beispiel:
Die Wirksamkeit eines VA wird von dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens abhängig gemacht.
420
Auch unechte oder sog. Potestativbedingungensind Bedingungen iSd Gesetzes[214]. Darunter versteht man eine Bedingung, die vom Willen eines Beteiligten oder mehrerer Beteiligter abhängt.
Beispiel:
Die Baugenehmigung wird unter der aufschiebenden Bedingung erteilt, dass ein Erschließungsvertrag abgeschlossen werde[215].
Allerdings können nur von der Außenwelt wahrnehmbareHandlungen, Erklärungen oder Geschehnisse Gegenstand einer Bedingung sein. Nicht ausreichend sind demgegenüber Vorstellungen, die lediglich zur Gedankenwelt eines Beteiligten gehören. Die rein verwaltungsinterne Neubewertung eines bereits abgeschlossenen Falls kann daher nicht Gegenstand einer Bedingung sein[216].
421
Der Widerrufsvorbehalt ist nicht legaldefiniert. Es handelt sich der Sache nach bei dem Widerrufsvorbehalt um eine auflösende Bedingung[217]. Manchmal ist der Widerrufsvorbehalt gesetzlich zugelassen, s. das schon erwähnte Beispiel des § 12 Abs. 2 S. 2 BImSchG. Eine bestimmte Form für den Widerrufsvorbehalt fehlt; es muss lediglich erkennbar bleiben, dass der VA unter Widerrufsvorbehalt erlassen werden sollte. Der Widerrufsvorbehalt macht den Adressaten des VA darauf aufmerksam, dass der VA jederzeit widerrufen werden kann. Ein Vertrauen des Adressaten des VA darauf, dass der VA für alle Zeit bestehen werde, kann deshalb nicht entstehen[218]. Das Erfordernis der Bestimmtheitist bei einem uneingeschränkten Widerrufsvorbehalt, der keine Widerrufsgründe aufführt, auch dann eingehalten, wenn sich aus den Begleitumständen ergibt, dass nur mit einer bestimmten Reichweite ein Widerrufsvorbehalt ausgeübt werden soll[219].
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