DIE BLUME DER GANZEN ARITHMETIK
DIOPHANTISCHE GLEICHUNGEN
IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Diophantos(um 200–284 n. Chr.)
TEILGEBIET
Algebra
FRÜHER
um 800 v. Chr.Der Inder Baudhayana löst einige »diophantische« Gleichungen.
SPÄTER
um 1600François Viète legt die Grundlagen zur Lösung diophantischer Gleichungen.
1657Pierre de Fermat schreibt seinen »letzten Satz« (über diophantische Gleichungen) in ein Exemplar von Arithmetica .
1900Problem 10 in David Hilberts Liste ungelöster Forschungsfragen ist ein Algorithmus zur Lösung aller diophantischer Gleichungen.
1970Russische Mathematiker zeigen, dass es keinen Algorithmus gibt, der alle diophantischen Gleichungen löst.
Im 3. Jahrhundert n. Chr. schuf der griechische Mathematiker Diophantos, ein Pionier der Zahlentheorie und Arithmetik, ein erstaunliches Werk, die Arithmetica . In 13 Bänden, von denen sechs erhalten sind, erforschte er 130 mathematische Probleme mit Gleichungen. Er benutzte als Erster ein Symbol für unbekannte Größen – eine Grundlage der Algebra. Erst in den letzten 100 Jahren haben Mathematiker diese Gleichungen, die man nun diophantische Gleichungen nennt, ganz erkundet. Sie gelten als einer der interessantesten Bereiche der Zahlentheorie.
Diophantische Gleichungen sind eine Art Polynomgleichungen: Gleichungen, in denen die Exponenten der Unbekannten natürliche Zahlen sind, wie etwa 4 x 3+ y 4= z 5. Sie stellen die zusätzliche Bedingung, dass alle Lösungen nur ganze Zahlen sein dürfen. Die Koeffizienten (die konstanten Faktoren vor den Unbekannten, etwa die 4 in 4 x 3) sind ebenfalls ganzzahlig. Diophantos arbeitet nur mit positiven Zahlen, aber heute sucht man auch nach negativen Lösungen.
»Der Symbolismus, den Diophantos erstmals eingeführt hat, … gab einen kurzen und leicht verständlichen Weg, eine Gleichung auszudrücken. «
Kurt VogelDeutscher Mathematikhistoriker Diophantus of Alexandria , in: Dictionary of Scientific Biography , 1970–1980
Viele Probleme, die man heute diophantische Gleichungen nennt, waren lange vor Diophantos bekannt. Indische Mathematiker erkundeten sie ab etwa 800 v. Chr., wie die Texte der Sulbasutras zeigen. Im 6. Jahrhundert v. Chr. stellte Pythagoras den bekannten Satz für die Seiten rechtwinkliger Dreiecke auf. Geschrieben als x 2+ y 2= z 2und beschränkt auf ganzzahlige Lösungen ist er eine diophantische Gleichung.
Diophantische Gleichungen der Form x n + y n = z n sehen einfach aus, aber nur die quadratischen sind lösbar. Ist der Exponent n größer als 2, hat die Gleichung keine ganzzahligen Lösungen mehr für x, y und z – wie Fermat 1657 an den Rand eines Exemplars von Arithmetica notierte und Andrew Wiles erst 1994 beweisen konnte.
Eine Quelle der Faszination
Es gibt unendlich viele diophantische Gleichungen mit verschiedenen Koeffizienten und Exponenten, und fast alle sind sehr schwer zu lösen. David Hilbert meinte im Jahr 1900, die Frage, ob sie alle lösbar sind, sei eine der größten Herausforderungen der Mathematik.
Heute ordnet man die Gleichungen in drei Klassen: die ohne Lösungen, die mit endlich vielen Lösungen und die mit unendlich vielen Lösungen. Oft sind Mathematiker nicht an Lösungen selbst interessiert, sondern daran, ob überhaupt Lösungen existieren. 1970 beantwortete der Russe Juri Matijassewitsch Hilberts Frage, die er mit drei Kollegen jahrelang studiert hatte: Es existiert kein genereller Lösungsalgorithmus für diophantische Gleichungen. Doch man erforscht sie weiter, weil die Faszination vor allem theoretischer Natur ist. Mathematiker, von der Neugier getrieben, halten weitere Entdeckungen für möglich. 
Die Arithmetica von Diophantosbeeinflusste die Mathematiker im 17. Jh., als sie die moderne Algebra entwickelten. Diese Ausgabe wurde 1621 auf Latein veröffentlicht.
Diophantos
Über den griechischen Mathematiker und Philosophen Diophantos ist wenig bekannt. Vermutlich wurde er um 200 n. Chr. in Alexandria (Ägypten) geboren. Sein 13-bändiges Werk Arithmetica kam gut an. Die spätantike Mathematikerin Hypatia kommentierte die ersten sechs Bände. Arithmetica geriet aber in Vergessenheit, bis das Interesse im 16. Jahrhundert wieder auflebte.
Die Griechische Anthologie , eine Sammlung griechischer Gedichte, enthält einen erstmals um 500 n. Chr. veröffentlichten Text, der auf dem Grabstein von Diophantos gestanden haben soll. Das Zahlenrätsel lautete sinngemäß: Diophantos habe mit 35 Jahren geheiratet. Fünf Jahre später sei sein Sohn geboren, der mit 40 Jahren verstorben sei, als er gerade halb so alt wie sein Vater war. Diophantos habe dann weitere vier Jahre gelebt. Demnach wurde er 84 Jahre alt.
Hauptwerk
um 250 n. Chr. Arithmetica
EIN UNVERGLEICHLICHER STERN AM FIRMAMENT DER WEISHEIT
HYPATIA
IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Hypatia von Alexandria(um 355–415 n. Chr.)
TEILGEBIETE
Arithmetik, Geometrie
FRÜHER
6. Jh. v. Chr.Theano (die Frau von Pythagoras) und andere Frauen sind in der pythagoreischen Gemeinschaft aktiv.
um 100 v. Chr.Die Astronomin Aglaonike von Thessalien ist berühmt dafür, Mondfinsternisse vorherzusagen.
SPÄTER
1748Die Italienerin Maria Gaetana Agnesi schreibt das erste Lehrbuch über Differenzial- und Integralrechnung.
1874Die Russin Sofja Kowalewskaja erhält als erste Frau einen Doktortitel in Mathematik.
2014Die Iranerin Maryam Mirzakhani erhält als erste Frau die Fieldsmedaille.
Nur wenige weibliche Vorreiterinnen der Mathematik sind aus der antiken Welt überliefert, darunter Hypatia von Alexandria. Als inspirierende Lehrerin wurde sie 400 n. Chr. zur Leiterin der platonischen Schule der Stadt ernannt.
Von Hypatia sind keine eigenen Forschungen bekannt, doch sie soll einige klassische Texte der Mathematik, Astronomie und Philosophie lektoriert und kommentiert haben. Vermutlich half sie ihrem Vater Theon, einem respektierten Gelehrten, bei der Herausgabe seiner kommentierten Ausgabe von Euklids Elementen sowie dem Almagest und den Handlichen Tabellen von Ptolemäus. Sie setzte seine Arbeit zur Erhaltung und Erweiterung klassischer Texte fort und schrieb insbesondere Kommentare zur 13-bändigen Arithmetica von Diophantos und der Konika von Apollonios. Vielleicht wollte Hypatia damit Lehrbücher für Studenten produzieren, denn ihre Kommentare lieferten Erklärungen und entwickelten einige Konzepte weiter. Hypatia erwarb hohes Ansehen für ihre Lehre, ihr Wissen und ihre Weisheit, doch 415 wurde sie von christlichen Fanatikern wegen ihrer »heidnischen« Philosophie ermordet. Als man gegenüber gelehrten Frauen weniger tolerant wurde, blieben Mathematik und Astronomie fast völlig in Männerhand, bis die Aufklärung im 18. Jahrhundert Frauen neue Chancen eröffnete. 
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